Markus Meckel | Aktuelles
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Hier finden Sie die Datei des Redemanuskripts: 2024-4-14 Laudatio MM Schwerter zu Pflugscharen Gotha


Laudatio zur Verleihung des Gothaer Preises „Der Friedenstein“

an die Bewegung „Schwerter zu Pflugscharen in der DDR“

Überreicht an Harald Bretschneider und Friedrich Schorlemmer

 

Gotha, den 14. April 2024 

Markus Meckel

Emblem am Eingang des Schlosses Friedenstein in Gotha


Anrede


Heute, in diesem schwierigen Jahr, an die Anfang der 80er Jahre entstandene unabhängige Friedensbewegung in der DDR unter dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ zu erinnern und sie mit einem Preis zu würdigen, mag erstaunen.

Oder doch nicht? Steht doch auch heute die Frage, wie Frieden und Sicherheit zu erlangen sind, ganz oben auf unserer Agenda.

Doch ist Vorsicht geboten, nicht zu Kurzschlüssen zu kommen. Dazu jedoch später..

Ich bin dankbar für diese Preisverleihung und möchte der Kulturstiftung Gotha dafür herzlich danken – und den Protagonisten Harald Bretschneider und Friedrich Schorlemmer herzlich gratulieren!

Sicher ist: Was damals, 1980 und in den Folgejahren geschah und heute ehrend in Erinnerung gerufen wird, hat nicht nur Mut gekostet, sondern war ein wirkmächtiger neuer Ansatz in der damaligen spezifischen Situation, der die Wirklichkeit in unserem Land verändert hat. Von diesen Ereignissen lassen sich lange Linien ziehen zur Friedlichen Revolution 1989 und dem Aufstoßen des Tores zur Deutschen Einheit 1990. Der Aufruf, „Schwerter zu Pflugscharen“ umzuschmieden, hat viel zu tun mit den Kerzen der Friedlichen Revolution. Und diese waren Teil einer gewaltfreien mitteleuropäischen Revolution, die in direktem Zusammenhang steht mit dem Ende des Kalten Krieges.

Es war eine ganz besondere Erfahrung des Anfangens und des Aufbruchs, an die dieser Preis heute erinnert.

Natürlich ist es immer schwierig zu sagen, wo etwas angefangen hat – denn jedes hat seine Vorgeschichte.

Die Kirchen in Deutschland und eben auch in der DDR waren nach dem Zweiten Weltkrieg in der Frage um Krieg und Frieden sehr sensibel und stark engagiert. „Nie wieder Krieg!“ war die allgemeine Lehre aus den Schrecken des Krieges, nur bei manchen am Anfang im Bewusstsein der Schuld des eigenen Volkes. So ging im Westen der Streit um die Wiederbewaffnung und um die Frage der Nuklearwaffen hoch her. Im Osten war es den Kirchen nach der Einführung der Wehrpflicht 1962 gelungen, dass die DDR 1964 als einziges Land im kommunistischen Osten mit den „Bausoldaten“ einen waffenlosen Wehrdienst ermöglichte. Mahatma Gandhi und Martin-Luther King als bewunderte Beispiele gewaltlosen Kampfes für Freiheit, Unabhängigkeit und Menschenrechte standen in der kirchlichen Jugendarbeit hoch im Kurs. 1964 war Martin-Luther King sogar nach Ostberlin gekommen und hat in der St. Marienkirche und wegen großen Zulaufs dann auch in der Sophienkirche gepredigt. Ich hatte die Chance, ihn damals als 12jähriger zu hören. So spielte über die Jahrzehnte die Frage des Wehrdienstes eine wichtige Rolle. Es wurde diskutiert, ob ein Wehrdienst als Friedensdienst anerkannt werden könne, übrigens in Ost und West. Nicht wenige sahen in der Verweigerung das deutlichere Friedenszeichen. Es ist kein Zufall, dass die beiden Protagonisten Harald Bretschneider und Friedrich Schorlemmer in den 60er Jahren den Wehrdienst verweigerten, wie ich 1970 auch selbst.


Machen wir uns kurz die Situation um das Jahr 1980 bewusst:

Mit dem Entstehen der „Solidarnosc“ in Polen kam 1980 ein neuer Akteur im Spiel, der uns in der DDR große Hoffnung machte. Wo hatte es das im Kommunismus je gegeben – ein solch wirkmächtiger und unabhängiger gesellschaftlicher Akteur mit einer eigenen Agenda.  Die polnische unabhängige Gewerkschaft Solidarnisc wurde 1980 im System des Kalten Krieges und auch der deutschen Ostpolitik ein neuer Faktor – der gerade auch der SED-Führung Angst einjagte. Honecker trat im Ostblock für den Einmarsch und damit ein gewaltsames Ende dieses Aufbruchs ein. Gleichzeitig versuchte er einen Kurs des außenpolitischen Dialogs, von dem die DDR gerade auch wirtschaftlich profitierte. Innenpolitisch wurde zugleich der Druck erhöht, die Militarisierung der Gesellschaft nahm erheblich zu, an den Schulen wurde 1978 ein Wehrunterricht eingeführt.

Die Sowjetunion hatte Ende der 70er Jahre mit den SS20 ihre atomaren Mittelstreckenwaffen modernisiert und war im Dezember 1979 in Afghanistan eingefallen. Im Westen wurde heftig über eine „Nachrüstung“ von nuklearen Mittelstreckenwaffen diskutiert.

Der Kalte Krieg drohte heiß zu werden.

Mit dieser neuen Runde des Wettrüstens drohte die Vorwarnzeit gewaltig abzunehmen, die menschliches Handeln zur Abwendung eines „Krieges aus Versehen“ kaum noch möglich machte. Im Falle eines Krieges würde gerade im Zentrum Europas, also von Deutschland, wenig übrigbleiben.

Und das machte Angst – in West- wie Ostdeutschland. Die Friedensfrage wurde existentiell.

Das spürte man gerade auch unter den Jugendlichen in der DDR. Sie wurde heftig diskutiert, und in der DDR insbesondere in den Kirchen. Andere halbwegs öffentliche Orte, wo das möglich gewesen wäre, gab es in der DDR nicht.


Auch nach dem Bau der Mauer 1961 waren die Kirchen in Ost und West eng verbunden geblieben, auch institutionell. Das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit war nach wie vor stark - durch den gemeinsamen Glauben, gemeinsame Geschichte und Tradition sowie vielfältige persönliche Verbindungen. Es war eine Verbundenheit, die beide Seiten als existentiell ansahen. Jede Landeskirche, ja, jede Kirchgemeinde in der DDR hatte im Westen Deutschlands eine Partnerkirche bzw. Partnergemeinde – und viele von diesen waren wirklich lebendig… Durch Besuche und persönliche Begegnungen blieb eine Verbundenheit und Kenntnis voneinander erhalten, wo sie sonst in der Gesellschaft auf beiden Seiten eher abnahm.

Zum 40. Jahrestag des Überfalls auf Polen und damit des Beginns des Zweiten Weltkriegs, zu diesem 1. September 1979 hatten die EKD und der Bund ev. Kirchen in der DDR erstmals eine gemeinsame Erklärung zum Frieden veröffentlicht. Jugendmitarbeiter der Kirchen aus Ost un d West erarbeiteten dann 1980 Texte für einen „Bittgottesdienst für den Frieden“. 

Hier kommt nun Harald Bretschneider ins Spiel, damals Landesjugendpfarrer in Sachsen. Er brachte in diese Gespräche eine mit Freunden und Vertrauten diskutierte Idee ein: Er schlug vor, eine „Friedensdekade“ einzurichten – 10 Tage Gebete, Gottesdienste und andere Aktivitäten der Kirchen für den Frieden, abschließend mit dem Buß- und Bettag. Gerade dieser Tag, an dem Kirche zur Umkehr ruft aus unseren von Schuld und Zerrüttung geprägten Verhältnissen, eignete sich besonders zum Ruf der Umkehr aus den Irrwegen einer die Welt nur noch mehr gefährdenden Sicherheitspolitik. Motto dieser Friedensdekade solle sein: „Frieden schaffen ohne Waffen – Schwerter zu Pflugscharen“. Damit wurde ein prophetisches Wort der Bibel ins Zentrum gestellt (Jes. 2,4 und Micha 4.3).


Der Ideenreichtum ging jedoch noch weiter und wurde ganz praktisch: Auf der Suche nach einem Symbol stieß Harald auf die Plastik des sowjetischen Künstlers Jewgeni Wutschetitsch, die dieser für die Weltausstellung in Brüssel 1958 geschaffen hatte. 1959 schenkte Chruschtschow eine Replik dieser Plastik den Vereinten Nationen – und dort steht sie bis heute. Die Idee war nun, diese Plastik auf einem Lesezeichen abzubilden und den ersten Entwurf machte er gleich selbst. Die Dresdner Grafikerin Ingeborg Geißler gestaltete aus diesem eine Druckvorlage. Gedruckt wurde dies dann auf Vlies, weil in der DDR bei Textildrucken keine Genehmigung nötig war.

Das Material für die Friedensdekade, die seitdem von den deutschen Kirchen in Ost und West begangen wird, wurde in der DDR zu Tausenden gedruckt und verteilt – dazu 100 000 Lesezeichen. Manche Jugendliche nähten sich das Symbol auf die Kleidung – und trugen es so auf die Straßen und in die Öffentlichkeit. Bei der nächsten Friedensdekade 1981 wurde das Symbol dann in gleicher Größenordnung als Aufnäher gedruckt und erfreute sich großer Beliebtheit und Verbreitung.


Anfangs taten sich die staatlichen Stellen im Umgang mit diesem Symbol schwer – es war ja in der Sowjetunion und in Ungarn sogar auf Briefmarken veröffentlicht worden. Im Schul-Geschichtsbuch der 6. Klasse in der DDR war es auch abgedruckt.

Doch mit dieser Initiative wurde es nun genutzt, um sich gegen staatliche Friedenspolitik zu wenden und eine Abkehr zu fordern – gegen das Wettrüsten und die Stationierung neuer Raketen, gegen Militarisierung der Gesellschaft, gegen das Denken in Freund-Feind-Kategorien. Gewaltlosigkeit und Dialog wurden ins Zentrum gestellt, die Notwendigkeit, die Sicherheitsinteressen der anderen Seite zu berücksichtigen und „gemeinsame Sicherheit“ anzustreben, eine Sicherheit, die nicht gegeneinander er-rüstet, sondern durch Verhandlungen und Abkommen gemeinsame Rechts- und Sicherheitsstrukturen schafft. Die internationale Palme-Kommission (benannt nach ihrem Vorsitzenden Olof Palme, dem schwedischen Ministerpräsidenten) tagte unter Beteiligung von Experten aus Ost und West und schlug 1982 der UNO unter dem Titel der gemeinsamen Sicherheit konkrete Abrüstungsschritte vor, die von den Kirchen und der Friedensbewegung sofort aufgegriffen wurden.

Der Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ passte sowohl zu einer solchen alternativen Sicherheitspolitik wie auch zu dem Lebensgefühl und der Grundhaltung vieler Jugendlichen und überhaupt bei wachen Menschen in Ost und West, die sich nicht mit dem System der gegenseitigen Bedrohung abfinden wollten.


Mit der zunehmenden Bekanntheit und Beliebtheit des Aufnähers bei jungen Menschen wuchs zunehmend die Nervosität der staatlichen Stellen, im November 1981 wurde das Tragen dieses Symbols untersagt. Doch ließen sich viele Jugendlichen das Tragen des Aufnähers nicht verbieten – mit der Folge einer regelrechten Hetzjagd auf sie. Polizisten oder Pädagogen schnitten die Aufnäher aus der Kleidung, beschlagnahmten die Symbole oder konfiszierten gleich das ganze Kleidungsstück. Viele, die den Aufnäher trotz Aufforderung nicht entfernten, wurden von der Schule oder Universität verwiesen, ihnen wurde das angestrebte Abitur oder andere Ausbildungen verweigert – die Repression hatte viele Formen. Der Bund der ev. Kirchen protestierte gegen diese Angriffe auf die Jugendlichen und bekannte sich zu dem Symbol, das ein Ausdruck kirchlichen Friedenszeugnisses sei. Die Bundessynode der evangelischen Kirchen beschloss im September 1982: Wir halten an dem Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ als Zeichen der Friedensdekade fest. Aber wir verzichten ´um des Friedens willen´ auf den Druck weiterer Aufnäher.“ Naja, das hat uns damals nicht überzeugt, war aber typisch für diese Zeit. Gleichzeitig jedoch konnten sich unter Druck geratene Jugendliche auf den Beistand der Kirche verlassen. Ich erinnere mich an Bischof Gottfried Forck in Berlin, der auch weiterhin das Symbol auf seiner Aktentasche trug.


Weit über die DDR hinaus bekannt wurde das Symbol und der unabhängige Friedenswille der Kirchen und der Jugendlichen durch die von Friedrich Schorlemmer initiierte Aktion während des Kirchentages in Wittenberg im September 1983. Friedrich Schorlemmer, heute allgemein bekannt als begnadeter Redner und Publizist, über drei Jahrzehnte auch nach 1990 ein streitbarer öffentlicher Intellektueller und vielfach geehrt, war damals Dozent am Predigerseminar in Wittenberg und in vielfältiger Weise engagiert in der kirchlichen Friedensarbeit. Unter dem Motto „Vertrauen wagen“ fanden in diesem Jahr in der DDR sieben Kirchentage statt, jeder von ihnen eigenständig vorbereitet. Friedrich war in die Vorbereitung in Wittenberg involviert und brachte die Idee ein, das Umschmieden eines Schwertes auf dem Hof des Lutherhauses öffentlich als Symbolhandlung zu vollziehen. Zum Friedenskreis „Frieden 83“ gehörte auch der praktizierende Schmied Stefan Nau, der sich trotz des hohen Risikos mutig dazu bereit erklärte, dieses Umschmieden als Aktion zu übernehmen. Und so geschah es – die ARD übertrug das Ganze und trug so die Botschaft in die breite Öffentlichkeit, im Westen, international und eben auch zurück in die DDR – denn die meisten DDR-Bürger sahen damals das Westfernsehen.

Die SED verstand dies als Kampfansage. Der Begriff des feindlich-negativen „Pazifisten“ wurde zu einem Feindbegriff, um Staatsfeinde zu charakterisieren bzw. sie als solche zu klassifizieren. Über die sicherheitspolitische Dimension hinaus rückte die Friedensfrage ins Zentrum oppositioneller Aktivitäten. Seit Anfang der 80er Jahre begannen sich die vielerorts entstehenden „Friedensgruppen“ zu vernetzen, den Kontakt untereinander aufzunehmen, in Diskurs miteinander zu kommen und Zusammenarbeit zu suchen. So sprach man insbesondere in westlichen Medien und dann auch im Osten selbst zunehmend von einer „unabhängigen Friedensbewegung Schwerter zu Pflugscharen“, die zu einem Nährboden der Opposition wurde.


Oft liest man, dass die Opposition in der DDR sich unter dem Dach der Kirche zusammenfand. Diese Formulierung finde ich immer etwas merkwürdig, hört es sich doch so an, als hätte es eine Opposition in der DDR gegeben, die sich dann aus praktikablen Gründen in der Kirche zusammenfand. Schon das bisher Gesagte macht jedoch deutlich, dass dies mitnichten so war.

Im Gegenteil!

Die evangelischen Kirchen in der DDR waren – nicht nur, aber gerade in der Friedensfrage und immer mehr auch in anderen gesellschaftspolitischen Herausforderungen - ein eigenständiger und offener Diskursraum, den es sonst im Lande nicht gab. Die Initiative für die Debatten und Aktionen kamen zumeist von engagierten Christen in den Kirchen - und das übrigens auf allen Ebenen, vom Bischof, Gemeinde- oder Jugendpfarrer, vom Diakon oder Studienleiter bis hin zu ganz normalen engagierten Jugendlichen oder anderen Gemeindegliedern. Diese hatten auch untereinander oft verschiedene Positionen, diskutierten sie aber im offenen Dialog und öffneten sich gleichzeitig in die Gesellschaft hinein. So wurden die Kirchen zu einem Anziehungsraum für andere freie und kritische Geister im Lande.


1988/89 gab es dann – angeregt durch die Ökumene, also weltweit organisierte Kirchenorganisationen – einen von allen christlichen Kirchen in der DDR unternommenen Versuch, angesichts der globalen Herausforderungen von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung (also der Umwelt- und Klimafrage) zu gemeinsamen Forderungen und Positionen zu kommen. Auch in diesem (sogenannten konziliaren) Prozess waren unsere Preisträger mit großem Engagement beteiligt. In einem zentralen Text dieser „Ökumenischen Versammlung“ 1989 wurde – im Geist der Botschaft „Schwerter zu Pflugscharen“ dazu aufgerufen, gewaltlosen Konfliktlösungen immer den Vorzug zu geben (Option für die Gewaltlosigkeit). Viele, die im Herbst 1989 neue, demokratische Bewegungen und Parteien gründeten, hatten vorher an dieser Ökumenischen Versammlung teilgenommen und manche programmatische Forderung dieser neuen Initiativen waren dort schon formuliert worden.

Für die Friedliche Revolution in der DDR vor 35 Jahren wurden Kerzen zu ihrem Symbol – und hier gibt es in der klaren Entscheidung zur Gewaltlosigkeit einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ Anfang der 80er Jahre. Was in der DDR 1989 geschah, stand nun aber in engem Zusammenhang mit dem, was bei den Nachbarn Polen und Ungarn und dann in der Tschechoslowakei geschah – die Friedliche Revolution war im Grunde Teil einer mitteleuropäischen Revolution. In der CSSR sprach man etwa von der „Samtenen Revolution“. Diese Länder nutzten die Räume zur Veränderung, die Gorbatschow eröffnet hatte, als er deutlich machte, dass nicht wieder Panzer aus Moskau rollen würden (s. seine Rede vor der UNO im Dezember 1988).

Polen prägte mit dem „Runden Tisch“ schon Anfang des Jahres 1989 gewissermaßen das Modell des Umbruchs. Diese – ganz wesentlich von Tadeusz Mazowiecki und Bronislaw Geremek geprägte – auf Verhandlungen basierende Strategie des Wandels setzte ebenfalls klar auf Gewaltlosigkeit.

Dass der Sieg von Freiheit und Demokratie in Mitteleuropa gewaltfrei möglich war, erfüllt auch im Nachhinein noch mit großer Freude und Dankbarkeit. Und auch der Zusammenbruch der Sowjetunion verlief schließlich ganz weitgehend ohne großen Blutzoll (obwohl wir die militärischen Konflikte in Litauen, Georgien und um Bergkarabach nicht vergessen dürfen!).

In der „Charta von Paris“ im November 1990 schien der Weg zu einer demokratischen und friedlichen Entwicklung für ganz Europa vorgezeichnet.


Wir wissen, es kam dann anders.

Erst im Irak, dann auf dem Balkan – und weltweit.

In der Frage, ob und in welcher Weise sich Deutschland auch militärisch an der Eindämmung internationaler Konflikte beteiligen sollte, wurde im geeinten Deutschland heftig diskutiert. Die Positionen verliefen nicht entlang der alten Grenze zwischen Ost und West. Auch zwischen den Protagonisten der Bewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ gab es erhebliche Meinungsunterschiede und so zerbrach dann manche Gemeinschaft, die es im gemeinsamen gewaltfreien Kampf für Demokratie und die Ermöglichung freier Verantwortungswahrnahme in den 80er Jahren gegeben hatte. Die von der UNO ins Spiel gebrachte „responsibility to protect“, also die Schutzverantwortung der internationalen Staatengemeinschaft, wurde und wird bis heute sehr unterschiedlich beurteilt.

Auch zur Russlandpolitik Deutschlands gab es in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend Differenzen.


Dies ist insbesondere jetzt der Fall – nach dem nun schon zwei Jahre währenden brutalen russischen Krieg gegen die Ukraine und der sogenannten „Zeitenwende“ in Deutschland.

Ich gehöre nun zu denen, die davon überzeugt sind, dass wir der überfallenen Ukraine mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln helfen müssen, sich zu verteidigen, auch mit weitreichenden Raketen, mit Flugzeugen und allem, was es braucht, die russische Lufthoheit zu beenden. Es gilt zu verhindern, dass das ganze Land zerbombt und die wirtschaftliche Infrastruktur funktionsunfähig gemacht wird.

Hier gibt es m.E. keine gewaltfreien Wege, die Zerstörung der Ukraine und eben auch der auf internationalem Recht basierenden internationalen Ordnung zu verhindern.

Leider ist Gewaltlosigkeit nicht das Wundermittel für alle Konflikte. Der angestrebte Frieden darf nicht das auf Unterwerfung basierende Schweigen der Waffen sein. Frieden ist auch in der biblischen Botschaft mit Gerechtigkeit verbunden – also mit der Ermöglichung, das Leben in Würde und in Anerkennung der Menschenrechte zu führen.

Das heißt jedoch nicht, dass Gewaltlosigkeit heute passé wäre. Auch heute gibt es m.E. viele Bereiche für gewaltfreie Aktion. Man stelle sich nur einmal vor, wenn Palästinenser nicht wie die Hamas mit Terror und Mord auf die hoch problematische Politik Israels reagieren würden, sondern mit massenhaftem gewaltfreiem Protest wie ein Mahatma Gandhi…

Die Friedliche Revolution ist kein Modell, das woanders einfach angewandt werden könnte. Dabei bleibt jedoch für alles politische Handeln die Vorrangigkeit gewaltloser Mittel – und hier ist auch strategisch und konzeptionell noch viel zu tun. Ich kann das hier nicht ausführen.

Im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine möchte ich betonen, dass nach meiner Überzeugung auch der Einsatz militärischer Gewalt zum Schutz vor Leben zerstörenden Übergriffen und zur Durchsetzung von Recht nicht nur gerechtfertigt ist, sondern auch erforderlich. Ich glaube sogar, dass Deutschland und Europa hier noch mehr tun können und sollten, und vor allem konzeptioneller und schneller.

Gleichzeitig darf es nicht bei militärischen Anstrengungen bleiben. Unsere Solidarität braucht einen weit umfassenderen Ansatz und auch viel mehr Prävention vor künftigen Gefahren.

Das sind wir dann jedoch Themen, die hier nicht mehr in diese Laudatio gehören.

Zentral ist hier: Damals, 1980 beim Entstehen der Bewegung „Schwerter zu Pflugscharen“, dann 1989/91 und schließlich heute gilt die damals entwickelte Zielstellung eines „gerechten Friedens“, eines auf Recht gegründeten und Leben in seiner Würde erhaltenden Friedens. So, wie es das Psalmwort sagt (Ps. 85,11):

„Daß Gerechtigkeit und Friede sich küssen.“

Damit sind wir wieder bei diesem wunderbaren Emblem am Eingang dieses Schlosses, das diesen Friedenskuss darstellt und mit den Worten versieht:

„Friede ernehrt, Unfriede verzehret“ (Friede ernährt – Unfriede verzehrt)


Meine Damen und Herren,

mit dem heute verliehenen Preis wird eine gewaltfreie Bewegung in der DDR geehrt, die viel bewirkt hat und in welcher gerade junge Menschen viel Risiko und Leid auf sich genommen haben, um für ihre Überzeugungen und für eine lebenswerte Zukunft einzustehen. Harald Bretschneider und Friedrich Schorlemmer, die großen Anteil an dieser Bewegung und an ihrem Erfolg hatten, sei von Herzen gedankt!

Ich danke Ihnen!




2024-2-25 MM Rede zur Friedensethik angesichts der Ukr - Grunewaldkirche

https://demokratischer-salon.de/beitrag/friedensethik-angesichts-des-ukrainekrieges/


Rede zur Friedensethik angesichts des

Ukrainekrieges

Solidaritätsveranstaltung Grunewaldkirche Berlin

„Frieden und Freiheit für die Ukraine“

25.2.2024

Markus Meckel



Anrede

Seit zwei Jahren hören wir jeden Morgen von Bomben, Raketen und Drohnen in der vorangegangenen Nacht, die in der Ukraine Opfer fordern. Wir hören zunehmend authentische Berichte und sehen die Bilder des Schreckens.

Seit zehn Jahren kämpfen und sterben Ukrainer, die ihr Land verteidigen, von dem Präsident Putin vor zwei Jahren offen bekannte, dass er es von der Landkarte verschwinden lassen will.

Täglich sterben Zivilisten und wird lebenswichtige Infrastruktur der Ukraine zerstört.

Seit 10 Jahren herrschen in den von Russland besetzten Gebieten Terror und Zwang,

Mord und Vergewaltigung. Mehr als 20.000 Kinder wurden entführt und zwangsadoptiert, um sie ihrer Identität zu berauben und zu russischen Patrioten zu machen.

Butscha ist zum Symbol für dies Leid der russischen Besatzung geworden.


Vor zwei Jahren merkten wir in Deutschland und in der EU – manche hatten früher schon darauf hingewiesen: Unsere Vorstellungen und Begriffe von Frieden und Sicherheit stimmen nicht mehr!


Wir waren geprägt von den Worten Willy Brandts:

„Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“ Das stimmte ja unter den Bedingungen der gegenseitigen nuklearen Bedrohung des Kalten Krieges. Und die notwendige Entspannungspolitik und der KSZE-Prozess trugen zum Ende des Kalten Krieges bei. Dann endete er.

In Ostmittel – und Südosteuropa setzten sich Freiheit und Demokratie durch.

Das Jahr 1989 veränderte nicht nur den Osten, sondern ganz Europa.

Wir in Deutschland hatten vor 35 Jahren die Friedliche Revolution, welche das Tor öffnete für die Deutsche Einheit.

Wir Ostdeutschen und die neuen Demokratien hatten bald oder nach einigen Jahren die Chance, in der EU und in der Nato gemeinsam in Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie zu leben.

Die Kirchen in der DDR hatten sich 1988/89 in der Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung für einen „gerechten Frieden“ ausgesprochen – ein Begriff, der fortan die christliche Friedensethik prägte.

Das Ende des Kalten Krieges war mit großen Hoffnungen verbunden, was Frieden und Sicherheit betrifft. Ost und West reichten sich im Herbst 1990 in der „Charta von Paris“ die Hände und bekannten sich zu den Menschenrechten und zum Völkerrecht als Grundlage der internationalen Beziehungen.

Eine Friedensdividende schien möglich, um sich den anderen globalen Herausforderungen zuzuwenden und die finanziellen Mittel in diese Bereiche umzuschichten.

Die Hoffnungen auf ein Zeitalter des Friedens erfüllten sich nach 1990 nicht.

Der Schock kam schon 1991 und begann auf dem Balkan. Die Älteren werden sich erinnern, als plötzlich die Frage im Raum stand, was wir tun können und sollten, um dem serbischen Präsidenten Milosevic Einhalt zu gebieten, die bisherigen Bruderstaaten in Jugoslawien und dann insbesondere das Kosovo mit Krieg und Vertreibung, also mit „ethnischer Säuberung“ - wie es damals hieß - zu überziehen.

Ich erinnere mich an viele Gespräche und Diskussionen in der ganzen Gesellschaft, in den Parteien und auch in unseren Kirchen, in denen wir darum gerungen haben, was in einer solchen Situation ethisch geboten ist. Der Schutz von Menschen war hier die zentrale Aufgabe, die wir als internationale Aufgabe neu definieren mussten. Die Vereinten Nationen sprachen hier von der Schutzverantwortlichkeit, der „responsibility to protect“.

Die Frage war, ob die Bundeswehr sich an militärischen Einsätzen beteiligen sollte, um Milosevic zu stoppen und an weiteren Verbrechen zu hindern.

Schon Anfang der 90er Jahre bin ich dann für unsere Beteiligung daran eingetreten, war ich doch überzeugt, dass wir uns dieser Verantwortung nicht entziehen dürfen.


Seit zwei Jahren sind wir mit den Überfall Russlands auf sein Nachbarland, die Ukraine, konfrontiert. Angesichts dieses umfassenden Krieges gegen ein ganzes, riesiges Land mit seiner Zivilbevölkerung sprach der Kanzler von der Notwendigkeit einer Zeitenwende.

In dieser konkreten Situation, die an den deutschen Überfall auf Polen vor 85 Jahren erinnert, gehört nun alles auf den Prüfstand, was wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten als Orientierung gewonnen hatten.

„Keine Waffen in Krisengebiete“ z.B. war uns ein wichtiges Prinzip geworden.

Was aber nun, wenn das Opfer eines Angriffskrieges, heute die Ukraine, sich ohne Waffen nicht wehren kann? Können wir dafür die Verantwortung übernehmen, dass dieses Volk sich nicht verteidigen kann und deshalb unterworfen, seiner Eigenständigkeit und Unabhängigkeit beraubt wird und unmenschliche Verbrechen an den Menschen dieses Volkes begangen werden? Dürfen wir da einfach zusehen? Im zivilen Recht kann man auch wegen „unterlassener Hilfeleistung“ straffällig werden. Lädt man nicht auch international in solchem Fall Schuld auf sich?


Auch wir treten - damals wie heute - für den Frieden ein und als Christen beten wir für ihn.

Doch gilt es zu sagen, welchen Frieden wir meinen!

Frieden ist mehr als das alleinige Schweigen von Waffen. Uns wird heute mehr und mehr klar: auch ein Waffenstillstand zur falschen Zeit kann die Zukunft eher verbauen als eröffnen.

Der Frieden, den wir suchen, ist auch nicht die „pax Romana“ - so nannten die alten Römer ein erobertes und damit befriedetes Gebiet oder Land. Ein Frieden also, in welchem denen, die dort leben, Freiheit und Möglichkeiten selbstbestimmten Lebens genommen sind.

Das aber ist nicht der Frieden, der Schalom, von dem die Bibel und auch Jesus sprechen.

In diesem ist eingeschlossen, dass die Verhältnisse dem Menschen in seiner Geschöpflichkeit, in seiner Gottesebenbildlichkeit und damit seiner Würde entsprechen und gerecht werden.

Die Frucht der Gerechtigkeit wird Frieden sein und der Ertrag der Gerechtigkeit Ruhe und Sicherheit auf immer. Jes. 32,17


Friedenshandeln ist nicht einfach die Umsetzung scheinbar fester Prinzipien wie das der Gewaltlosigkeit ist, sondern muss auf die oft komplexe Situation bezogen ganz konkret menschendienlich sein. Auch unsere große Erfahrung, unsere gewaltlose, friedliche Revolution von 1989, die so viel an Zukunft eröffnet hat, ist kein Schema, das einfach übertragen werden kann.

So kann es geschehen, dass wir vor der Wahl stehen zwischen Pest und Cholera, und deshalb tun wir uns verständlicherweise so schwer.

Wissend, dass Krieg und militärische Gewalt immer unschuldiges Leid mit sich bringen, kann es doch geboten sein, zur Durchsetzung des Rechts und zum Schutz von Menschen auch Gewalt, also militärische Mittel einzusetzen. Die Friedensdenkschrift der EKD hat dies dann im Jahr 2007 nach intensiven Diskussionen auch so gesehen.

Und gleichzeitig bleibt die Orientierung darauf, der Option für Gewaltlosigkeit den Vorrang zu geben, wenn auch so die entsprechenden Ziele zu erreichen sind.

Doch sind sie es heute?


Wer wünschte nicht, es wäre einfacher.

Und so stellen wir fest, dass sich Menschen unter dem Evangelium unterschiedlich entscheiden. In der Frage der Waffenlieferungen und dem Sinn von Verhandlungen in dieser Situation gibt es in unserer Gesellschaft und in unseren Kirchen verschiedene Positionen. Das müssen wir gegenseitig aushalten und dann doch beieinanderbleiben – im Bekenntnis von Schuld, die wir nicht vermeiden können.

Denn das ist deutlich: Die Verweigerung der Beteiligung, etwa durch Waffenlieferungen, ist auch kein „Waschen der Hände in Unschuld“! Auch das Nichthandeln, das andere Tod und Verbrechen aussetzt, bedeutet Schuld.

Gleichzeitig gilt es, beieinander zu bleiben im Streit um den rechten Weg, im Gebet um Frieden und in der Hoffnung auf ihn.

Gleichzeitig aber gilt es zu handeln! Und eben auch zu entscheiden!


Mit der Russischen Orthodoxen Kirche verbinden uns seit Jahrzehnten bestehende Dialoge und Kontakte. Was aber nun, wenn deren Patriarch Kyrill den Angriffskrieg unterstützt und regelrecht zum „heiligen Krieg“ erklärt? Gewiss, es gibt glücklicherweise in Russland und in der Russisch-Orthodoxen Kirche auch andere Positionen, aber es sind wenige und sie haben es sehr schwer, die Stimme zu erheben und gehört zu werden! Wie gehen wir heute in der Ökumene damit um?

Wo ist Dialog noch möglich und wo versagt er?


Müssen wir uns nicht an die Seite der Opfer stellen und helfen, dem Aggressor in den Arm zu fallen mit allen Möglichkeiten, die uns dafür zur Verfügung stehen? Dietrich Bonhoeffer rief den Kirchen seiner Zeit zu, dass es nicht nur christliche Aufgabe ist, den unter die Räder Gekommenen zu helfen, sondern dem Rad in die Speichen zu greifen – und den Bösen selbst zu hindern. Eigentlich müssten wir die Ukraine, das Opfer, selbst mit verteidigen - was wir (anders als damals bei Milosewic in den 90er Jahren) nicht können, weil Russland Nuklearstaat ist. Ich gestehe, ich bin der Überzeugung, dass wir dann aber der Ukraine alles geben müssen, was es braucht, um sich zu verteidigen, einschließlich weitreichender Waffen wie dem „Taurus“ und auch Flugzeugen und Abwehrwaffen, die den Russen die Lufthoheit über der Ukraine nehmen.

Es gilt auch zu sehen:

Wir sind ja im Grunde auch selbst betroffen – will Russland ja nicht nur die Ukraine unterwerfen, sondern auch die auf Völkerrecht beruhende internationale Weltordnung zerstören. Man schaue sich einmal die Landkarte an, was es bedeuten würde, der Aggressionsstaat Russland würde siegen und sich die Ukraine einverleiben… - wir könnten uns ausrechnen, wer die nächsten Opfer sind.

Ich bin überzeugt – was wir heute nicht zu tun bereit sind, kostet heute schon Menschenleben, wird morgen nicht nur teurer, sondern erfordert dann auch weit größere Opfer, in der Ukraine und wohl auch darüber hinaus!


Doch die Ukraine braucht nicht nur militärische Hilfe! Und wir müssen natürlich auch über die militärische Dimension hinausschauen. Frieden betrifft weit mehr! Die Ukraine braucht die Unterstützung für die Hunderttausenden Flüchtlinge und wir sind dankbar für die vielfältige Hilfe, die sie in unserer Gesellschaft und auch in den christlichen Gemeinden erfahren! Gleichzeitig halte ich es für einen politischen Fehler, dass nicht auch Russen und Belarusen, die als Demokraten oder Wehrdienstverweigerer diesen Diktaturen entfliehen, die gleichen Möglichkeiten bei uns erhalten wie die Ukrainer.

Die Ukraine braucht langfristig verlässliche Hilfe für den Wiederaufbau, für Stabilität und Sicherheit – und das schaffen wir nur durch die Integration in die EU und auch in die NATO. Dies sollten wir schon heute so deutlich sagen und vorbereiten!

Nicht alles wird öffentlich finanziert werden können – und private Investitionen wird es nur geben, wenn die Sicherheit gewährleistet ist. Die Ukrainer brauchen eine Partnerschaft auf Augenhöhe und die Anerkennung des Rechts der Menschen, in Würde zu leben und zu uns zu gehören.




Meine Damen und Herren,

eine Ethik des Friedens kann keine Rezepte liefern, die einfach nur anzuwenden sind.

Dietrich Bonhoeffer war sich nach intensivem Ringen um den rechten Weg am Ende seiner Sache sehr sicher, im konkreten Jetzt das Nötige zu tun.

Dietrich Bonhoeffer war in den 30er Jahren immer mehr im Hören auf die Bergpredigt zum Pazifisten geworden war, entschlossen, den Wehrdienst zu verweigern. Dabei war klar, darauf stand unter Hitler die Todesstrafe. Schließlich aber entschied er sich anders. So unterstützte er im politischen Widerstand gegen Hitler das geplante Attentat - wissend um die Schuld, die man so auf sich lädt. Aber er hielt dies dann doch nicht nur für vertretbar, sondern für geboten.

Er trat dafür ein, den Mörder an weiteren Morden zu hindern.

Die Kirche seiner Zeit hat dies – und damit auch ihn damals, deshalb scharf kritisiert und seinen politischen Weg abgelehnt. Wir sehen das heute anders.

Im Tun des als rechtens Erkannten gibt es keine letzte Sicherheit – und als Christ sage ich, es gibt aber die Zuversicht und die Bitte an Gott, dass er sich unser erbarme.


Im Bundestag sprach zum Holocaust-Gedenken der Sohn eines Überlebenden, Marcel Reif. Er erzählte davon, dass sein Vater über seine Erfahrungen im KZ kaum gesprochen habe. Aber eine Botschaft habe er ihm weitergegeben –

„Sei ein Mensch!“

Menschsein aber heißt: Mitmensch sein! Ein Mensch, der Verantwortung übernimmt und sich dem Mitmenschen zuwendet und ihm beisteht.

Ein Mensch, der beschützt und ihn trägt, wo er kann,

der dem friedlichen Zusammenleben dient und nach Versöhnung und Zukunft sucht.


Eigentlich bin ich am Schluss dieser Rede angekommen – möchte aber doch mit dem Stichwort der Versöhnung noch auf ein Thema kommen, dass heute in den Briefen von Ukrainerinnen zur Sprache kam: ich meine den Hass auf Russland und die Russen.

Als Deutscher muss ich bekennen, dass die große Mehrheit meines Volkes in der Zeit des Nationalsozialismus den Krieg und die Verbrechen unterstützt und begangen haben. Der politische Widerstand war klein, denn er war lebensgefährlich – wie das in einer kriegführenden Diktatur so ist. Nur wenige im Westen haben ihn anerkannt – so der mit Dietrich Bonhoeffer befreundete Bischof von Chichester in England, George Bell. Trotzdem haben wir Deutschen in den folgenden Jahrzehnten vielfältige Versöhnung erfahren. Dafür war zentral, eigene Schuld zu bekennen – denn Versöhnung braucht Wahrheit. Und es hat lange Zeit gedauert. Doch gilt das auch für die Zukunft mit Russland – Russland bleibt Nachbar und Versöhnung mit einem demokratischen Russland ist auch hier unsere Hoffnung. Der Weg dahin aber wird weit sein und viele Anstrengungen brauchen.

Heute jedoch gilt es, Sicherheit vor Russland zu gewährleisten und so Frieden zu schaffen.


So stehen wir heute unverbrüchlich an der Seite der Ukraine, dem Opfer der russischen Aggression und Verbrechen!


Ich danke Ihnen!

2024 MM Predigt St. Ansgarwoche 4.2.2024

Predigt zur St. Ansgar-Woche Hamburg

Gr. Michel am 4. Februar 2024

Markus Meckel

 

Die Frucht der Gerechtigkeit wird Frieden sein und der Ertrag der Gerechtigkeit Ruhe und Sicherheit auf immer. Jes. 32,17

 

Liebe Gemeinde,

 

In diesem Jahr jährt sich das annus mirabilis - das denkwürdige Jahr 1989 zum 35. Male. Ein Jahr, in dem Freiheit und Demokratie in Mitteleuropa und eben auch in der DDR siegten, wodurch die deutsche Einheit möglich wurde und sich das Gesicht Europas grundlegend veränderte.

Ich weiß nicht, wie Sie das wahrgenommen haben. Für mich ist diese Zeit damals immer noch ein Wunder - und ein Geschenk Gottes! 45 Jahre, nachdem wir Deutschen so viel Schrecken und Tod über ganz Europa und darüber hinausgebracht haben, und nach Jahrzehnten der Diktaturerfahrung und des Kalten Krieges, der deutschen und der europäischen Teilung wurde es möglich, dass wir uns in Freiheit vereinigen - und das mit Akzeptanz aller unserer Nachbarn, die so viel von uns erlitten haben.

Ich nenne das die Glücksstunde der Deutschen im 20. Jahrhundert und bin zutiefst dankbar dafür!

 

Diese Ereignisse damals sind nicht einfach vom Himmel gefallen, sondern hatten eine lange Vorgeschichte, die jeweils bis heute unterschiedlich beschrieben wird. Gewiss wäre hier vieles zu nennen.

Heute möchte ich hier an die Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung in den Jahren 1988/1989 in der DDR erinnern. Während damals im Westen Deutschlands nur Gruppen in den Kirchen den konziliaren Prozess aufgriffen, waren in der DDR an dieser Versammlung in ökumenischer Gemeinschaft alle in der DDR existierenden und in der ACK (Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen) verbundenen Kirchen beteiligt. Sie schickten jeweils Delegierte. Das Erstaunliche war dann, dass diese schließlich nicht nur allgemeine Aussagen mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner beschlossen. So wurde die Versammlung selbst und ihre Botschaften gewissermaßen zu einem prophetischen Ereignis. Sie schloss im April 1989 ihre Arbeit ab und verabschiedete Texte, die damals weit über die kirchliche Öffentlichkeit Beachtung fanden – nicht zuletzt bei der herrschenden SED. Ihr folgte dann in Basel im Mai 1989 die Europäische Ökumenische Versammlung. Ich konnte damals an beiden teilnehmen und sie sind für mich zu einem unvergesslichen Erlebnis geworden.

Die Inhalte der Versammlung flossen ein in die programmatischen Forderungen in der Friedlichen Revolution, viele ihrer Teilnehmer wurden im Herbst 1989 zu wichtigen Akteuren, so dass Historiker diese Versammlung mit Recht in die unmittelbare Vorgeschichte dieser Friedlichen Revolution einordnen.

So wurden die Kirchen personell und programmatisch, aber auch durch Kundgebungen und Versammlungen zu einem wichtigen Ausgangspunkt und Faktor des gesellschaftlichen Umbruchs hin zu Freiheit und Demokratie. Kerzen wurden zu ihrem Symbol.

Das ist in der deutschen Geschichte schon etwas besonderes!

 

Doch hat sich die Bedeutung dieser Versammlungen damit nicht erübrigt.

Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sind auch heute für uns zentrale Herausforderungen, die nach wie vor auch etwas mit unserem Glauben, mit uns als Kirche zu tun haben.

Weder die soziale Frage, die der Gerechtigkeit, noch die Bewahrung der Schöpfung, also die Klimafrage, sind für uns erledigt. Ihre Dringlichkeit steht uns heute noch weit stärker vor Augen und viele aktuelle gesellschaftlichen Konflikte haben unmittelbar damit zu tun.

Das Gleiche gilt für die Fragen des Friedens.

Auch damals brannte uns diese Frage auf den Nägeln. Dann endete der Kalte Krieg. Das war mit großen Hoffnungen verbunden, was Frieden und Sicherheit betrifft. Ost und West reichten sich im Herbst 1990 in der „Charta von Paris“ die Hände und bekannten sich zu den Menschenrechten und zum Völkerrecht als Grundlage der internationalen Beziehungen.

Eine Friedensdividende schien möglich, um sich den anderen globalen Herausforderungen zuzuwenden und die finanziellen Mittel in diese Bereiche umzuschichten.

Endlich schien möglich, was schon die erste Vollversammlung des Ökumenischen Rates 1948 in Amsterdam bekannt hatte: Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!

In der Ökumenischen Versammlung hatten wir von der notwendigen „Umkehr in den Schalom“ gesprochen. Da heißt es z.B.: „Die Menschheit muss sich in ihrer Verflochtenheit als Überlebensgemeinschaft organisieren in einer verbindlichen Rechtsgestalt, die den Schwächeren schützt und Konflikte politisch löst.“

Wir traten für eine „vorrangige Option für die Gewaltfreiheit“ ein und wollten uns leiten lassen von der Perspektive eines „gerechten Friedens“.

Wie Jesaja spricht auch Psalm 85 in dem schönen Bild, dass „Frieden und Gerechtigkeit sich küssen“, von dem grundlegenden Zusammenhang von Recht, Gerechtigkeit und Frieden. Als jemand, der als Jugendlicher in der DDR den Wehrdienst total verweigert hatte (also auch den Dienst bei den Bausoldaten), war mir dieser Zusammenhang außerordentlich wichtig.

Dieses Friedensverständnis setzt sich klar ab von der Vorstellung von Frieden als dem alleinigen Schweigen von Waffen.

Noch mehr aber unterscheidet sich dieser umfassende Friedensbegriff von der berühmten „pax Romana“ - so nannten die alten Römer ein erobertes und damit befriedetes Gebiet oder Land. Ein Frieden also, in welchem denen, die dort leben, Freiheit und Möglichkeiten selbstbestimmten Lebens genommen sind.

Das aber ist nicht der Frieden, der Schalom, von dem die Bibel und auch Jesus sprechen.

In diesem ist eingeschlossen, dass die Verhältnisse dem Menschen in seiner Geschöpflichkeit, in seiner Gottesebenbildlichkeit und damit seiner Würde entsprechen und gerecht werden.

 

Die Hoffnungen auf ein Zeitalter des Friedens erfüllten sich nach 1990 nicht.

Der Schock kam schon 1991 und begann auf dem Balkan. Die Älteren werden sich erinnern, als plötzlich die Frage im Raum stand, was wir tun können und sollten, um dem serbischen Präsidenten Milosevic Einhalt zu gebieten, die bisherigen Bruderstaaten in Jugoslawien und dann insbesondere das Kosovo mit Krieg und Vertreibung, also mit „ethnischer Säuberung“ - wie es damals hieß - zu überziehen.

Ich erinnere mich an viele Gespräche und Diskussionen in der ganzen Gesellschaft, in den Parteien und auch in unseren Kirchen, in denen wir darum gerungen haben, was in einer solchen Situation ethisch geboten ist. Der Schutz von Menschen war hier die zentrale Aufgabe, die wir als internationale Aufgabe neu definieren mussten. Die Vereinten Nationen sprachen hier von der Schutzverantwortlichkeit, der „responsibility to protect“.

Die Frage war, ob die Bundeswehr sich an Einsätzen beteiligen sollte, um Milosevic zu stoppen und an weiteren Verbrechen zu hindern.

Damals wurde ich an Dietrich Bonhoeffer erinnert, der in den 30er Jahren immer mehr im Hören auf die Bergpredigt zum Pazifisten geworden war, entschlossen, den Wehrdienst zu verweigern. Dabei war klar, darauf stand unter Hitler die Todesstrafe. Schließlich aber entschied er sich anders - und unterstützte im Widerstand gegen Hitler das geplante Attentat - wissend um die Schuld, die man so auf sich lädt. Aber er hielt dies dann doch nicht nur für vertretbar, sondern für geboten.

 

Anfang der 90er Jahre bin ich dann schon früh dafür eingetreten, dass wir Deutschen uns daran beteiligen sollten, auch mit militärischen Mitteln den Schutz der Kosovaren durchzusetzen.

Mir wurde klar, dass Friedenshandeln nicht einfach die Umsetzung scheinbar fester Prinzipien wie der Gewaltlosigkeit ist, sondern auf die oft komplexe Situation bezogen ganz konkret menschendienlich sein muss.

So kann es geschehen, dass wir vor der Wahl stehen zwischen Pest und Cholera, und deshalb tun wir uns verständlicherweise so schwer.

Wissend, dass Krieg und militärische Gewalt immer unschuldiges Leid mit sich bringt, kann es doch geboten sein, zur Durchsetzung des Rechts und zum Schutz von Menschen auch solche Mittel einzusetzen. Die Friedensdenkschrift der EKD hat dies dann im Jahr 2007 nach intensiven Diskussionen auch so gesehen.

Und gleichzeitig bleibt die Orientierung darauf, der Option für Gewaltlosigkeit den Vorrang zu geben, wenn auch so die entsprechenden Ziele zu erreichen sind.

 

Wer wünschte nicht, es wäre einfacher. Und so bleibt es real, dass Menschen sich unter dem Evangelium unterschiedlich entscheiden. Wichtig bleibt dabei, dass wir das gegenseitig aushalten und beieinanderbleiben – im Bekenntnis von Schuld, die wir nicht vermeiden können. Denn auch das Nichthandeln, das andere Tod und Verbrechen aussetzt, bedeutet Schuld.

So bleiben wir beieinander im Gebet um Frieden und in der Hoffnung auf ihn. Gleichzeitig aber gilt es zu handeln!

 

Seit nun fast zwei Jahren sind wir mit den Überfall Russlands auf sein Nachbarland, die Ukraine, konfrontiert. Angesichts dieses umfassenden Krieges gegen ein ganzes, riesiges Land mit seiner Zivilbevölkerung sprach der Kanzler von der Notwendigkeit einer Zeitenwende.

In dieser konkreten Situation, die an den deutschen Überfall auf Polen vor 85 Jahren erinnert, gehört nun alles auf den Prüfstand, was wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten als Orientierung gewonnen hatten.

„Keine Waffen in Krisengebiete“ z.B. war uns ein wichtiges Prinzip geworden - Was aber nun, wenn das Opfer eines Angriffskrieges, heute die Ukraine, sich ohne Waffen nicht wehren kann? Können wir dafür die Verantwortung übernehmen, dass dieses Volk sich nicht verteidigen kann und deshalb unterworfen, seiner Eigenständigkeit und Unabhängigkeit beraubt wird und unmenschliche Verbrechen an den Menschen dieses Volkes begangen werden? Wir haben die Bilder von Butscha gesehen. Dürfen wir da einfach zusehen? Im zivilen Recht kann man auch wegen „unterlassener Hilfeleistung“ straffällig werden. Lädt man nicht auch international in solchem Fall Schuld auf sich?

 

Mit der Russischen Orthodoxen Kirche verbinden uns seit Jahrzehnten bestehende Dialoge und Kontakte. Was aber nun, wenn deren Patriarch Kyrill den Angriffskrieg unterstützt und regelrecht zum „heiligen Krieg“ erklärt? Gewiss, es gibt glücklicherweise in Russland und in der Russisch-Orthodoxen Kirche auch andere Stimmen, aber es sind wenige und sie haben es sehr schwer! Wie gehen wir heute in der Ökumene damit um?

Wo ist Dialog noch möglich und wo versagt er?

 

Müssen wir uns nicht an die Seite der Opfer stellen und helfen, dem Aggressor in den Arm zu fallen mit allen Möglichkeiten, die uns dafür zur Verfügung stehen? Eigentlich müssten wir sie mit verteidigen - was wir (anders als damals bei Milosewic) nicht können, weil Russland Nuklearstaat ist. Ich gestehe, ich bin der Überzeugung, dass wir dann aber der Ukraine alles geben müssen, was es braucht, um sich zu verteidigen, einschließlich weitreichender Waffen wie dem „Taurus“ und auch Flugzeugen.

Es gilt auch zu sehen:

Wir sind ja im Grunde auch selbst betroffen – will Russland ja nicht nur die Ukraine unterwerfen, sondern auch die auf Völkerrecht beruhende internationale Weltordnung zerstören. Man schaue sich einmal die Landkarte an, was es bedeuten würde, der Aggressionsstaat Russland würde siegen und sich die Ukraine einverleiben… - wir könnten uns ausrechnen, wer die nächsten Opfer sind.

Doch die Ukraine braucht nicht nur militärische Hilfe! Und wir müssen natürlich auch über die militärische Dimension hinausschauen. Frieden betrifft weit mehr! Die Ukraine braucht die Unterstützung für die Hunderttausenden Flüchtlinge und wir sind dankbar für die vielfältige Hilfe, die sie in unserer Gesellschaft und auch in unseren Gemeinden erfahren! Die Ukraine braucht langfristig verläßliche Hilfe für den Wiederaufbau, für Stabilität und Sicherheit – und das schaffen wir nur durch die Integration in die EU und auch in die NATO. Nicht alles wird öffentlich finanziert werden können – und private Investitionen wird es nur geben, wenn die Sicherheit gewährleistet ist. Die Ukrainer brauchen eine Partnerschaft auf Augenhöhe und die Anerkennung des Rechts der Menschen, in Würde zu leben und zu uns zu gehören.

 

Liebe Gemeinde,

die Friedensbotschaft Jesu ist kein Prinzip, kein Rezept, das einfach anzuwenden ist. Jesus gibt uns Beispiele und Orientierungen. Seine Botschaft bringt uns seine Menschlichkeit nahe, die im Namen Gottes dem Menschen dienlich ist.

In all den schwierigen Fragen, die ich aufgeworfen habe, kann ich vielleicht selbst Gewissheit gewinnen, was – gerade auch von den Folgen des Handelns her – hier und heute zu tun ist, doch bleibt der Stachel, dass auch der mit einer anderen Entscheidung, auch tragende Orientierungen haben könnte.

Dietrich Bonhoeffer war sich am Ende seiner Sache sehr sicher, im konkreten Jetzt das Nötige zu tun. So beteiligte er sich am Widerstand und befürwortete das Attentat auf Hitler. Es galt ihm, dem Mörder am weiteren Morden zu hindern.

Die Kirche seiner Zeit hat dies – und damit auch ihn damals, darin scharf kritisiert und einen Weg abgelehnt. Wir sehen das heute anders.

Im Tun des als rechtens Erkannten gibt es keine letzte Sicherheit – aber doch die Zuversicht und die Bitte an Gott, dass er sich unser erbarme.

 

Im Bundestag sprach in dieser Woche zum Holocaust-Gedenken der Sohn eines Überlebenden, Marcel Reif. Er erzählte davon, dass sein Vater über seine Erfahrungen im KZ kaum gesprochen habe. Aber eine Botschaft habe er ihm weitergegeben –

„Sei ein Mensch!“

Menschsein aber heißt: Mitmensch sein! Ein Mensch, der sich dem Mitmenschen zuwendet und ihm beisteht.

Ein Mensch, der beschützt und ihn trägt, wo er kann,

der dem friedlichen Zusammenleben dient und nach Versöhnung und Zukunft sucht.

 

Amen

2023-10-27 -Gedenkrede MMeckel für Werner Schulz, Universität Leipzig

Hier weiteres Gedenken an Werner Schulz: https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/515415/fuenf-gedanken-ueber-werner-schulz/

Gedenken an Werner Schulz (22. Januar 1950 – 9. Nov. 2022)

Universität Leipzig

Markus Meckel

  1. Oktober 2023

 

Anrede

„Menschen wie ihm, die es wagten der SED-Ideologie zu widersprechen und widerständig lebten und für diese Haltung ihre Freiheit riskierten, verdanken auch wir unsere spät gewonnene Freiheit.

Wir haben einen aufrichtigen, unbestechlichen und unbeugsamen Menschen verloren. Seine Stimme wird uns fehlen. Die Erinnerung an ihn, sein Mut, seine Wahrheitsliebe und Charakterstärke sollten uns Orientierung sein.“

Dies sagte Werner Schulz vor zehn Jahren hier in der Leipziger Nikolaikirche in seiner Trauerrede über Erich Loest. Die gleichen Worte können heute über ihn selbst gesagt werden.

Ich bin sehr dankbar für die Einladung, in dieser Gedenkstunde über den Freund Werner Schulz sprechen zu dürfen.

Auch dieser Ort ist wichtig, denn Werner hat sich in dieser Trauerrede hinter Loests Anliegen gestellt, das Bild von Reinhard Minkewitz mit den aufrechten und verfolgten Studenten und Professoren der Leipziger Universität aufzuhängen und damit an eine alte Leipziger Tradition des Widerstands und des Eintretens für die Freiheit zu erinnern. Werner Schulz erwähnt auf dem Bild Herbert Belter (links im Bild), einen Leipziger Studenten, der Flugblätter und Informationen weitergegeben hatte und gegen den Verlust der Gewissens-, Rede- und Pressefreiheit aufgetreten war. Seine Mitstreiter wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt – er selbst zum Tode und 1951 in Moskau erschossen, wo er wie viele auf dem Donskoj-Friedhof begraben wurde. In dem von der Bundesstiftung unterstützten Buch „Erschossen in Moskau“ können sie seine und Hunderte andere Kurzbiografien lesen von Menschen, die heute leider keiner mehr kennt. Dabei können Sie dem Kreis der Weißen Rose in München an die Seite gestellt werden.

An Werner Schulz zu erinnern und seines Lebens zu gedenken, heißt immer auch, an solche Widerstands- und Freiheitsgeschichte zu erinnern, die ihm wichtig war. In diese Geschichte gehört auch der Widerstand vieler Leipziger und auch der Kirchen gegen die Sprengung der Leipziger Universitätskirche 1968. Werner Schulz hat sich nicht als Solitär verstanden – sondern in solcher Geschichte stehend und er bestand darauf, dass sie erinnert, gelehrt und bewusst gemacht wird.

In der ihm eigenen Klarheit war ihm wichtig, dass neben dem Gedenken an die Opfer des Kommunismus auch an Opposition und Widerstand erinnert wird. Ihm war wichtig, dass die langen Linien dieser Freiheitstradition stärker ins Bewusstsein gebracht werden, von der Burschenschaftsbewegung über das Revolutionsjahr 1848 zum Gedenken an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus und dann eben gegen die kommunistische Diktatur. Er ist mit starken Worten dafür eingetreten, dass der Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin, gegenüber dem Pariser Platz, an den 18. März erinnert – und er dachte hier nicht nur an 1848, sondern auch an die erste freie Wahl in der DDR 1990 als Ergebnis der Friedlichen Revolution in der DDR. Es wird wichtig sein, dies Gedenken nicht allein im Horizont der Staatssicherheit zu verstehen – es ist weit grundsätzlicher!

Über viele Jahre war Werner Mitglied im Stiftungsrat der Bundesstiftung Aufarbeitung. Schon in der Zeit der demokratischen DDR nach der freien Wahl und dann im Deutschen Bundestag hat er sich für die notwendige Aufarbeitung der Diktatur und die Rehabilitation und Entschädigung der Opfer ausgesprochen.  Für ihn gehörte dies zum Aufbau glaubwürdiger demokratischer Strukturen, in Deutschland wie auch andernorts.

„Die Geschichte qualmt noch“ – so hat Werner es beschrieben und den Streit um sie als eine Gestaltungsaufgabe der Zukunft angesehen. Denn nur so wird deutlich, welchen Werten wir verpflichtet sind und wie Menschen vor uns große Risiken und gar ihr Leben gegeben haben, um diese Werte zur Basis unserer Gestaltung zu machen.

In wenigen Tagen, am Tag des Mauerfalls jährt sich der Todestag von Werner Schulz. Wir waren auf Schloss Bellevue beim Bundespräsidenten zu Gast, um über die vielfältige und gebrochene Bedeutung dieses Datums in der deutschen Geschichte nachzudenken. Wir sprachen beim Hineingehen noch miteinander. Das war ihm ein wichtiges Thema, war er doch früher dafür eingetreten, dass dieser Tag (statt des 3. Oktober) Nationalfeiertag werden sollte. Und dann bricht er zusammen und stirbt. Es war ein schlimmer Schock.

Eine Teilnehmerin, die ihn gut kannte, sagte später der betroffenen Runde: „Das ist Werner, an einem solchen Tag zu gehen…“. Ja, dieser 9. November, der ihm so wichtig war, wurde zu seinem Todestag und die ihn liebten und schätzten, werden ihn wohl künftig immer so begehen, dass er an diesem Tag auch mit in den eigenen Gedanken ist.

 Wir gedenken heute eines mutigen und profilierten Streiters für Freiheit und Demokratie, eines eigenständig denkenden und streitbaren Politikers mit Haltung, der sich für seine Überzeugungen einsetzte, auch da, wo er sich mit anderen rieb -und das konnte auch die eigene Partei sein.

 Kennengelernt haben Werner und ich uns in den 80er Jahren, als er begann, in einem der profiliertesten Friedenskreise Berlins mitzuarbeiten (heute würde man von einer Oppositionsgruppe reden, da das Themenspektrum weit über die Friedensfrage hinausging), dem Friedenskreis Pankow um Ruth und Hans Misselwitz. Hier erlebte er die Anfänge der Friedlichen Revolution, die er auch eine „protestantische Revolution“ nannte. Die Kirche war nun wahrhaftig nicht die Macherin der Revolution – das wäre auch nie ihre Aufgabe, aber er schätzte die Rolle der Kirchen hoch ein – insbesondere das in dem Friedenskreis erlebte Zeugnis der Wahrheit, die Diskursfähigkeit, die Zivilcourage und die Solidarität. Durch die Arbeit im Friedenskreis eröffneten sich für ihn auch die Botschaften des Glaubens neu. Hier wuchs die zunehmende Bereitschaft zum offenen Wort – und er wurde zu einem Meister solch offenen Wortes. „Wenn sie schweigen, werden die Steine schreiben“ – so heißt es in der Bibel (Lk. 19,40), und dies könnte man gewissermaßen als eine Maxime ansehen, der er sich zutiefst verpflichtet fühlte: Die Dinge offen beim Namen zu nennen!

Im Rückblick sagte er zur Friedensfrage in diesem Kreis:

"„Keine Gewalt“ - das ist ein Grundmotiv des Friedenskreises gewesen und das wäre heute in unserer Gesellschaft nach wie vor eine ganz wichtige Aufgabe. Z.B. die Fragen, wie kann man gewaltlos miteinander leben kann, verschiedene Kulturen, verschiedene Lebensansprüche. Das sind Fragen, warum die Gewalt in der Gesellschaft zunimmt, welche Ursachen das hat, wie man sie eindämmt, das ist ja nicht nur rechtsextremistische Gewalt, das ist strukturelle Gewalt, die man an verschiedenen Stellen erlebt. Die Aufgabe eines solchen Kreises – wie der Pankower es war - ist aktueller denn je, und diese ist nicht unpolitisch."

Das konnte Werner sagen, weil er kein Maler in „Schwarz-Weiß“ war, sondern genau differenzierte. Gewaltlosigkeit und die Frage der Minimierung von Gewalt blieb für ihn ein wichtiges Thema, auch wenn er schon früh durch die neuen Erfahrungen auf dem Balkan der 90er Jahre lernte anzuerkennen, dass militärische Gewalt nicht grundsätzlich abzulehnen ist.

Schon 1993 gehörten wir beide in unseren jeweiligen Parteien zu der kleinen Minderheit, die sich für das militärische Eingreifen auch Deutschlands gegen Milosevic in Bosnien einsetzte – und mit der Regierung Kohl stimmten. Das hat zu mancher schmerzhaften Auseinandersetzung mit früheren Mitstreitern geführt, die an ihren pazifistischen Positionen festhielten.  

Das galt dann auch bei späteren Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Schon früh trat er auch für eine vorbehaltlose Unterstützung der Ukraine ein und war schon vor dem russischen Überfall auf die Ukraine dafür, ihr auch Waffen zu liefern, damit sie sich verteidigen könne. Aus der Geschichte zu lernen, bedeutete für ihn nicht, jedweden Einsatz von Waffen abzulehnen, sondern einem möglichen Aggressor frühzeitig wirksam entgegenzutreten und Demokratie und Freiheit zu schützen.

Werner erzählte von sich, dass sein politisches Erwachen wie bei vielen von uns mit dem Prager Frühling 1968 begann. Wenige Wochen vor dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Vertrages in der Tschechoslowakei war er als Jugendlicher für zwei Wochen in Prag – und war fasziniert von der Freiheit und Offenheit dieses „Sozialismus mit menschlichem Gesicht“. Das „Manifest der 2000 Worte“ – ein von zahlreichen Intellektuellen unterzeichnetes Plädoyer für politische Reformen –begeisterte ihn. Für einen solchen (!) Sozialismus wollte er eintreten – doch da dieser nicht möglich war, wuchs seine Entfremdung zu Staat und System in der DDR. Für ihn zog sich hier eine Linie bis 1989. Nach seinem Studium verweigerte er den Dienst in der Volksarmee und wurde Bausoldat.

Im Herbst 1989 gehörte Werner früh dem Neuen Forum an, er kannte die Initiatoren aus der oppositionellen Arbeit der Friedenskreise der 80er Jahre. So vertrat er das Neue Forum dann auch am Zentralen Runden Tisch der DDR, der sich aus Vertretern der neu entstandenen demokratischen sowie der alten politischen Gruppierungen und Parteien an der Seite der SED zusammensetzte. Hier wurde dann über einen friedlichen Weg zu den freien Wahlen verhandelt, es ging aber auch um die ersten Schritte der Transformation hin zu einer demokratischen Gesellschaft. Hier trafen wir uns wieder.

Anders als manch andere im Neuen Forum, die die deutsche Einheit ablehnten, hatte Werner Schulz schon in seiner Familie das Leiden an der Teilung Deutschlands bewusst erfahren. Seine Schwester war 1965 bei einem Fluchtversuch festgenommen worden, der Schwager erlitt dafür eine Zuchthausstrafe. So suchte er einen Weg zur deutschen Einheit auf der Grundlage der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Respekts. Verhandlungen der nun wirklich demokratischen DDR mit der Bundesrepublik und den internationalen Partnern sollten dies gewährleisten.

1990 wurde Werner Schulz als Abgeordneter der frei gewählten Volkskammer durch seine wortgewaltigen Beiträge im Prozess zur deutschen Einheit bekannt. Ich bewunderte, wie schnell er sich in die verschiedenen Themenbereiche einarbeitete und profilierte Positionen vertrat. Das galt zum Beispiel auch für die Privatisierung und die Problematik der Treuhand. Besonders wichtig war ihm jedoch die Verfassungsfrage. Schon am Zentralen Runden Tisch hatte er sich in dieser Frage engagiert und trat dafür ein, das Grundgesetz um Elemente dieser durch den Runden Tisch initiierten Verfassung zu ergänzen. Entsprechend bedauerte er, dass es dazu aufseiten der Bundesregierung keinerlei Bereitschaft gab. Den Weg der Vereinigung über den Art. 23 des GG, als Beitritt lehnte er ab. Noch 20 Jahre später hielt er es für einen Fehler dieses Vereinigungsprozesses, „dass es mit der Wiedervereinigung keinen gemeinsamen Neuanfang (..), keine Inventur in Ost und West, keine gemeinsame Reformanstrengung, keine verfassungsgebende Versammlung (gegeben hat)“. (ntv 9.4.2009)

Trotz dieser Kritik schätzte Werner das Grundgesetz sehr und ich bin ziemlich sicher, dass er meinen Vorschlag unterstützt hätte, dass wir zum 35. Jahrestag der deutschen Einheit den bis heute bestehenden Artikel 146 des GG, der die Vorläufigkeit des GG festhält, streichen und damit das GG zu unserer Verfassung machen. Er hätte es schon deshalb begrüßt, weil damit eine öffentliche und gesellschaftliche Beschäftigung mit der Verfassung verbunden wäre, die er für zentral hielt. Ist es doch gerade diese Grundlage unseres Staates, die wir gegen alle Feinde der Demokratie und Freiheit schützen müssen.

In der Volkskammer gehörte Werner Schulz zur Opposition – und kritisierte den Weg der Vereinigung mit starker Stimme. Bei den dann folgenden Verhandlungen über die Parteienvereinigung von „Bündnis 90“ und den Grünen saß er mit am Verhandlungstisch und erlebte alle Schwierigkeiten der gegenseitigen Anerkennung hautnah. In dieser Zeit hatten die westlichen Grünen den Einzug in den Deutschen Bundestag verpasst und die Gruppe von „Bündnis 90“ hielt eine Legislaturperiode die Stellung. In dieser Zeit zeigten sich Werners Fähigkeiten und Führungsqualitäten und er überzeugte viele durch seine Reden. Als die Grünen dann in den Bundestag zurückkehrten – inzwischen waren sie eine Partei, gab es Konflikte.

Joschka Fischer mochte Werner Schulz nicht in führender Funktion, er war ihm zu eigenständig – obwohl er als fulminanter Redner und einer der talentiertesten ostdeutschen Politiker den Grünen ein Profil hätte geben können, das sie dann in den Fragen der Entwicklung in Ostdeutschland und der inneren Gestaltung der deutschen Einheit nie erlangten.

Als exzellenter Redner hat Werner nicht nur einmal gegen die von der Führung der Partei der Delegiertenversammlung vorgelegte Liste kandidiert – und gewonnen. So auch bei der Europawahl 2009. Im Europäischen Parlament erwarb er sich über Parteigrenzen hinweg große Achtung – und viele Freunde.

Eine wichtige Rolle spielte hier seine profilierte Position zu Osteuropa und zu Russland. Werner Schulz stritt für die Menschenrechte weltweit, für eine wehrhafte Demokratie, die sich gegen ihre Feinde verteidigt – im Lande selbst wie international. Dabei stand er dafür ein, dass die EU die oft schwache Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition in Russland und in den Ländern der Östlichen Partnerschaft stärker unterstützen muss.

Beide machten wir die Erfahrung, dass die eigene Position oft quer zur Außenpolitik der eigenen Partei stand – und so brauchte es Durchhaltevermögen und einen klaren Blick. Diesen hatte er – und auch den Mut, für die eigenen Positionen zu kämpfen. In Bezug auf Russland begann das schon früh – nämlich zu Beginn der Amtszeit Putins als russischer Präsident. Die grausame und mörderische Politik Putins schon im 2. Tschetschenienkrieg entsetzte uns. Die zunehmende Repression in Russland gegen die Zivilgesellschaft und die freien Medien. Der Georgienkrieg 2008. Die Morde an russischen Exilanten und Gegnern Putins. Die Liste ist lang. Trotzdem setzte sich im Westen und auch bei uns in Deutschland das Vertrauen in Putin als vertrauenswürdigen Kooperationspartner immer wieder durch.

Insbesondere dann in den fünf Jahren im Europaparlament engagierte sich Werner Schulz für eine kritische Auseinandersetzung mit Putin und seinem „Kurs der inneren Säuberung und äußeren Expansion“, wie er es schon 2014 formulierte. Vehement trat er für die Solidarität mit der demokratischen Opposition in Russland ein. Viele Jahre war er mit dem schließlich ermordeten russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow befreundet und durch diesen und andere immer gut informiert. Dieser Mord hat ihn tief erschüttert – und in seiner Haltung bekräftigt.

Ich sagte es schon: Schon vor dem umfassenden russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar trat er offen dafür ein, die Ukraine mit Waffen zu versorgen, damit sie sich wehren kann.

So wird deutlich: Gerade auch in den gegenwärtigen Herausforderungen werden wir seine Stimme künftig schmerzlich vermissen. Das gilt auch dann, wenn man nicht mit ihm übereinstimmt. Werner Schulz war ein Mensch und Politiker, der Glaubwürdigkeit, Überzeugungskraft und Unbeugsamkeit in sich vereinigte – und damit in seiner Person ein lebendes Beispiel dafür wurde, die häufig pauschale Kritik an Politik zu widerlegen. Gewiss – es brauchte mehr solcher Menschen, die bereit sind, sich glaubwürdig der Politik zu widmen – und das heißt ja, der „polis“, dem Gemeinwesen, dem Gemeinwohl alle Kraft zu widmen.

Werner Schulz hat sich ganz bewusst als geborener Zwickauer dem Land seiner Geburt, Sachsen, zugewandt und sein Engagement hier verortet – weil Politik immer konkret ist und Verwurzelung braucht. Deshalb ist es gut, dass heute seiner gerade hier in Sachsen gedacht wird. Gleichzeitig geht seine Bedeutung weit über Sachsen hinaus. Werner hat für die Demokratie, für die Geltung und Umsetzung der Menschenrechte gekämpft, die für alle gelten und von jedem in Anspruch genommen werden können.

Er war sich bewusst, dass es oft keine einfachen Lösungen gibt – und war gerade deshalb engagiert, nach pragmatischen Wegen zu suchen.

Werner Schulz ist nicht mehr unter uns – die Herausforderungen aber, denen er sich gestellt hat, bleiben. So braucht es auch heute Menschen, die wie er bereit sind, über die persönlichen Interessen hinaus Verantwortung zu übernehmen und für die Rechte auch des anderen und für die Ermöglichung von Zukunft einzutreten und die Stimme zu erheben. Seiner heute zu gedenken, fordert uns heraus, den Orientierungen, die für ihn zentral waren, auch heute eine Stimme zu geben und für sie einzutreten. In der Grundwertecharta, die im Lissaboner Vertrag ihre rechtliche Verankerung gefunden hat, sowie in unserem Grundgesetz, das wir zu unserer Verfassung machen sollten, haben diese Orientierungen ihren bleibend gültigen und grundlegenden Ausdruck gefunden. Sie zu achten, sie zu schützen und öffentlich für sie einzutreten, ist heute wohl wichtiger als je!

Werner hat sich in den letzten Jahren seines Lebens sehr um Mona, seine Frau gekümmert, die an Krebs erkrankt war. Noch Minuten vor seinem Tod haben wir auch über sie gesprochen. Vor wenigen Tagen ist nun auch sie von uns gegangen. Auch an sie, die ihm für Jahrzehnte zur Seite stand und sein Engagement mittrug, sei heute gedacht.

Ich danke Ihnen.








Werner Schulz zu seiner persönlichen Entwicklung in der DDR und zu seiner Haltung angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine:

https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/mediathek/mein-1968-interview-mit-werner-schulz-0

https://www.youtube.com/watch?v=lVdHsWg4YFM

2023-10-14 Rede MM Eröffnung Ausstellung Theol Konvikt

Markus Meckel

Rede zur Eröffnung der Ausstellung im Theologischen Konvikt:

Das Sprachenkonvikt als Ort geistiger Freiheit[1]

  1. Oktober 2023

 

In der DDR gab es verschiedene Möglichkeiten, Theologie zu studieren: Sechs Universitäten hatten eine Theologische Fakultät bzw. Sektion: Berlin, Greifswald, Rostock, Halle, Leipzig und Jena. Dazu kamen drei Kirchliche Hochschulen mit jeweils einem verschiedenen historischen Hintergrund: das Sprachenkonvikt, das Katechetische Oberseminar Naumburg, also ursprünglich für die Ausbildung von Katecheten bestimmt, und das Theologische Seminar Leipzig, hervorgegangen aus der Ausbildung für Missionare durch die Leipziger Mission. Gewissermaßen als Fachhochschule kam das „Paulinum“ im Berliner Missionshaus dazu. Die Katholische Kirche hatte ihre Hochschule in Erfurt.

Heute geht es hier um das Sprachenkonvikt – vieles, das dazu gesagt wird, gilt auch für die anderen beiden Kirchlichen Hochschulen in Naumburg und Leipzig. Sie waren der letztlich gelingende Versuch der evangelischen Kirchen in der DDR, eine eigenständige Theologieausbildung unabhängig vom Staat zu etablieren. Dies erwies sich als nötig, um zu verhindern, dass der Staat unmittelbaren Einfluss auf die theologische und ganz praktische Ausbildung von Theologen nimmt und sowie auf die Auswahl des Pfarrernachwuchses. Mit Recht sah sie die Gefahr, dass sonst Loyalität zum Staat zur Voraussetzung des Pfarrernachwuchses wird. 

Das „Sprachenkonvikt“ war bis zum Mauerbau 1961 gewissermaßen ein östlicher Ableger der Kirchlichen Hochschule in Berlin-Zehlendorf (KiHo). Diese war von der Bekennenden Kirche 1935 für die theologische Ausbildung unabhängig vom Einfluss der Deutschen Christen und vom nationalsozialistischen Staat gegründet und sofort verboten worden. Bis 1941 arbeitete sie faktisch im Untergrund – eine wahrhaft abenteuerliche Geschichte! Nach dem Krieg wieder eröffnet wurde sie stark von Studenten der Sowjetischen Besatzungszone besucht. So wohnten hier die Studenten aus der DDR, hier wurden die Sprachen Griechisch, Latein und Hebräisch gelehrt, dazu einführende Vorlesungen in das Alte und Neue Testament und in die Kirchengeschichte.

Die eigentliche Geburtsstunde als selbständige Kirchliche Hochschule war dann nach dem Bau der Berliner Mauer und der faktischen Trennung von der KiHo die Entscheidung der Berlin-Brandenburgischen Kirche und der EKU, diesen Ort zu einer vollständigen, wissenschaftlich arbeitenden Hochschule auszubauen. So stand das Sprachenkonvikt von Beginn an in dem widerständigen Erbe der KiHo und unter dem ähnlichen Auftrag: Theologie zu lehren angesichts eines feindlichen gesellschaftlichen Umfeldes, die Freiheit des Evangeliums zu bezeugen und für die Studierenden unmittelbar erfahrbar zu machen. Eine Grundentscheidung war, ihr auch institutionell Unabhängigkeit zu geben – nicht nur vom Staat, sondern auch in der Kirche: nicht die Kirchenleitung oder das Konsistorium wurden das tragende Organ, sondern ein Kuratorium. Der erste Vorsitzende war Präses Kurt Scharf, dann ab 1963 für viele Jahre Propst Siegfried Ringhandt – beides Männer, die tief in den Erfahrungen der Bekennenden Kirche wurzelten. Assistenten an der KiHo, die aus dem Osten stammten, wurden flugs zu Dozenten gemacht – ich nenne nur Hans-Jürgen Hermisson (Altes Testament), Christoph Demke (Neues Testament) und Eberhard Jüngel (anfangs ebenfalls Neues Testament, doch wechselte er bald in die Systematische Theologie). Dazu kam bald Joachim Rogge, der an der Humboldt- Universität Schwierigkeiten hatte. Diese Entwicklung war auch in der Kirche keineswegs unumstritten. Wie ich einem Artikel von Wolf Krötke entnommen habe, sicherte Generalsuperintendent Albrecht Schönherr noch im März 1963 dem Staatssekretär für das Hoch- und Fachschulwesen zu, dass es sein Bestreben sei zu verhindern, „dass den Theologischen Fakultäten Konkurrenz gemacht werde“. In einer Notiz heißt es dort: Schönherr „begrüße diese staatliche Ausbildungsmöglichkeit für Theologen und wolle das Sprachenkonvikt allmählich wieder zu einer Stätte werden lassen, an der tatsächlich nur die alten Sprachen und Bibelkunde zur Vorbereitung auf das Theologiestudium vermittelt werden.“[2] Diese Beschränkung gelang ihm dann jedoch nicht.

Am Sprachenkonvikt wie an den anderen Kirchlichen Hochschulen (unterschiedlichen Namens) konnte man künftig in Freiheit und auf einem Niveau Theologie studieren, wie in Tübingen, Berlin-West, Göttingen oder Bielefeldt. Und der Staat hatte keinerlei Einfluss auf die Inhalte und Zugangsbedingungen, was für die Kirche und ihre Entwicklung in der DDR von zentraler Bedeutung war.

Ich selbst war nach der 10. Klasse von der Erweiterten Oberschule, vom „Grauen Kloster“ hier in Berlin geflogen – und hatte dann nur in Potsdam-Hermannswerder am Kirchlichen Oberseminar Abitur machen können. Nur die Kirchlichen Hochschulen ermöglichten mir ein Theologiestudium. Hier sitzt Richard Schröder, dem ging es ähnlich – und vielen anderen auch.

Der Wechsel zwischen diesen Hochschulen in Naumburg, Leipzig und Berlin war problemlos möglich und damit die Erfahrung großer Pluralität. An den staatlichen Universitäten war das so nicht vorgesehen. Ich kam 1974 aus Naumburg ans Sprachenkonvikt, wo mein Bruder Hans-Martin im Jahr zuvor begonnen hatte. Curt Stauss hatte mir das empfohlen, mit dem besonderen Hinweis auf Christoph Demke und Wolf Krötke. Durch diese beiden wurden die reflektierte biblische Botschaft und das Denken des Glaubens für mich zu einem die eigene Existenz durchschüttelnden und Orientierung gebenden tiefen Erlebnis. Das dogmatische Hauptseminar (zu Karl Barth, Friedrich Schleiermacher oder Dietrich Bonhoeffer etwa oder zur altkirchlichen Christologie) wurde über Jahre zum festen Bestandteil meines Stundenplans. Den stellte jeder sich selbst zusammen – anders als an den Universitäten, bei denen es feste Stundenpläne gab – oft 30 Wochenstunden. Ich belegte oft nur die Mindestzahl von 12-14 Wochenstunden – denn wie sollte man mehr schaffen, wenn man allein für die zwei Stunden Hauptseminar mindestens einen Tag Vorbereitung brauchte.

An den Universitäten war unter dem Begriff „Philosophie“ oft nur „Marxismus-Leninismus“ zu finden. Anders am Sprachenkonvikt. So traf ich 1974 zuerst auf Jörg Milbradt, der einen Lehrauftrag hatte, eigentlich mehr für die Sprachen – aber faktisch wurde er zu einem wichtigen Lehrer der Philosophie. Im kleinen Kreis lasen wir in seiner Wohnung morgens um 7.00 Uhr Hegel und Marx, Plato, Nikolaus von Kues u.a. – natürlich in den originalen Sprachen und verfolgten Satz für Satz deren Gedanken und versuchten, Zusammenhänge und Wahrheiten zu ergründen. Er vertrat eher die Einheit der Religionen, was dann wohl der tiefere Grund dafür war, dass er nicht als Dozent für Philosophie angestellt wurde. Ab 1977 lehrte Richard Schröder Philosophie am Sprachenkonvikt und in Naumburg. Seminare und Vorlesungen zu Kant und Aristoteles wurden für mich zu einem Erlebnis, das Horizonte eröffnete. Seine Vorlesung zu Hannah Arendt habe ich nicht mehr hören können. In informellen Gruppen und Kreisen blieben wir über die Studentenzeit hinaus verbunden – und am Thema in der denkenden Auseinandersetzung auch mit der gesellschaftlichen Realität in der DDR. Meine Arbeit zum 1. Theologischen Examen schrieb ich schließlich nach einem Nietzsche-Seminar bei Michael Jacob über Nietzsches Zarathustra (in der Ausstellung ist ein Foto von dem Ausflug des Seminars in den Spreewald). Er kümmerte sich dann auch darum, dass diese dann in den Nietzsche-Studien im Westen erschien. Und das alles – obwohl in der DDR Nietzsche verboten war!

Sie merken schon: Das Studium am Sprachenkonvikt war nicht schlicht eine Berufsausbildung zum Erlernen des Pfarrerberufs. Es galt, die Fragen des Glaubens zu ergründen und in einer atheistischen Welt und Gesellschaft sprachfähig zu werden, Gott und das Evangelium zu bezeugen. Der gesellschaftliche und ideologische Kontext, in dem wir in der DDR lebten, war dabei immer im Blick. Bei höchstens 150 Studenten kannten die Dozenten jeden Studenten und so war ein persönlicher Kontakt und oft auch die Begleitung im Gespräch in einem Maße Realität, wie das woanders kaum möglich war.

Besonders für die Studenten, die auch im Konvikt wohnten – und das waren die meisten – war die Gemeinschaft am Haus ein hohes Gut. Diese wurde durch die Mitarbeiter und ihre Persönlichkeit jeweils spezifisch geprägt. (Ich erinnere an Ursula Westphal als Hausmutter, wie das damals hieß oder die Chefin der Küche, Frau Sigrid Lankau.) Die gemeinsamen Andachten, das Mittagessen und besonders natürlich die legendären Feste spielten hier eine besondere und prägende Rolle. Ingeborg Becker hat als Ephora durch ihr Format, ihre Bedeutung und breite Vernetzung im kirchlichen Leben dem Sprachenkonvikt über viele Jahre eine besondere Aura verliehen.

In den 70er Jahren waren wir nun überzeugt, dass Freiheit und Selbstbestimmung auch die Strukturen des Studienbetriebs prägen soll. Man kann sagen, der 68er Geist schwappte auch zu uns, aus dem Westen über die Mauer oder auch aus Prag. Jedenfalls bemühten wir uns um eine Studienreform, welche eine Mitbestimmung der Studenten ermöglichen sollte. Dazu kam die Einrichtung einer Studienberatung, an der auch Studenten beteiligt waren, die helfen sollte, sich in dieser für die DDR völlig ungewöhnlichen Freiheit zu orientieren. Das gelang dann auch – und stellte sich schließlich auch als ausgesprochen wichtig heraus, denn so gab es einen Ort, wo am Ende auch schwierige Konflikte ausgetragen werden konnten.

Wie schon im Neuen Testament nachzulesen ist, gibt es in der christlichen Gemeinde immer wieder auch Konflikte – und so auch bei uns. Von einem will ich erzählen: 1974 feierte ein Studentenpaar seine Hochzeit in wunderbaren alten barocken Kostümen, die vom Theater ausgeliehen worden waren. Sie wandelten von hier zum Alexanderplatz, stahlen Unter den Linden dem Wachwechsel an der Alten Wache die Show und bekamen dann beim Standesamt ein Problem, als die dortigen Mitarbeiter sie „in diesem Aufzug“ nicht trauen wollten. Ein wortreicher Streit entfachte sich, aber es half nichts – das Paar musste sich umziehen und von Gästen ohne Kostüm sich unpassende Kleidung leihen, die dann als würdig angesehen wurde.

Dieser Vorfall wurde im nächsten Gespräch zwischen den staatlichen Stellen und der Konviktsleitung als „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ gewertet.  Der Druck des Staates wurde vom damaligen Rektor und dem Kollegium an die Studenten weitergegeben, schließlich sollten zwei (sie galten als Wiederholungstäter, denn sie hatten schon einmal einen „Kerzenmarsch“ durch die Stadt gemacht) exmatrikuliert werden: Matthias Reichelt, der 15 Jahre später Sekretär des Zentralen Runden Tisches werden sollte, und seine spätere Frau Gisela. Ich war damals Vorsitzender der Studentenvertretung und wir waren in der Studentenschaft nicht gewillt, das zu akzeptieren. Es gab eine denkwürdige und sehr sachliche, aber zur Sache hochstrittige Studentenvollversammlung mit den Dozenten und schließlich drohten wir einen Streik an. Am Tag zuvor wurde durch das Dozentenkollegium die Exmatrikulation in die Zwangsverschickung in ein Gemeindepraktikum umgewandelt und wir sagten den Streik ab. Wir fanden es schon bemerkenswert: Die Dozenten, Theologen also, verstanden ein Gemeindepraktikum als Strafe! Ich selbst erhielt dann noch einen „Verweis“, was immer das bedeutet, weil ich mit dem Streik ein Mittel in den Streit eingebracht hätte (so die Begründung), das „dem gesellschaftlichen Umfeld nicht entsprach“. Im Vorfeld hatte ich übrigens – vermittelt durch meinen Vater - das Gespräch mit Manfred Stolpe gesucht, um auch die gesellschaftlich-politische Lage besser einschätzen zu können. Der wiederum wusste, dass ich schon in Hermannswerder einmal bei einer Streikorganisation beteiligt war, doch er verriet das dem Kollegium nicht – denn das hätte mich dann wohl den Kopf gekostet. Später aber gab es dann doch einen Brief des Rektors des Sprachenkonvikts an das Konsistorium, in welchem mir die Befähigung zum Pfarramt abgesprochen wurde. Das hat dann wiederum dazu geführt, dass die Landeskirche mich trotz gutem Examen nicht in den kirchlichen Dienst und ins Vikariat übernahm – so ging ich ins Exil ins lutherische Mecklenburg, wo der frühere Rektor von Hermannswerder, Walter Schulz, Ausbildungsreferent war und Heinrich Rathke als Bischof das Risiko mit mir einzugehen bereit waren.

Andere Konflikte wurden eher im persönlichen Gespräch ausgetragen – etwa solche, bei denen es ums „Gehen oder Bleiben“, also um die Ausreise in den Westen ging. Hier folgte das Sprachenkonvikt dem allgemeinen Trend der evangelischen Kirchen und lehnte einen solchen Weg rundweg ab. Ein zusätzliches Argument war hier, dass angesichts der unklaren rechtlichen Situation des Konvikts ein Ausreiseantrag eines Studenten als Gefährdung des Konvikts angesehen wurde. Ich weiß dies etwa von Christhard Neubert, meinem Nachfolger als Vorsitzenden der Studentenvertretung, der nach seinem Ausreiseantrag sofort exmatrikuliert wurde. Immerhin konnte er noch für einige Stunden als Gasthörer am Lehrbetrieb teilnehmen. In Westberlin schließlich hatte er lange Schwierigkeiten, bis die Kirchenleitung ihn in die Liste der Theologiestudenten aufnahm.

In diesen Konflikten wurde deutlich, dass Angst und Sorge angesichts der rechtlich ungesicherten Existenz des Hauses ständig präsent waren. So war die erlebte Freiheit in diesem Staat voll Repression immer auch angefochten.

Die konkreten Lebensbedingungen erforderten zur Schaffung der Lebensgrundlagen auch immer Ausflüge in die Illegalität. Das galt vor allem für die Bibliothek, über die Jahre professionell geführt durch Adolf Laminski. Die Beschaffung der Bücher aus dem Westen – Grundlage für ein ordentliches Studium - erfolgte nicht immer auf legalen Wegen. Noch schwieriger war das Bauen – doch gelang es dem Ephorus Lorenz zum Beispiel, dass für den Palast der Republik bestimmte Materialien bei uns verbaut wurden. Im großen Saal sind sie noch heute zu besichtigen. So etwas konnte auch tüchtig schief gehen – so wurde er eines Tages in Handschellen aus dem Haus geführt. Ein Schock für alle, die es erlebten.

Die Lebenswirklichkeit in der DDR als Diktatur war am Konvikt ständig präsent – wurde aber nicht als solche thematisiert. Das hätte die Existenz des Hauses wahrhaftig unmittelbar gefährdet. Doch konnten hier Kompetenzen erworben und Grundhaltungen entwickelt werden, die eine Grundlage schufen, sich auch explizit mit der politischen und gesellschaftlichen Lage in der DDR auseinanderzusetzen. In den Zeiten des Umbruchs, in der Friedlichen Revolution 1989 und im Prozess der deutschen Einheit 1990 wurden viele „Sprachenkonviktler“ unmittelbar politisch aktiv. Der Kirchengeschichtler Wolfgang Ullmann gehörte zu den zentralen Figuren der Bürgerrechtsbewegung „Demokratie Jetzt“. Besonders stark war die Beteiligung bei der Sozialdemokratischen Partei in der DDR, die Martin Gutzeit und ich 1989 initiierten und auf den Weg brachten. Im Gemeinderaum der Golgathagemeinde im Hinterhof veranstalteten wir (d.h. ein Philosophiekreis um Peter Hilsberg, dem damaligen Pfarrer dieser Gemeinde) am 25./26. August 1989 ein Menschenrechtsseminar zum 200. Jahrestag der Bürger- und Menschenrechte in der Französischen Revolution. Richard Schröder, Martin Gutzeit, ich selbst und andere hielten hier Vorträge.  Im Abschlussplenum trug ich dann den von Martin und mir verfassten Aufruf zur Gründung einer Sozialdemokratischen Partei in der DDR vor. Das schlug ein wie eine Bombe – war es doch die erste Initiative einer Organisation der Opposition außerhalb der Kirche. Hier wurde Arndt Noack, auch ein ehemaliger Student des Konvikts und damals Studentenpfarrer in Greifswald, zum Dritten im Bunde. Konrad Elmer, Steffen Reiche und Thomas Krüger gehörten dann schon vor der formellen Gründung am 7. Oktober zum Vorbereitungskreis. Mein Bruder Hans-Martin wurde in den Ost-Berliner Vorstand des SDP-Bezirksverbandes gewählt. Richard Schröder ging im Dezember für uns in den Verfassungsausschuss des Runden Tisches, trat dann der Partei bei und arbeitete an den Programmen mit, ebenso Jörg Milbradt, der einen wichtigen Anteil an der Formulierung des Grundsatzprogrammes hatte. Das Wahlprogramm entwickelten wir Anfang 1990 in Haus von Richard Schröder in Blankenfelde. Nach der Wahl der Volkskammer wurde er Fraktionsvorsitzender der Ost-SPD, wir führten gemeinsam die Koalitionsgespräche und dann hatte er einen wesentlichen Anteil am Meinungsbildungsprozess zur deutschen Einheit. Der langjährige Freund und Mitstreiter Hans Misselwitz wurde Staatssekretär bei mir im Außenministerium. Ich suchte dringlich vertrauenswürdige Personen mit Auslandserfahrung, und solche waren in der DDR schwer zu finden, es sei denn solche, mit ökumenischen Erfahrungen. So wurde Stephan Steinlein Botschafter der DDR in Frankreich – diesen Posten bekleidet er heute, am Ende seiner Berufskarriere, wieder -  für die Bundesrepublik Deutschland.

Nun haben wir alle nicht am Sprachenkonvikt studiert, um Politik zu machen. Und doch befähigte dieses Studium in seiner großen geistigen Freiheit und Spannbreite dazu, auch solche Aufgaben und Herausforderungen wahrnehmen zu können. Ich habe keine Zahlen, wieviel Pfarrer in der DDR vom Sprachenkonvikt und den anderen Kirchlichen Hochschulen kamen. Bis heute treffe ich sie immer wieder und erlebe hoch kompetente Personen, die in schwierigen Zeiten Gottes Wort verkündeten und den Menschen in der Diktatur und später in den Zeiten schwieriger Umbrüche zur Seite standen. Trotz breiter Entkirchlichung der Gesellschaft – ein Erfolg der atheistischen Politik und der Repression über Jahrzehnte – hatten die Kirchen offensichtlich doch eine so große Glaubwürdigkeit, dass die Ende 1989 gebildeten Runden Tische landauf landab weitgehend von Pfarrern moderiert wurden. Ihnen traute man es offensichtlich von beiden Seiten zu, faire Verhandlungen zu moderieren.


Meine Damen und Herren,

das Sprachenkonvikt vereinigte sich nach der deutschen Vereinigung mit der Theologischen Fakultät, und auch die KiHo kam dann dazu – all diese Geschichte ist heute in der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität vereinigt. Es ist gut, dass dies dort im Haus bewusst ist und als geschichtsträchtiges Erbe gepflegt wird. Das ist gewissermaßen ein Signal gegen den Trend. Ohne es sich wirklich bewusst zu machen, begegnet einem heute meist der Trend, dass man glaubt, die deutsche Geschichte verlaufe gemeinsam bis 1945 und dann wieder ab 1990 – und dazwischen ereignete sich deutsche Geschichte im Westen Deutschlands. Die SBZ und DDR werden dagegen als eine Sondergeschichte angesehen, interessant für die Betroffenen und für Experten. Kaum jemand, kaum eine Institution hat es in ihr Erbe und ihre Geschichte aufgenommen, dass die deutsche Nachkriegsgeschichte eine geteilte Nachkriegsgeschichte war – in welcher beide Teile nicht wirklich verstanden werden können ohne ihren Bezug auf den jeweils anderen. Das gilt leider weitgehend bis heute auch auf kirchlicher Ebene.

Die Erfahrungen der Kirche in der DDR – und dazu gehört das Sprachenkonvikt! – gehören in die Kirchengeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – und damit auch in die Verantwortung der EKD. Weit früher als im Westen haben die Kirchen in der DDR die Erfahrung gemacht, in der Gesellschaft zu einer Minderheit geworden zu sein. Die Auseinandersetzung mit Atheismus und Säkularisierung gehörte zu ihren Lebensbedingungen. So ist es kein Zufall, dass die Auseinandersetzung mit Dietrich Bonhoeffer am Sprachenkonvikt eine wichtige Rolle gespielt hat. Der Bund der evangelischen Kirchen und die EKU haben in verschiedenen Hinsichten versucht, sich diesen Herausforderungen zu stellen und ihnen zu begegnen, etwa durch neue Ausbildungsformen und neue Aufgabenverteilungen in der kirchlichen Mitarbeiterschaft. Könnte es nicht sein, dass es hier etwas zu entdecken gibt, das vielleicht auch für die Zukunft der Kirche in Deutschland von Bedeutung ist?

Die Geschichte des Sprachenkonvikts als Ort geistiger Freiheit und christlicher Existenz im atheistischen Umfeld wahrzunehmen, gehört in diese Aufgabe und ich bin froh, dass das Theologische Konvikt diese mit dieser Ausstellung und dann hoffentlich auch mit einer weiterführenden Website angenommen hat. Wolf Krötke hatte einen großen Anteil daran. Er hat diese Ausstellung angeregt – aber nun nicht mehr erlebt. Wir danken ihm sehr dafür – und denen, die diese Anregung aufgenommen haben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!




  • [1] Wichtige Informationen zum Sprachenkonvikt bei Rudolf Mau, Das Sprachenkonvikt 1950-1991. Theologische Ausbildungsstätte der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Neufassung eines Vortrages, der am 4. November 1990 bei einem Absolvententreffen der Kirchlichen Hochschule Berlin-Brandenburg sowie am 7. Februar 1991 vor der Sozietät der beiden Kirchlichen Hochschulen in Berlin gehalten wurde; veröffentlicht in BThZ 9, 1992,107-118 sowie in: Der Wahrheit Gottes verpflichtet. Theologische Beiträge aus dem Sprachenkonvikt Berlin für Rudolf Mau, hrsg. von Matthias Köckert, Berlin 1993, 11-25. Und bei Wolf Krötke, Das Profil des Berliner Sprachenkonvikts für die selbständige Theologenausbildung in der DDR, Überarbeiteter Vortrag auf einer Tagung des Vereins für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte am 18. April 2009 in Ziesar. ZThK 107. Jg., Heft 1, März 2010, 123-138



[2]Aktennotiz von Friederun Fessen, welche im Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen (SHF) damals für die Theologischen Fakultäten zuständig war, vom 18.04.1963.

https://www.sueddeutsche.de/politik/geschichte-berlin-tag-der-einheit-ex-buergerrechtler-meckel-stoesst-debatte-an-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230929-99-376752

Und der Tagesspiegel kommentiert:

https://www.tagesspiegel.de/meinung/ddr-burgerrechtler-meckel-stosst-einheitsdebatte-an-die-verfassung-kann-immer-noch-besser-werden-10549279.html

DAS GRUNDGESETZ ZUR DAUERHAFTEN DEUTSCHEN VERFASSUNG MACHEN

In welcher Verfassung wollen wir leben?

Das Grundgesetz garantiert die Werte unserer Gesellschaft und garantiert Rechtstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Demokratie. Auch wir Ostdeutschen leben schon mehr als 30 Jahre mit diesem Grundgesetz - und wohl die meisten haben es schätzen gelernt. 2019 wurde das Hohelied auf das Grundgesetz vielfach gesungen - und zwar mit Recht!

Vor 30 Jahren, ist nach der Friedlichen Revolution in der DDR 1989 und im folgenden Prozess zur Deutschen Einheit 1990 viel darüber diskutiert worden, ob sich die Deutschen aus Ost und West auf der Grundlage des Grundgesetzes eine gemeinsame Verfassung geben.

Dazu ist es nicht gekommen.

Eine Verfassungskommission aus Bundestag und Bundesrat widmete den Artikel 23 um zum Europaartikel. Einen weiterführenden öffentlichen Diskurs darüber, mit welcher Verfassung wir leben wollen, hat es nicht gegeben. Der Artikel 146 besteht fort: „Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“

Ich kenne niemanden, der mit der Verfassung eines anderen Staates tauschen wollte. Doch lasst uns das erfragen: Nehmen wir uns vor, zum 35. Jahrestag der Deutschen Einheit den Art. 146 des GG zu streichen, der von der Vorläufigkeit des Grundgesetzes spricht. Wir wollen sie als unsere dauerhafte Verfassung.

Wir fragen: Warum diese Vorläufigkeit?
Lasst uns miteinander reden. Lasst uns der Werte und Grundlagen unseres Gemeinwesens bewusstwerden. Das Grundgesetz hat sich bewährt und erfreut sich breiter Anerkennung. Lasst uns seine Vorläufigkeit aufheben und Artikel 146 streichen.

Ich kenne niemanden, der mit der Verfassung eines anderen Staates tauschen wollte. Doch lasst uns das erfragen: Nehmen wir uns vor, zum 35. Jahrestag der Deutschen Einheit den Art. 146 des GG zu streichen, der von der Vorläufigkeit des Grundgesetzes spricht. Wir wollen sie als unsere dauerhafte Verfassung.

30 Jahre nach der Deutschen Einheit stehen die liberalen Werte, welche die Basis unseres Grundgesetzes und des Lissaboner Vertrages der EU bilden, in vielen Ländern des Kontinents unter Druck. Umso dringender ist die öffentliche Selbstvergewisserung darüber, in welcher Verfassung wir Deutschen leben wollen.

Ein solcher Dialog gibt den Ostdeutschen die Chance, ihre Erfahrungen aus drei Jahrzehnten deutscher Einheit einzubringen und allen Deutschen gemeinsam die Gelegenheit, sich neu auf unsere Grundlagen zu besinnen - und über sie zu reden. Man kann Regierungspolitik kritisieren - und trotzdem auf diesen Grundlagen stehen. Viele zweifeln an der Demokratie, weil sie Politiker und Regierungen kritisieren - und sollten sich fragen und fragen lassen, wie sie zum Grundgesetz stehen. So führt diese Debatte zu einer dringend notwendigen Diskussion über die Grundlagen unseres Gemeinswesens. 

Natürlich kann diese Diskussion dazu führen, dass einige auch den Text selbst ändern wollen. Das ist legitim, doch es braucht die notwendige Zweidrittelmehrheit. Darum muss man sich dann bemühen. Die Große Koalition (2017-2021) wollte Kinderrechte im GG verankern. Es könnte sein, dass die Probleme der Digitalisierung oder der Künstlichen Intelligenz zu einem Regelungsbedarf führen, der Verfassungsrang hat. Doch das alles wird sich zeigen.

Die zentrale Frage ist, dass wir darüber das Gespräch suchen und uns darüber klar werden:

IN WELCHER VERFASSUNG WOLLEN WIR IN DEUTSCHLAND UND EUROPA LEBEN?

LASSEN SIE UNS DARÜBER STREITEN UND EINIG WERDEN.

Das GRUNDGESETZ ist heute von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen. Deshalb sollten wir sie nach zwei Jahren Debatte zum 35. Jahrestag der Deutschen Einheit zur DAUERHAFTEN VERFASSUNG DEUTSCHLANDS machen!

Hier die Datei: 2023-7-19 Für ein Forum Opposition und Widerstand in SBZ und DDR 1945_

zum politischen Kontext siehe https://demokratischer-salon.de/beitrag/fuer-ein-forum-opposition-und-widerstand-in-sbz-und-ddr/.

Für ein Forum Opposition und Widerstand in SBZ und DDR 1945 – 1989

Kritische Anmerkungen zum Prozess und zur Machbarkeitsstudie

  1. Juni 2023

 

Markus Meckel/Peter Steinbach


  1. Grundsätzliches


In der Gedenkstättenlandschaft zur Nachkriegszeit fehlt bisher ein Ort, der Opposition und Widerstand gegen die kommunistische Herrschaft in SBZ und DDR gewidmet ist. Ein solcher Gedenkort wurde schon im Abschlussbericht der Enquete-Kommission des Bundestages 1998 im Zusammenhang der dort vorgeschlagenen Gedenkstättenkonzeption für notwendig gehalten. Dass dies jetzt auf der Grundlage des Bundestagsbeschlusses von 2019 nach 25 Jahren endlich in Angriff genommen wird, ist außerordentlich zu begrüßen.

Opposition und Widerstand gegen die Diktaturen gehören in das nationale demokratische Erbe und sind Teil der Freiheitsgeschichte Deutschlands und Europas. Gerade in diesen Tagen erinnern wir an die deutsche und europäische Revolution und die Nationalversammlung in der Paulskirche 1848/1849 sowie an den Volksaufstand in der DDR im Jahr 1953. Opposition und Widerstand in der Zeit des Nationalsozialismus retteten gewissermaßen die Ehre der Deutschen, die in ihrer großen Mehrheit Adolf Hitler folgten. Opposition und Widerstand in der SBZ und DDR mündeten dann 1989 – unter günstigeren Umständen - in den Sieg von Freiheit und Demokratie gegen die kommunistische Diktatur. Diese - letztlich siegreiche - Freiheitsgeschichte östlich des Eisernen Vorhangs schuf in ihrem Einsatz für Demokratie, Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit die Grundlage für die deutsche Vereinigung 1990 und führte zu einem neuen Aufbruch Europas 1991 und in den Folgejahren. Dieser Kampf für Freiheit und Demokratie im 19. und 20. Jahrhundert gehört in das deutsche und europäische Erbe und muss weit stärker als bisher geschehen in die deutsche und europäische Erinnerungskultur eingeschrieben werden. In diesem Kontext ist das „Forum Opposition und Widerstand“ ein wesentlicher – und bis heute fehlender - Eckstein in der deutschen Gedenklandschaft.


  1. Ort


Schon die Enquete-Kommission des Bundestages benannte die Schwierigkeit, dass es für Opposition und Widerstand (anders als beim Gedenken an die Opfer) keinen sich unmittelbar ergebenden authentischen Ort gibt. Die Gedenkstättenkonzeption des Bundes aus dem Jahr 2008 hat ohne jegliche öffentliche Debatte den problematischen Weg beschritten, an Opposition in der DDR ausgerechnet auf dem Gelände der Staatssicherheit in Lichtenberg erinnern zu wollen – nur weil es hier ausreichenden Leerstand gab. Als Begründung müssen seitdem immer wieder der 15. Januar 1990 mit der Besetzung der Zentrale der Staatssicherheit sowie der Hungerstreik im September 1990 herhalten, mit dem die Akteure die Zugänglichmachung der Stasiakten durchsetzen wollten – doch ist dies wenig überzeugend. Die Zentrale der Staatssicherheit mit dem Sitz von Erich Mielke in der Normannenstraße steht für die Repression in der DDR und sollte deren systematischer Darstellung gewidmet sein.

Opposition und Widerstand waren dagegen nicht nur Reaktion auf die Repression der Staatssicherheit. Der Einsatz für Demokratie und Freiheit darf nicht durch die Perspektive der Staatsicherheit verzerrt wahrgenommen werden. Dieses Engagement speiste sich aus ganz verschiedenen geistigen und sozialen Traditionen und richtete sich gegen Diktatur und Unfreiheit im Grundsätzlichen. Diese Geschichte muss selbständig erinnert und erforscht werden.

Die sehr häufige Konzentration der Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in der DDR auf die Staatssicherheit war von Beginn an ein Problem. Mit dem Standort in der Normannenstraße wird allein durch die Ortswahl ein falscher perspektivischer Bezug fortgesetzt. 

Die Machbarkeitsstudie erweckt den Eindruck, dass den Autoren der von uns hier infrage gestellte Ort in der Normannenstraße vorgegeben wurde. Andere Optionen werden gar nicht mehr erwogen. Das ist höchst problematisch! So widmet sich die Studie zu einem hohen Anteil Fragen der baulichen Gestaltung auf dem Gelände in der Normannenstraße (Neubau oder Nutzung eines vorhandenen Gebäudes), die heute noch nicht anstehen. 


Wir halten es demgegenüber für notwendig, nach Alternativen für den Ort zu suchen!


Als Optionen seien z.B. genannt:

  • Die Kulturbrauerei in Berlin-Prenzlauer Berg
  • Da Opposition und Widerstand 1989/90 (gemeinsam mit anderen Faktoren) zum Sieg von Freiheit und Demokratie geführt haben, kommen auch Orte in Frage, die in Berlin zu den Symbolen von Macht und Herrschaft gehörten. Das wären z.B.:

+ (a) das alte Berliner Schloss und heutige Humboldt-Forum

+ (b) das ehemalige Staatsratsgebäude der DDR

  • Viele oppositionelle Aktivitäten fanden in kirchlichen Räumen So wäre zu prüfen, ob es kirchliche Räumlichkeiten gibt, die für ein solches Forum infrage kämen (möglichst im Hinterhaus, da dies dem Charakter dieser Aktivitäten besonders nahekäme). Dabei müsste jedoch der Eindruck vermieden werden, als wären die Kirchen eo ipso Opposition und Widerstand gewesen, auch wenn sie insbesondere in den 80er Jahren eine wichtige Rolle gespielt haben! Auf der Suche nach einem solchen Ort muss man mit der evangelischen Kirche in Berlin ins Gespräch eintreten.


  1. Notwendigkeit öffentlicher Trägerschaft


Wie auch andere Institutionen der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit und der deutschen Teilung sollte das „Forum Opposition und Widerstand“ nicht nur mit öffentlichen Mitteln finanziert, sondern in öffentlicher Verantwortung und Trägerschaft geschaffen werden. Ein strukturelles Vorbild kann hier die „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ sein.

Die Machbarkeitsstudie vermittelt in dieser Frage einen gespaltenen Eindruck.

Einerseits ist dort mit Recht von einer angestrebten öffentlichen Stiftung als Träger die Rede. Andererseits wird der Eindruck einer institutionellen Kontinuität zur Havemann-Gesellschaft e.V. und letztendlichen privatrechtlichen Trägerschaft erweckt. Das wird schon durch die Darstellung der Stellenpläne als Erweiterung des Personalbestandes dieser Gesellschaft deutlich. Eine solche institutionelle Kontinuität aber würde viele Fragen und Probleme aufwerfen.

Schon dass die vorliegende Machbarkeitsstudie nicht von BKM, sondern von der Havemann-Gesellschaft e.V. in Auftrag gegeben wurde, ist ein schwerwiegender Strukturfehler. Positiv hervorzuheben ist die Bereitschaft der Havemann-Gesellschaft, die eigenen materiellen und personellen Ressourcen in das Forum einzubringen. Gleichzeitig muss jedoch vermieden werden, dass das Forum schlicht als Fortsetzung und Erweiterung der Arbeit der Havemann-Gesellschaft angesehen und konzipiert wird. Diese Gesellschaft hat in den letzten Jahrzehnten eine wichtige Arbeit geleistet, doch gilt das auch für andere privatrechtliche Organisationen in Ostdeutschland, wie etwa die im „Arbeitskreis der Archive zu Widerstand und Opposition in Sachsen“ verbundenen Archive, die „Runde Ecke“ in Leipzig oder das „Thüringer Archiv für Zeitgeschichte“. Jede dieser Institutionen hat große Verdienste, jedoch auch eine begrenzte Perspektive. Auch diese anderen Organisationen sind gefragt, sich künftig in diese neue Institution mit ihren Beständen und Kompetenzen einzubringen, ohne jedoch dazu genötigt zu werden (!).

Angesichts des Älterwerdens der Erlebnisgeneration der ehemaligen DDR-Oppositionellen steht manche dieser Organisationen vor wichtigen Entscheidungen über ihre Zukunft, denn oft wurden sie von Protagonisten dieser Opposition gegründet. Hier kann ein Prozess des Nachdenkens beginnen, für den die Art und Offenheit der Gestaltung des „Forums Opposition und Widerstand“ eine wichtige Rolle spielen wird.


  1. Inhaltliche Schwerpunkte und Perspektiven. Opposition im gesamten Zeitraum SBZ und DDR und in der gesamten DDR


Thema dieses Gedenk- und Lernortes sollten Protest, Opposition und Widerstand im gesamten Zeitraum von SBZ und DDR auf ihrem gesamten Gebiet sein. Eine regionale oder zeitliche Schwerpunktsetzung ist abzulehnen. Dagegen ist die europäische Kontextualisierung von wichtiger Bedeutung.


Wichtige Stichworte sind u.a.:

  • Studentischer Protest 40er/50er Jahre
  • Widerstand gegen Zwangsvereinigung KPD/SPD und gegen Integration der anderen demokratischen Parteien in die „Nationale Front“ (Blockparteien)
  • Kirchliche Unabhängigkeit – Kirchenkampf 1952/53 – Widerstand gegen Jugendweihe etc.
  • DDR-weiter Volksaufstand 1953
  • Ländlicher Widerstand gegen Kollektivierung
  • Wehrdienstverweigerung und Friedensfrage
  • Opposition, Widerstand, Protest gegen den Mauerbau – Opposition und Flucht / Ausreise – Durch Teilung: weitgehendes Fehlen eines Exils
  • Kritische Auseinandersetzungen innerhalb der SED – Harich, Havemann, Biermann, informelle Gesprächszirkel der 70er Jahre
  • Samisdat der 70er und 80er Jahre
  • Kritische Schriftsteller und Künstler
  • Protest gegen Biermann-Ausbürgerung 1976/77 – Schriftsteller und Künstler, Exodus von Schriftstellern und Künstlern mit DDR-Pass
  • DDR-weite kritische Kulturszene der 70er und 80er Jahre
  • Selbstorganisation der Friedens-, Umwelt- und Dritte-Welt-Bewegung der 70/80er Jahre, Menschenrechtsbewegung und Jugendopposition

Netzwerke der Opposition: Frieden konkret, Umwelt-Netzwerke, INKOTA u.a.

  • Der konziliare Prozess seit 1983 - Ökumenische Versammlung in der DDR 1988-89


Durchgehend zu behandelnde Perspektiven über die Jahrzehnte sind:

+ Flucht- und Ausreisebewegung vor und nach dem Mauerbau

+ Kontakte über die innerdeutsche Grenze hinweg, westliche Medien

+ Die besondere Situation der Opposition durch die deutsche Teilung (Freikauf von Häftlingen, Westkontakte der Kirchen, der Intellektuellen, Friedensbewegung)

+ Bedeutende Rolle der Kirchen für Opposition und Widerstand in den 80er Jahren (u.a. konziliarer Prozess)

+ Bildung von DDR-weiten Netzwerken

+ Die Bedeutung der östlichen Nachbarn, Ermutigung, Solidarisierung, Protest – Aufstände 1956 – Prager Frühling und Einmarsch 1968 – Charta 77 – Solidarnosc 1980 ff – Gorbatschow Glasnost und Perestroika

+ Friedliche Revolution in der DDR – Teil einer mitteleuropäischen Revolution 


  1. Archiv


Es ist von zentraler Bedeutung, dass ein solches Zentrum ergänzend zu den privaten Organisationen ebenfalls ein Archiv hat. Eine wichtige und dringende Aufgabe ist jedoch, zeitnah eine digitale Vernetzung und zentrale Zugriffsfähigkeit für alle Aktenbestände zu Opposition und Widerstand in Auftrag zu geben, schon bevor die neue Institution Realität ist. In der vorhandenen Institutionenlandschaft wäre es wohl am ehesten die Bundesstiftung Aufarbeitung, die einen solchen umfassenden Auftrag mit entsprechenden zusätzlichen Mitteln bewältigen könnte.


  1. Forschung/ politische Bildung


Angesichts der Defizite der universitären Forschung zu diesen Themen ist es von zentraler Bedeutung, dass dieses Forum über eigene Kapazitäten in diesem Feld verfügt. Anzustreben wäre eine universitäre Anbindung, etwa durch eine Forschungsprofessur.

Gleichzeitig sollten neben der zu erstellenden Dauerausstellung regelmäßig Wechselausstellungen gezeigt werden. Dabei ist gerade in diesem Feld die Kooperation mit anderen europäischen Forschungseinrichtungen zu gewährleisten.

Wie an allen vergleichbaren Häusern gehören öffentliche Veranstaltungen zum notwendigen Aufgabenspektrum.


  1. Entscheidungsabläufe – weiterer Prozess


Ein auf Bundesebene zu schaffendes „Forum (oder Zentrum) Opposition und Widerstand 1945-1990“ muss eine auf Bundesebene getragene öffentliche Institution (Stiftung) sein, begleitet und beraten von Wissenschaftlern und – solange sie noch da sind – ehemaligen Akteuren dieser Opposition in ihrer ganzen Breite.


Für die weitere Entscheidungsfindung zur institutionellen Gestaltung und Konzeption ist ein inklusiver und transparenter Weg zu wählen, der die Erfahrungen und Perspektiven der verschiedenen Institutionen und Personen einbezieht, die vor 1989 in der Opposition aktiv waren bzw. sich wissenschaftlich damit beschäftigt haben oder in der Aufarbeitung tätig sind. Es ist die Aufgabe von BKM und des Deutschen Bundestages (Kulturausschusses), diesen Prozess in Gang zu setzen und zu moderieren.

Diese Aufgabe an eine der privaten Organisationen der Aufarbeitungslandschaft zu übertragen, wie es bisher geschehen ist, führt zu Verwerfungen und Belastungen für die Akzeptanz in der breiten Aufarbeitungslandschaft Ostdeutschlands.  

Nächste Schritte sollten öffentliche Anhörungen und Veranstaltungen sein, in welche all die oben genannten Personengruppen und Institutionen einbezogen sind.



Markus Meckel

Prof. Dr. Peter

Steinbach

kontakt@markusmeckel.eu

polhistl@qmx.de


Unterstützer*innen

Edda Ahrberg
Landesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheit Sachsen-Anhalt 1994 - 2005

Prof. Dr. Arnd Bauerkämper

Historiker, Freie Universität Berlin
Dr. Martin Böttger
Gründungsmitglied Neues Forum 1989, Mitglied Sächsicher Landtag 1990-1994, Autor
Hugo Diederich
Bundesvorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus e.V.
Anne Drescher
Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur Mecklenburg- Vorpommern

Prof. Dr. Jürgen Elvert

Em. Jean-Monnet-Lehrstuhl für Europäische Geschichte Universität Köln, Hg. der Zeitschrift "Das Historisch-Politische Buch"
Dr. Judith C. Enders
Mitbegründerin Dritte Generation, Vorstand perspektive hoch drei e.V.
Rainer Eppelmann
Minister und MdB a.D., Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung Aufarbeitung

Hans-Jürgen Fischbeck

Physiker, Mitbegründer Demokratie-Jetzt 1989, ehem. Studienleiter Ev. Akademie Mühlheim a.d.Ruhr
Dr. Hans Friedrich Fischer

Priester Oratorium des hl. Philipp Neri Vilnius
Prof. Dr. Jörg Ganzenmüller 

Friedrich-Schiller-Universität Jena, Vorstandsvorsitzender Stiftung Ettersberg Weimar

Joachim Goertz

Pfarrer i.R.
Stephan Hilsberg
Staatssekretär und MdB a.D., 1989 1. Sprecher der SDP

Eckart Hübener

Politischer Häftling in der DDR; Pastor i.R.
Prof. Dr. Ralph Jessen
Universität Köln, Mitglied im Vorstand der Bundesstiftung Aufarbeitung
Gisela Kallenbach
MdEP a.D.
Prof. Dr. Michael Kissener
Universität Mainz, Vorsitzender der Katholischen Kommission für Zeitgeschichte
Prof. Dr. Hans-Dieter Knapp
Ehem. Leiter der Internationalen Naturschutzakademie Vilm, Vorstand der Michael-Succow-Stiftung Greifswald
Gerd Koenen
Historiker, Publizist

Christiane Körner

ehem. Pröpstin Neustrelitz, Supervisorin

Hartmut Koschyk
MdB und Staatssekretär a.D., Obmann der CDU/CSU in der Enquete-Kommission 1994-1998
Susanne Kschenka
1990 Mitglied der Volkskammer; Stellv. Landesbeauftragte Brandenburg
Prof. Dr. Katharine Kunter
Universität Helsinki
Christine Lieberknecht
Ministerpräsident a.D., Vorstand Bundesstiftung Aufarbeitung
Ekkehard Maaß
Sänger, Autor, Vorsitzender der DEutsch-Kaukasischen Gesellschaft

Christoph Matschie

MdB und Minister a.D., Gastwissenschaftler beim "zif" und Vizepräsident der Deutschen Afrika Stiftung e.V.
Dr. Hans-Jürgen Misselwitz
Pfarrer, Staatssekretär MfAA 1990, Autor
Ruth Misselwitz
Pastorin i.R., ehem. Vorsitzende Aktion Sühnezeichen

Petra Morawe

Mitbegründerin Neues Forum 1989, langjähriges Mitglied Beirat BStU

Birgit Neumann-Becker

Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur Sachsen-Anhalt
Gesine Oltmanns
Vorstand Stiftung Friedliche Revolution Leipzig, Mitglied Stiftungsrat Bundesstiftung Aufarbeitung
Martin Michael Passauer
Ehem. Generalsuperintendent Berlin, ehem. Mitglied der Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Prof. Dr. Johannes Paulmann

Direktor Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Universität Mainz
Christoph Polster
Pfarrer, Vorsitzender Aufarbeitung Cottbus e.V. (ACB e.V.)

Steffen Reiche

Pfarrer, Minister und MdB a.D.

Dr. Norbert Reichel

Herausgeber Internetmagazin „Demokratischer Salon – Argumente zu hist.-pol. Bildung“

Prof. Dr. Ralf Rhytlewski

Politikwissenschaftler, Prof. em. Freie Universität Berlin

Rüdiger Rosenthal
Lyriker, Autor und Journalist 

Andreas Schönfelder
Leiter Umweltbibliothek Großhennersdorf e.V.

Prof. Dr. Richard Schröder

1990 SPD-Fraktionsvorsitzender der Volkskammer; em. Prof. für Philosophie und Theologie Humboldt-Universität;
Dr. Albrecht Schröter
Oberbürgermeister Jena a.D.

Christa Sengespeick
Pastorin i.R., ehem. „Frauen für den Frieden“ 80er Jahre, Autorin

Curt Stauss

Pfarrer i.R., ehem. Beauftragter der Ev. Kirche Mitteldeutschlands für Opfer der kommunistischen Diktatur

Prof. Dr. Andrea Strübend

Theologischer Lehrstuhl Universität Oldenburg; Mitherausgeberin der Zeitschrift "Kirchliche Zeitgeschichte"
Wolfram Tschiche
DDR-Opposition, Theologe, Philosoph, Publizist

Ellen Überschaer
Pastorin, ehem Generalsekretärin Kirchentag, ehem Vorstand Böll-Stiftung, Vorstand Stephanus-Stiftung Berlin
Anne Voss
„Frauen für den Frieden“ 80er Jahre, ehem. Gewerkschaftssekretärin ver.di 

Prof. Dr. Gerhard Werle

Rechtswissenschaft Humboldt-Universität Berlin
Prof. Dr. Heinrich August Winkler
Ehem. Humboldt-Universität Berlin, Autor

Mit Unterstützung der SDPZ erschien nun die polnische Ausgabe meiner Erinnerungen, was mich außerordentlich freut. Sie wurde von Agnieszka Grzybkowska übersetzt, der ich herzlich danke. Möglich gemacht haben das Igor Kakolewski von der Polnischen Akademie der Wissenschaften und Cornelius Ochmann von der Stiftung Deutsch-Polnische Zusammenarbeit - DANKE!

Die Online-Ausgabe liegt nun vor, die gedruckte soll im April folgen.

Diese Erinnerungen beschreiben mein Leben in der DDR – mit meinem kirchlichen Hintergrund, den Zeiten der Opposition, der Gründung der Sozialdemokratischen Partei, die Friedliche Revolution und den Prozess der deutschen Einheit. Sie schließen mit einem (für die polnische Ausgabe neu formulierten) Ausblick auf die Jahre nach 1990, die dann nicht mehr darstellend behandelt werden.

Doch bis in die gegenwärtig behandelte Debatte um Reparationen haben viele der Themen eine auch heute bleibende Aktualität.

Links zur Online-Publikation der polnischen Übersetzung des Buches:

  1. Auf der Webseite des CBH: https://cbh.pan.pl/pl/wydarzenia/premiera-nowej-ksi%C4%85%C5%BCki-w-naszej-serii-prze%C5%82omy-i-ludzie-dialogu
  2. Auf dem Portal des Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau: https://publikacje.pan.pl/book/144664/osobista-historia-wolnosci-wspomnienia  

Am 9. Februar 2023 fand in der Warschauer St. Trinitatiskirche das 2. Gespräch unter der Kuppel statt. Thema war diesmal "Die Zukunft Europas und die Aufgabe der Kirchen".

Livestream

- German version: https://youtube.com/live/ORDgrfrlqDU?feature=share

- Polish version: https://youtube.com/live/pclEnQJ9pFE?feature=share

Interview with Antle Jakelen in English: https://youtu.be/WcJzhgFxvzc

Programm am 9. Februar 2023, 17.00:

Den Einführungsvortrag hielt die ehemalige Erzbischöfin und Primas der Kirche von Schweden, Dr. Antje Jackelén.

Mit ihr im Gespräch danach

Prof. Dr. Danuata Hübner - Mitglied des Europäischen Parlaments

Dr. Grzegorz Giemza -  Direktor des Polnischen Ökumenischen Rates, ev.-lutherischer Pfarrer Polens

Rüdiger Noll - Bereichsleiter Europa beim Dachverband der Ev. Akademien in Deutschland und Generalsekretär von "Okkosnet Europe"

Dr. Slawomir Pawlowski Sac - Prof. der Katholischen Universität Lublin, Sekretär der Kommission für den Dialog zwischem dem Poln. Ökumenischen Rat und der Polnischen Bischofskonferenz

Moderation: Anna Radwan - Präsidentin des In.Europa-Instituts

Zum Sachstand der Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia s. den Artikel von Katharina Moser in der Allgemeinen Zeitung vom 31. Januar 2023


Namibia und Deutschland – Versöhnung nach dem Völkermord?

Wie kommen wir aus der Blockade?

Eckpunkte zu ihrer Auflösung



Anderthalb Jahre nach der Veröffentlichung der Gemeinsamen Erklärung befindet sich der Verhandlungsprozess über den Umgang mit dem Völkermord in Namibia (1903-1908) zwischen der namibischen Regierung und der Bundesregierung in einer Sackgasse. Es fehlt unverkennbar an Legitimität auf der namibischen Seite. Die Unterzeichnenden sehen die Gründe nicht zuletzt in einer problematischen Herangehensweise an das Thema der Entschuldigung für den Völkermord und plädieren für einen Neuansatz. Die Entschuldigung selbst sollte nicht Gegenstand der Verhandlung sein, sondern einseitig von Deutschland aus erfolgen und damit einen aussichtsrechen Verhandlungsprozess einleiten.


Im Juni 2021 wurde in Verhandlungen zwischen den Regierungen Deutschlands und Namibias eine „Gemeinsame Erklärung“ vereinbart. In dieser werden die Konsequenzen aus dem Völkermord an den Ovaherero und Nama durch das Deutsche Kaiserreich in den Jahren 1904 - 1908 beschrieben, auf die sich beide Regierungen nach sechsjährigen Verhandlungen geeinigt haben. Neun Jahre hatte es schon gedauert, bis nach der entsprechenden Forderung der namibischen Seite in einer Parlamentsresolution von 2006 die deutsche Seite bereit war, von einem Völkermord zu sprechen und Ende 2015 Gespräche aufgenommen wurden. In dieser Erklärung konnte man sich auf wesentliche und weiterführende Schritte einigen, die für die Beziehung beider Länder von großer Bedeutung sein werden.

In Namibia gibt es jedoch seit der Veröffentlichung der „Gemeinsamen Erklärung“ heftige Debatten. Die deutliche Mehrheit der betroffenen Gemeinschaften, Ovaherero und Nama, aber auch San und Damara, sehen sich nicht angemessen beteiligt. Die deutsche Seite sieht die breite Beteiligung der Opfergruppen in der Verantwortung der namibischen Regierung und wartet angesichts der in Namibia aufgeflammten Konflikte ab. Sie sieht sich hier nicht in der Pflicht.

Ein Treffen des Vizepräsidenten Namibias, Dr. Nangolo Mbumba, mit mehr als 250 Repräsentanten (Chiefs) der betroffenen Gemeinschaften der Ovaherero, Nama, Damara und San am 27. Oktober 2022 hatte zum Ergebnis, dass die namibische Seite Nachverhandlungen zur „Gemeinsamen Erklärung“ führen möchte, um zumindest einige Ergänzungen zu erreichen. Inzwischen haben dem Vernehmen nach auch – wie Gespräche zwischen beiden Regierungen über eine Änderung einiger Modalitäten begonnen.

Das begrüßen wir sehr, und dies sollte u. E. als Chance angesehen werden, die guten und konkreten inhaltlichen Schritte der „Gemeinsamen Erklärung“ in einen weiter notwendigen, grundlegend neuen Ansatz zu überführen. Wir glauben, dass die Bundesregierung dabei vorangehen sollte. Gerade die in der Koalitionsvereinbarung der Ampelregierung formulierten Ziele, die koloniale Geschichte neu aufzuarbeiten bieten hier gegenüber dem bisherigen Verhandlungsmandat eine neue Perspektive.

Im Kontext des erklärten Willens der Bundesregierung, dass Deutschland sich seiner politisch-moralischen Verantwortung gegenüber seiner Kolonialgeschichte und den hier begangenen Verbrechen an der jeweiligen Bevölkerung stellt, kommt dem Umgang mit dem Völkermord an den Ovaherero und Nama eine neue und wegweisende Bedeutung zu. Gewiss nicht alle, aber doch einige der hier vorgeschlagenen Schritte werden auch auf die Aufarbeitung anderer Dimensionen der deutschen Kolonialgeschichte übertragbar sein.





Bisherige deutsche Erfahrungen mit Aufarbeitungs- und Versöhnungsprozessen


Aufarbeitung von Vergangenheit und die Versöhnung zwischen zwei Ländern und den betroffenen Gesellschaften sind jeweils sehr komplexe Prozesse, die auch von der jeweiligen konkreten Beziehungsgeschichte geprägt sind. Das gilt auch für die Versöhnungsprozesse Deutschlands mit Israel, Frankreich und Polen nach 1945. Für alle diese Prozesse jedoch galt: ein Schlussstrich war aus historischen, ethischen sowie politisch-pragmatischen Gründen ausgeschlossen. Am Anfang stand das Bekenntnis der Schuld und der eigenen deutschen Verantwortung, das an keine Vorbedingungen geknüpft werden konnte. Oft standen gesellschaftliche Initiativen am Anfang, die versuchten, ein öffentliches Bewusstsein und Kenntnisse über die schrecklichen historischen Ereignisse und die damit verbundene Verantwortung zu entwickeln und den Staat zur verbindlichen Anerkennung dieser Schuld und Verantwortung zu drängen.

In allen Aspekten dieses komplexen Aufarbeitungs- und Versöhnungsgeschehens handelt es sich um langfristige gesellschaftliche und in die Zukunft gerichtete, offene Prozesse, die nach wie vor immer neue Anstöße brauchen. Sie leben davon, dass in Deutschland wie in den Partnerländern ein möglichst breites Spektrum gesellschaftlicher Gruppen in den Prozess einbezogen wird. Oft sind sie zentrale Träger dieser Beziehungen.


Es war ein langer und schwieriger Prozess, die Völkermorde an den europäischen Juden und den Roma und Sinti als solche anzuerkennen. Noch länger dauerte es beim Völkermord an den Armeniern 1915, an dem Deutschland eine Mitverantwortung trägt. Für alle diese Völkermorde gilt ebenso wie für den Völkermord an den Ovaherero und Nama, dass sie geschahen, bevor der Völkermord durch die UN-Konvention 1948 mit klaren Kriterien definiert und als spezielles, extremes Verbrechen gekennzeichnet wurde. Gleiches gilt für den Holodomor, den stalinistischen Massenmord an den Ukrainern durch Verhungern, den der Deutsche Bundestag vor wenigen Wochen als Völkermord bezeichnet hat. Es ist zu begrüßen, dass der Deutsche Bundestag hier und 2015/16 zum Völkermord an den Armeniern sich eindeutig positioniert hat. Umso mehr muss es irritieren, dass eine solche eindeutige Aussage des deutschen Parlaments zu dem Völkermord an Ovaherero und Nama noch immer aussteht. Hier ist die deutsche Verantwortung weit unmittelbarer gegeben als in den anderen beiden Fällen.


In den Regierungsverhandlungen zwischen Deutschland und Namibia stellt sich Deutschland seiner politisch-moralischen Verantwortung gegenüber den Nachfahren des Völkermordes und der ganzen Bevölkerung Namibias. Beide Seiten wollen einen Rechtsstreit vermeiden, der das gemeinsame Ziel, die Zukunft aus dieser Verantwortung heraus in gutem Einvernehmen zu gestalten, belasten würde. Diesen Willen und diese Einschätzung teilen die Unterzeichner dieser Eckpunkte.

Doch ist der gewählte Ansatz von deutscher Seite aus unverkennbar von der Angst vor rechtlichen Präzedenzfällen geprägt und verkennt die Notwendigkeit eines offenen gesellschaftlichen Prozesses.

Der schließlich gewählte Weg, durch staatliche Verhandlungen ohne Transparenz eine Paketlösung zu erreichen, in der in EINEM Akt die Anerkennung des Völkermords, das Bekenntnis von Schuld und Verantwortung, die Annahme dieses Bekenntnisses und implizit das Gewähren von Vergebung sowie die Kompensation durch eine feste, als „abschließend“ bezeichnete Geldsumme festgelegt sind – verkennt den Charakter solcher geschichtlichen Prozesse und führt in eine Sackgasse.

Wir appellieren daher an die Bundesregierung, dieses Paket aufzulösen (insbesondere Gem. Erkl.  Nr. 14.15.20) und in einen offenen Prozess einzutreten. Dieser Prozess sollte sich an den international anerkannten Grundsätzen der „transitional justice“ orientieren und in beiden Gesellschaften ein breites Spektrum von Gruppen einbeziehen. Die Anerkennung des Völkermords und die Bitte um Entschuldigung durch die deutsche Seite sind dafür unabdingbare Voraussetzungen.  Die „Gemeinsame Erklärung“ benennt zentrale Aufgaben und Projekte, die auf solche eine Erklärung des Bundestags oder auch des Bundespräsidenten folgen müssen.

Von diesen können einige sofort und sogar einseitig geschehen. Andere brauchen Verhandlungen und Vereinbarungen. Alle diese Schritte jedoch sollten transparent und integrativ vollzogen werden, was direkte Kontakte der deutschen Seite mit den Repräsentanten der betroffenen Gemeinschaften einschließt.


Schritte, die sofort gegangen werden können:


In einer Resolution des Bundestages sollte die Anerkennung des unendlichen Leids ausgesprochen werden, das den Menschen im heutigen Namibia zugefügt wurde, einschließlich der Benennung dieser Verbrechen als Völkermord. Dem sollte die Bitte um Verzeihung folgen. Durch den Bundespräsidenten sollte dieses Bekenntnis und diese Bitte in Namibia selbst vorgetragen werden. Ebenso sollte sich der Bundespräsident mit einer entsprechenden Erklärung an die deutsche Öffentlichkeit wenden.

Dem könnten erste Schritte folgen, auf die man sich schon in der „Gemeinsamen Erklärung“ geeinigt hat. Gleichzeitig sollte das Gespräch über die in der Erklärung besprochenen Inhalte fortgeführt werden. Wie dort geschehen, braucht es im Sinne einer Wiedergutmachung klare finanzielle Zusagen für einen längeren Zeitraum (wobei 30 Jahre zu lang sein dürften!), jedoch ohne von abschließenden Regelungen zu sprechen (s. Gem.Erkl. 20)!

Der angestrebte Versöhnungsprozess zwischen Deutschland und Namibia erfordert eine breite gesellschaftliche Beteiligung in beiden Ländern. Gerade auch die Kirchen, die schon deutliche Schritte der Bearbeitung eigener Schuld und der Versöhnung gegangen sind, sollten hier einbezogen werden (Rheinland/EKD). Auch in vergleichbaren Prozessen mit anderen Ländern, haben sie eine wesentliche Rolle gespielt (z.B. „Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste“). Sie sind auch hier zu einer aktiven Rolle bereit. In Namibia müssen insbesondere die Nachkommen der unmittelbaren Opfer der Verbrechen so integriert werden, dass ihnen eine entscheidende Rolle zukommt und sie diese Rolle akzeptieren können.

Die beiden in der „Gemeinsamen Erklärung“ vorgesehenen Institutionen zur Entscheidung, Finanzierung und Begleitung der vorgesehenen Projekte im Bereich „gesellschaftlicher Versöhnung“ und „Rekonstruktion, Infrastruktur, Entwicklung und Landreform“ (zumindest für den ersten Bereich wäre an eine Stiftung zu denken) sollten zeitnah eingerichtet werden, damit schon bald mit konkreter Arbeit begonnen werden kann.


Berlin, den 14. Dezember 2022


 

 


Prof. Dr. Reinhart Kößler                                                      Markus Meckel

Binzstr. 2                                                                               Kurfürstenstr. 34

13189 Berlin                                                                          10785 Berlin

r-koessler@gmx.de                                                               kontakt@markusmeckel.eu

030-24332450                                                                       0163-3254145

 

 

 

 

Prof. Dr. Angela Mickley

angelamickley@gmail.com

0163-2922142



ANHANG

 

Stichworte zur weiteren inhaltlichen Gestaltung des gesellschaftlichen Prozesses


+ Aufarbeitung und Versöhnung dürfen sich nicht auf Diskussionen und Prozesse in Namibia beschränken, sie bedürfen auch einer deutschen Komponente.

+ Einbeziehung der Diaspora von Ovaherero und Nama, insbesondere in Botswana und Südafrika

+ Rückgabe von Kulturgut, von nach Deutschland verschleppten menschlichen Überresten; hierzu ist eine Systematisierung der Provenienzforschung und des Gesprächs bzw. von Verhandlungen über Rückgaben ebenso unerlässlich wie die Aufhebung bestehender rechtlich-bürokratischer Barrieren.

+ Projekte zur aktiven Conflict Transformation und zu einer breit angelegten Trauma-Bearbeitung  


Wissenschaft und Bildung

 + Forschungszentren zur Kolonialzeit und dem Genozid in Namibia (Windhoek) und in Deutschland (Hamburg oder Bremen), thematisch u.a. zu Erinnerungen und deren Tradierung bei den Opfern, Rekonstruktion des Leidens in der Omaheke und in den Konzentrationslagernin Swakopmund und Lüderitzbucht, Widerständigkeit, Transgression des 'Rassenstaates'

+ Kompetenzaufbau in allen beteiligten auch deutschen Gruppen zu (transformativer) Konflikt- und Vergangenheitsbearbeitung, Mediation, Auseinandersetzung mit transgenerationaler Traumaweitergabe

+ Stipendien für Forschende und Auszubildende

+ Schaffung einer unabhängigen bilateralen Historikerkommission

+ eine Schulbuchkommission sollte die Ergebnisse der historischen Forschung didaktisch aufbereiten und mit den bestehenden Strukturen zur Curricular-Entwicklung verknüpfen. In beiden Ländern sollten die Geschichte und Folgen des Völkermords Bestandteil des Lehrplans werden

+ Jugend- und Kulturaustauschprogramme 



Orte des Gedenkens und der Erinnerung (in Namibia und Deutschland!)

  • Temporäre und Dauerausstellungen zum Völkermord - (in den verschiedenen Regionen UND zentral in Windoek, dort (oder an einem anderen Ort) verbunden mit Begegnungszentren.
  • Identifizierung von Gräbern in Namibia an authentischen Orten, Unterstützung bei der Gestaltung verschiedener Gedenkorte Errichtung von Gedenksteinen und Denkmälern an ehemaligen Konzentrationslagern und bei bekannten (Massen)Gräbern
  • Entwicklung von Erinnerungsorten in Deutschland (Straßennamen, Friedhöfe, wissenschaftliche Einrichtungen und Regierungsstellen)
  • Gemeinsame Erarbeitung von Formen einer Gedenkkultur im öffentlichen Raum in Namibia wie in Deutschland
  • Errichtung eines zentralen Denkmals in Berlin zum Gedenken an die Opfer der kolonialen Gewalt an angemessener Stelle, vorzugsweise im Tiergarten in Beziehung zu den dort bereits bestehenden Erinnerungsorte.



Rekonstruktion, Infrastruktur, Entwicklung und Landreform


Ungleiche Einkommens- und Besitzverhältnisse Namibias (Land) sind auch Resultat des Krieges von 1904-1908 und der deutschen Kolonialpolitik insgesamt.

  • Programme für Rekonstruktion
  • Entwicklungsprogramme
  • Programme zur Landreform, Infrastrukturentwicklung etc.


Hier finden Sie den Nachruf bei ZEIT ONLINE.

2022-11-9 Nachruf auf Werner Schulz

Nachruf auf Werner Schulz (22. Januar 1950 – 9. Nov. 2022)

(für die ZEIT ONLINE)

Markus Meckel

  1. November 2022

 

Wir freuten und umarmten uns, als wir uns heute Morgen kurz vor der Veranstaltung des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue sahen. Seine erste Frage galt meiner Frau, denn neben vielem anderen verband uns in den letzten Jahren die Sorge um unsere Frauen, die mit dem Krebs kämpfen. Sehr offen sprachen wir immer darüber, zu zweit und auch zu viert. Er wusste, was es heißt, im Angesicht des Todes zu leben, dem anderen zur Seite zu stehen – und doch den Lebensmut, ja, auch die Fröhlichkeit nicht zu verlieren. Werner wohnte mit Mona inzwischen, nach seinem Mandat im Europaparlament, ganz im schönen ehemaligen Pfarrhaus in der Uckermark. Von dort war er am Morgen nach Berlin gekommen, um mit über die Frage nachzudenken: Wie erinnern wir den 9. November. Während dieser Veranstaltung ist er – mitten im Leben, das ihn erfüllte - aus dem Leben gerissen worden.

Eine Teilnehmerin, die ihn auch gut kannte, sagte im Anschluss in eine betroffene Runde: „Das ist Werner, an einem solchen Tag zu gehen…“. Ja, dieser 9. November, nun auch noch sein Todestag, hat viel mit dem Leben von Werner Schulz zu tun. Er war dafür gewesen, statt des 3. Oktober den 9. November als Nationalfeiertag zu begehen.  

Ich habe heute einen Freund verloren, mit dem mich viel verband. Aber weit mehr: Wir haben einen mutigen und profilierten Streiter für Freiheit und Demokratie verloren. Einen Bürgerrechtler damals in der DDR und dann einen eigenständig denkenden und streitbaren Politiker mit Haltung, der sich für seine Überzeugungen einsetzte, auch da, wo er sich mit anderen rieb und das konnte auch die eigene Partei sein.

 Kennengelernt haben wir uns Mitte der 80er Jahre, als er begann, in einem der profiliertesten Friedenskreise Berlins mitzuarbeiten (heute würde man sagen: Oppositionskreise, da das Themenspektrum weit über die Friedensfrage hinausging), dem Friedenskreis Pankow um Ruth und Hans Misselwitz. Im Rückblick sagte er darüber:

"„Keine Gewalt“ - das ist ein Grundmotiv des Friedenskreises gewesen und das wäre heute in unserer Gesellschaft nach wie vor eine ganz wichtige Aufgabe. Z.B. die Fragen, wie kann man gewaltlos miteinander leben kann, verschiedene Kulturen, verschiedene Lebensansprüche. Das sind Fragen, warum die Gewalt in der Gesellschaft zunimmt, welche Ursachen das hat, wie man sie eindämmt, das ist ja nicht nur rechtsextremistische Gewalt, das ist strukturelle Gewalt, die man an verschiedenen Stellen erlebt. Die Aufgabe eines solchen Kreises – wie der Pankower es war - ist aktueller denn je, und diese ist nicht unpolitisch."

 Werner erzählte von sich, dass sein politisches Erwachen viel mit dem Prager Frühling 1968 zu tun hatte. Wenige Wochen vor dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Vertrages in der Tschechoslowakei war er als Jugendlicher für zwei Wochen in Prag – und war fasziniert von der Freiheit und Offenheit dieses „Sozialismus mit menschlichem Gesicht“. Das „Manifest der 2000 Worte“ – ein von zahlreichen Intellektuellen unterzeichnetes Plädoyer für politische Reformen –begeisterte ihn. Für solche einen (!) Sozialismus wollte er eintreten – doch da dieser nicht möglich war, wuchs die Entfremdung zu Staat und System in der DDR. Für ihn zog sich hier eine Linie bis 1989. Nach seinem Studium verweigerte er den Dienst in der Volksarmee und wurde Bausoldat. Im Herbst 1989 gehörte Werner früh dem Neuen Forum an, er kannte die Initiatoren gut. So vertrat er das Neue Forum dann auch am Zentralen Runden Tisch der DDR, der sich aus Vertretern der neu entstandenen sowie der alten politischen Parteien und Gruppierungen zusammensetzte. Hier arbeitete er in der Verfassungskommission mit. Nach der freien Wahl im März 1990 wurde er Mitglied der Volkskammer und mischte sich aktiv ein in die schwierigen Diskussionsprozesse um die Deutsche Einheit, die er wollte, sich aber doch anders vorgestellt hatte – mit mehr Respekt gegenüber den Ostdeutschen.

Eine zentrale Rolle spielte er bei den schwierigen Verhandlungen von „Bündnis 90“ im Vereinigungsprozess mit den Grünen, dann aber besonders bis 1994 als wirkmächtiger Redner im Deutschen Bundestag für die Gruppe von „Bündnis 90“. Damals waren die Grünen nicht im Parlament. Als sie zurückkamen – gab es Konflikte. Joschka Fischer mochte Werner Schulz nicht in führender Funktion, er war ihm zu eigenständig – obwohl er als fulminanter Redner und einer der talentiertesten ostdeutschen Politiker den Grünen ein Profil hätte geben können, das sie dann in den Fragen der Entwicklung in Ostdeutschland und der Gestaltung der deutschen Einheit nie erlangten. Als exzellenter Redner hat Werner nicht nur einmal gegen die von der Führung der Partei der Delegiertenversammlung vorgelegte Liste kandidiert – und gewonnen. So auch bei der Europawahl 2009. Im Europäischen Parlament erwarb er sich über Parteigrenzen hinweg große Achtung – und viele Freunde.

Über viele Jahre war Werner Mitglied im Stiftungsrat der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Schon in der Zeit der demokratischen DDR nach der freien Wahl und dann im Deutschen Bundestag hat er sich für die notwendige Aufarbeitung der Diktatur ausgesprochen und die Rehabilitation und Entschädigung der Opfer.  Für ihn gehörte dies zum Aufbau glaubwürdiger demokratischer Strukturen. Hier unterstützte er insbesondere auch die internationalen Aktivitäten der Stiftung.

Viel verband uns im Blick auf die Politik gegenüber Osteuropa. Beide machten wir die Erfahrung, dass die eigene Position oft quer zur Außenpolitik der eigenen Partei stand – und so brauchte es Durchhaltevermögen und einen klaren Blick. Diesen hatte er – und auch den Mut, für die eigenen Positionen zu kämpfen. Die grausame und mörderische Politik des neu gewählten russischen Präsidenten Putin im 2. Tschetschenienkrieg entsetzte uns. So verließ Werner Schulz den Saal, als Putin 2001 seine viel beachtete Rede im Bundestag hielt. Insbesondere dann in den fünf Jahren im Europaparlament engagierte sich Werner Schulz für eine kritische Auseinandersetzung mit Putin und seinem „Kurs der inneren Säuberung und äußeren Expansion“, wie er schon 2014 beschrieb. Vehement trat er für die Solidarität mit der demokratischen Opposition in Russland ein. Viele Jahre war er mit dem schließlich ermordeten russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow befreundet und durch diesen und andere immer gut informiert. Sein Tod hat ihn tief erschüttert – und in seiner Haltung bekräftigt. Schon vor dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar trat er offen dafür ein, die Ukraine mit Waffen zu versorgen, damit sie sich wehren kann. Schon 1993 gehörten wir beide in unseren jeweiligen Parteien zu der kleinen Minderheit, die sich für das militärische Eingreifen auch Deutschlands gegen Milosevic einsetzte – und mit der Regierung von Helmut Kohl stimmten. Das hat zu mancher schmerzhaften Auseinandersetzung mit früheren Mitstreitern geführt, die an ihren pazifistischen Positionen festhielten. Werner Schulz stritt für die Menschenrechte weltweit, für eine wehrhafte Demokratie, die sich gegen ihre Feinde verteidigt – im Lande selbst wie international. Dabei stand er dafür ein, die oft schwache Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition zu unterstützen. So wird deutlich: Gerade auch in den gegenwärtigen Herausforderungen werden wir seine Stimme künftig schmerzlich vermissen.  

Werner Schulz wurde verschiedentlich geehrt. Zuletzt erhielt er den diesjährigen Deutschen Nationalpreis.

 

Hier Werner Schulz zu seiner persönlichen Entwicklung in der DDR und mit seiner Haltung angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine:

https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/mediathek/mein-1968-interview-mit-werner-schulz-0

https://www.youtube.com/watch?v=lVdHsWg4YFM

 

Die Festrede zur Deutschen Einheit im Dom zu Brandenburg am 3. Oktober 2022 finden Sie hier.


Hier können Sie den Gottesdienst per livestream ansehen.

Den Text der Predigt finden Sie hier: 2022-10-9 Predigt MM Berliner Dom

Die diesjährige Prager Konferenz "Forum 2000" stand ganz im Zeichen der Solidarität mit der Ukraine und der Frage, was weiter zu tun ist, um der Ukraine eine Zukunft in Freiheit und Demokratie zu ermöglichen, als Teil einer Europäischen Union, die fest zu ihren Werten steht und stärker als bisher herausgefordert, ihre Sicherheit zu gewährleisten.

Ein zentrales Ergebnis ist das PRAGER MANIFEST FÜR EINE FREIE UKRAINE 

Es trägt auch meine Unterschrift..

The Prague Manifesto for a Free Ukraine is part of the key outcomes of the Forum 2000 Conference and the “Forum for Ukraine”.

Signed for global leaders, intellectuals, European ministers of Foreign Affairs, and European parliamentarians, among others, the Manifesto sends a clear and strong message of support for Ukraine and for the struggle of its people. It also outlines some of the key steps needed to achieve a democratic and prosperous future of the country at the heart of the European Union and amongst the countries of the free world.


On February 24th, 2022, the Russian Federation renewed its aggression and further (on full scale) invaded Ukraine in an illegal and unprovoked aggression that needs to be strongly denounced, resisted, and defeated. Russia’s attack against the mere existence of Ukraine as an independent nation is at the same time a severe blow to the European security, to international law and a rule based global order.

In their response to this aggression, the Ukrainian people have given the world a lesson in heroism. Their valiant defense of their right to freedom and independence against the barbaric Russian invasion has affirmed for the benefit of the entire world the principle that might does not make right, that aggression must be resisted and punished, and that people everywhere have a profound stake in the preservation of a democratic international system.

The heroic Ukrainian resistance has generated a massive wave of solidarity. The transatlantic and global alliance of democracies has united in providing Ukraine with military assistance, humanitarian aid, and medical support. Many countries have welcomed Ukrainian refugees and granted them safe haven while at the same time imposing sweeping financial and economic sanctions on Russia and resolving to end Western dependence on Russian oil and gas. Much more, however, is needed.

Since the Revolution of Dignity in 2014, the Ukrainian people and their democratically- elected government have not wavered in their determination to become part of Europe. Russia’s indiscriminate and unlawful bombing has killed tens of thousands of civilians , and thousands of Ukrainian soldiers, many of whom were the most devoted of Ukraine’s youth who embodied hope for the country’s future. It also has caused massive devastation to Ukraine’s economy and infrastructure. Russian soldiers are committing barbaric war crimes against Ukrainian citizens, encouraged by their political and military leaders and hailed by Russian media.

None of these have stopped Ukraine's determination to become a member of the European Union. It has only grown stronger. Ukraine’s European aspiration and its vision of independent statehood anchored in the family of European democracies underpins its brave struggle for survival.

We, the citizens of European countries and members of the global civil society signed below, hereby resolve to:

  • Welcome the candidate status that the European Union has offered to Ukraine and urge the European institutions to move ahead as fast as possible and not delay additional support to the country, expeditiously within the context of the ongoing war. The political leadership of the EU member states and EU institutions must maximize their efforts to help lay the foundation for building a resilient democracy in Ukraine and preparing for its full-fledged EU membership. While the EU should use the leverage of accession to deepen Ukrainian democracy and unblock necessary reforms, it must not overburden Ukraine with very technical conditionality that the country cannot be expected to fulfill in its current situation. Rather than use such conditionality as a pretext to slow down the accession process, EU member states should establish a realistic timeframe with clear and achievable milestones for Ukraine to become a full-fledged member of the EU as soon as possible.
  • Request that the EU play a leading role in mobilizing global resources for rebuilding Ukraine. This planned massive effort should be seen not just as an investment in Ukrainian society and economy but also as a way to invest in the EU’s internal market and economic future. Embracing the prospect of Ukraine’s future membership should be regarded as a step towards securing the EU's own economic interests in Ukraine.
  • Ask the global democratic community to invest in a better and more prosperous future for Ukraine. The will of the Ukrainian people to overcome the current nightmares will be strengthened by the solidarity of the world’s democracies and by the prospect of democratic renewal and a better future for their children. The reconstruction efforts should help write a chapter of hope for Ukraine after this devastating war. The mutual ownership of both the democratic international community and Ukrainian people should be ensured through the joint oversight and accountability of reconstruction process ensuring the effective and meaningful use of funds provided by international donors.
  • State that while the international community's reconstruction aid will of course focus on physical rebuilding, it must also include much higher levels of funding for democracy support. The formidable challenges of rebuilding should not be an excuse for pushing back democratic reforms. Rather, the reconstruction process must be fully inclusive and designed to reinforce Ukraine’s democracy. Its accession to the EU as well as the reconstruction process must include working with Ukrainian civil society to strengthen the country’s democratic institutions and media.
  • Finally, we ask for justice. The fact that the brutal Russian attack has been aimed at the extermination of Ukrainian self-determination and its national identity, together with the mass slaughter of noncombatants and civilians, leads inevitably to the question of whether Russia has committed crimes against humanity and genocide. If it is determined that Russia has committed such crimes, they must not go unpunished. The system of international justice must be mobilized and shown to work. We call upon the leaders of the world’s democracies and all who consider themselves to be part of the “civilized world” to take decisive measures to ensure that possible crimes against humanity will be thoroughly investigated and that those found guilty of having committed war crimes and genocide will be held accountable and punished. 

The agenda for democracy and reconstruction that we have laid out cannot be realized if the war is allowed to become a bloody and protracted stalemate. It is urgent that the United States and Europe continue providing Ukraine with the weapons it needs to take the offensive and expel Russia from the territories it has occupied since 2014. By giving Ukraine candidate status, Europe now has a greater stake than ever before in Ukraine’s joining the EU as a secure, sovereign, and democratic state, not as a truncated country crippled by frozen conflicts in Russian-occupied territories that will threaten Ukraine’s survival and the security of neighboring states. The defeat of Russia’s aggression is a precondition for a Europe that is whole, free, and at peace. And the victory of Ukraine will renew the promise of democracy for people across the world.

Aufruf Schutz armenischer Kultur in Berg-Karabach Juli 2022 (mit allen Unterschriften!)

Englische Fassung : EN_Appeal_Artsakh Conference 19.8.2022

AUFRUF

 

Drohende Vernichtung armenischen Kulturerbes in Bergkarabach

Jerewan, den 19.07.2022

Vom 15. bis 19.07.2022 fand an der Staatlichen Universität von Jerewan und in der Diözese der Armenisch-Apostolischen Kirche von Vayots Dzor/Armenien eine Konferenz zum Thema „Das kulturelle Erbe von Arzach“ statt. Mehr als 30 internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Expertinnen und Experten haben den Ursprung, die historische Entwicklung sowie die aktuelle Gefährdung von Kulturgütern in der Region Bergkarabach (Arzach) diskutiert. Diese gehören zur armenischen Kultur und damit zum ältesten Erbe des Christentums.

Anlass der Tagung war ein Aufruf zahlreicher Wissenschaftler zum „Schutz der Kulturgüter in Karabach“ vom 04.03.2021. Dieser hat auf die akute Gefährdung der armenischen Bevölkerung und ihres kulturellen Erbes hingewiesen.

Bereits vorher haben zahlreiche Organisationen wie der Ökumenische Rat der Kirchen, sowie das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und das Osteuropa-Hilfswerk Renovabis Stellungnahmen zum Leid der Menschen und der Gefährdung des Kulturerbes in Bergkarabach veröffentlicht. Auch die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) in ihrer Resolution vom 27.09.2021 und das US State Department in seinem Bericht zur Religionsfreiheit in Aserbaidschan von 02.06.2022, haben dazu Stellung bezogen.


Inzwischen hat der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen in einer Verfügung vom 7.12.2021 Aserbaidschan dazu aufgefordert, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Akte des Vandalismus und der Schändung von Gegenständen des armenischen Kulturerbes zu verhindern und zu bestrafen. Zuletzt hat das Europäische Parlament am 10.03.2022 auf das Schärfste verurteilt, dass Aserbaidschan seine Politik fortsetzt, das armenische Kulturerbe in und um Bergkarabach herum auszulöschen und dessen Existenz zu leugnen.

Hintergrund ist, dass der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev bei seinem Besuch, der aus dem 12. Jahrhundert stammenden armenischen Kirche der Hl. Gottesmutter in Zakuri angekündigt hat, die armenischen Inschriften von dort zu entfernen. Außerdem hat der aserbaidschanische Kulturminister Anar Karimov am 03.02.2022 die Einsetzung einer Arbeitsgruppe bekanntgegeben, welche offenbar die systematische Vernichtung des gesamten armenischen Kulturguts in der Region legitimieren soll.

Während des von Aserbaidschan entfesselten Krieges im Jahr 2020 haben die aserbaidschanischen Streitkräfte die Ghasantschezoz-Kathedrale des Heiligen Erlösers in Schuschi zwei Mal mit Präzisionswaffen angegriffen und schwer beschädigt. Weiterhin wurde die Hl. Johannes der Täufer-Kirche (Kanatsch Zham) teilweise zerstört, nachdem aserbaidschanische Truppen die Kontrolle über die Stadt erlangt hatten. Weitere Kirchen, Inschriften und Kreuzsteine wurden beschädigt, entweiht oder zerstört. Satellitenbilder belegen auch, dass mehrere (historische) Friedhöfe vernichtet wurden.

Aserbaidschan hat bereits in der jüngeren Vergangenheit das kulturelle Erbe der armenischen Bevölkerung in der Exklave Nachitschewan ausgelöscht, was die vollständige Zerstörung des mittelalterlichen armenischen Friedhofs von Dschulfa und mit seinen tausenden Kreuzsteinen und anderen Monumenten einschließt.

Wir, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz, betrachten die armenischen materiellen und immateriellen Kulturgüter in und um Bergkarabach als hochgradig gefährdet.

Wir rufen dazu auf,


  1. dass alle politischen und gesellschaftlichen Akteure sowie internationale Organisationen sich für den Schutz von Kulturgütern und die gefährdete Bevölkerung in und um Bergkarabach einsetzen;
  2. dass Entscheidungsträger den Schutz von Kulturgütern und Menschenrechten zur Bedingung jeglicher Kooperation mit Aserbaidschan machen;
  3. bei den derzeit auf verschiedenen Ebenen geführten Verhandlungen über eine Beilegung des Konflikts mit dem Ziel eines Friedensschlusses auch die legitimen Interessen der Armenier in Bergkarabach zu berücksichtigen. Nur ein gerechter Friede kann eine nachhaltige Sicherung der Kulturgüter und Menschenrechte garantieren, zu der sich Aserbaidschan völkerrechtlich verpflichtet hat;
  4. sicherzustellen, dass die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten angesichts aktueller Verhandlungen und Vereinbarungen mit Aserbaidschan zu Energieträgerlieferungen auch die Themen Geschichtsrevisionismus, Menschenrechte und drohende Zerstörung von Kulturgütern in Bergkarabach zur Sprache bringen;
  5. dass Aserbaidschan Wissenschaftlern, der UNESCO und anderen internationalen Organisationen uneingeschränkten Zugang zu Kulturgütern in und um Bergkarabach ermöglicht sowie Gläubigen den Zugang zu Gebetsstätten nicht verwehrt.


Die Organisatorin und Organisatoren:

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Martin Tamcke, Göttingen

Prof. Dr. Andreas Müller, Kiel

Dr. Dagmar Heller, Bensheim

Dr. Harutyun G. Harutyunyan, Yerevan

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Andreas Müller

Theologische Fakultät

Leibnizstr. 4

24118 Kiel

Deutschland

Tel. +49 431 8802391

Email: AMueller@kg.uni-kiel.de

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer:

Asatryan, Anahit, Yerevan

Avagyan, Dr. Anahit, Yerevan/Eichstätt

Drost-Abgaryan, Prof. Dr. Armenuhi, Halle

Ghazaryan, Dr. Ani, Genf

Grigoryan, Harutyun, Berlin

Hayruni, Prof. Dr. Ashot, Yerevan

Hoffmann, Dustin, Brüssel

Hofmann, Dr. Tessa, Berlin

Hovhannisyan, Lernik PhD, Stepanakert

Kantian, Dr. Raffi, Hannover

Kazaryan, Dr. Armen Yerevan/Moskau

Knocke, Dr. Roy, Potsdam

Koschorke, Prof. Dr. Klaus, München/Thun

Langpape, Dr. Wolfram, Hannover

Manoukian, Dr. Abel, Genf

Martirosyan, Dr. Hayk, Potsdam

Meckel, Markus, Berlin

Melkonyan, Armine PhD, Yerevan/Florenz

Minasyan, Tamara, PhD, Yerevan

Mkrtchyan, Erzbischof Abraham, PhD, Yeghegnadzor

Petrosyan, Prof. Dr. Hamlet, Yerevan

Shakaryan, Archimandrit Sahak, Gandzasar

Springborn, Arpine, Göttingen

Sternberg, Prof. Dr. Dr. Thomas, Münster

Ter-Ghevondian, Dr. Vahan, Yerevan

Trunk, Prof. Dr. Dr. h.c. Alexander, Kiel

Tumanyan, Lusine, PhD, Yerevan

Zhamkochyan, Bischof Prof. Dr. Anushavan, Yerevan


(Interview mit Markus Meckel zum Offenen Brief am 3.6.2022, MDR Aktuell)

In Predigten, Reden und vielfältigen Gesten hat der Patriach der Russisch Orthodoxen Kirche, Kyrill II., seine Unterstüzung des Angriffskrieges gegen die Ukraine zum Ausdruck gebracht und erklärt diesen regelrecht zum heiligen Krieg. Er verhöhnt damit Geist und Logik der christlichen Botschaft und unterstützt damit den konzeptionelle Bruch des internationalen Völkerrechts durch Präsident Putin.

In einem Offenen Brief fordern wir, dass die EKD ihre bilateralen Beziehungen mit der Russisch Orthoxen Kirche bis auf Weiteres abbricht und dass der Ökumenische Rat der Kirchen der Welt (ÖRK) die Mitgliedschaft der Russisch Orthoxen Kirche ruhen läßt.


Hier der Wortlaut des Briefes

https://www.noek.info/hintergrund/2482-brief-an-die-ekd-und-oerk-klare-zeichen-gegenueber-dem-moskauer-patriarchat-zu-setzen

Englische Fassung: Brief an EKD Letter EKD and WCC 3 6 2022 English (6 06 22)

Am 12. März 1992 - vor 30 Jahren - wurde im Deutschen Bundestag die "Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur" ins Leben gerufen. Ich hatte im November 1991 dazu aufgerufen - und war schließlich regelrecht erstaunt, dass es gelang. Willy Brandt hielt in der Debatte zur Einsetzung seine letzte Rede im Bundestag.

Am 17. März 2022 gedachte der Deutsche Bundestag in einer eigenen Debatte dieses Ereignisses vor 30 Jahren. Dort kann man diese Debatte verfolgen.

Hier ein Interview von Markus Meckel zu diesem Anlass.

Hier finden Sie den Brief bei ZEIT-ONLINE.

Die Sache der Ukraine ist auch unsere Sache!
Ein anderer Offener Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
auf der Maikundgebung in Düsseldorf haben Sie gegen Pfiffe und Protestrufe Ihren Willen
bekräftigt, die Ukraine auch mit Waffenlieferungen zu unterstützen, damit sie sich erfolgreich
verteidigen kann. Wir möchten Ihnen auf diesem Weg Beifall für diese klaren Worte zollen
und Sie ermutigen, die Entschließung des Bundestags für Waffenlieferungen an die Ukraine
rasch in die Tat umzusetzen.
Angesichts der Konzentration russischer Truppen im Osten und Süden der Ukraine, der
fortgesetzten Bombardierung der Zivilbevölkerung, der systematischen Zerstörung der
Infrastruktur, der humanitären Notlage mit mehr als zehn Millionen Flüchtlingen und der
wirtschaftlichen Zerrüttung der Ukraine infolge des Krieges zählt jeder Tag. Es bedarf keiner
besonderen Militärexpertise, um zu erkennen, dass der Unterschied zwischen „defensiven“ und
„offensiven“ Rüstungsgütern keine Frage des Materials ist: In den Händen der Angegriffenen
sind auch Panzer und Haubitzen Defensivwaffen, weil sie der Selbstverteidigung dienen.
Wer einen Verhandlungsfrieden will, der nicht auf die Unterwerfung der Ukraine unter die
russischen Forderungen hinausläuft, muss ihre Verteidigungsfähigkeit stärken und die
Kriegsfähigkeit Russlands maximal schwächen. Das erfordert die kontinuierliche Lieferung von
Waffen und Munition, um die militärischen Kräfteverhältnisse zugunsten der Ukraine zu
wenden. Und es erfordert die Ausweitung ökonomischer Sanktionen auf den russischen
Energiesektor als finanzielle Lebensader des Putin-Regimes.
Es liegt im Interesse Deutschlands, einen Erfolg des russischen Angriffskriegs zu verhindern.
Wer die europäische Friedensordnung angreift, das Völkerrecht mit Füßen tritt und massive
Kriegsverbrechen begeht, darf nicht als Sieger vom Feld gehen. Putins erklärtes Ziel war und
ist die Vernichtung der nationalen Eigenständigkeit der Ukraine. Im ersten Anlauf ist dieser
Versuch aufgrund des entschlossenen Widerstands und der Opferbereitschaft der ukrainischen
Gesellschaft gescheitert. Auch das jetzt ausgerufene Ziel eines erweiterten russischen
Machtbereichs von Charkiw bis Odessa kann nicht hingenommen werden.
Die gewaltsame Verschiebung von Grenzen legt die Axt an die europäische Friedensordnung, an
deren Grundlegung Ihre Partei großen Anteil hatte. Sie beruht auf Gewaltverzicht, der gleichen
Souveränität aller Staaten und der Anerkennung der Menschenrechte als Grundlage für
friedliche Koexistenz und Zusammenarbeit in Europa. Es widerspricht deshalb nicht der Ostpolitik Willy Brandts, die Ukraine heute auch mit Waffen zu unterstützen, um diese Prinzipien
zu verteidigen.
Russlands Angriff auf die Ukraine ist zugleich ein Angriff auf die europäische Sicherheit. Die
Forderungen des Kremls für eine Neuordnung Europas, die im Vorfeld der Invasion formuliert
wurden, sprechen eine klare Sprache. Wenn Putins bewaffneter Revisionismus in der Ukraine
Erfolg hat, wächst die Gefahr, dass der nächste Krieg auf dem Territorium der NATO stattfindet.
Und wenn eine Atommacht damit durchkommt, ein Land anzugreifen, das seine Atomwaffen
gegen internationale Sicherheitsgarantien abgegeben hat, ist das ein schwerer Schlag gegen die
Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen.
Was die russische Führung fürchtet, ist nicht die fiktive Bedrohung durch die NATO. Viel mehr
fürchtet sie den demokratischen Aufbruch in ihrer Nachbarschaft. Deshalb der Schulterschluss
mit Lukashenko, deshalb der wütende Versuch, den Weg der Ukraine Richtung Demokratie und
Europa mit aller Gewalt zu unterbinden. Kein anderes Land musste einen höheren Preis
bezahlen, um Teil des demokratischen Europas werden zu können. Die Ukraine verdient deshalb
eine verbindliche Beitrittsperspektive zur Europäischen Union.
Die Drohung mit dem Atomkrieg ist Teil der psychologischen Kriegführung Russlands. Dennoch
nehmen wir sie nicht auf die leichte Schulter. Jeder Krieg birgt das Risiko einer Eskalation zum
Äußersten. Die Gefahr eines Nuklearkrieges ist aber nicht durch Konzessionen an den Kreml zu
bannen, die ihn zu weiteren militärischen Abenteuern ermutigen. Würde der Westen von der
Lieferung konventioneller Waffen an die Ukraine zurückscheuen und sich damit den russischen
Drohungen beugen, würde das den Kreml zu weiteren Aggressionen ermutigen. Der Gefahr einer
atomaren Eskalation muss durch glaubwürdige Abschreckung begegnet werden. Das erfordert
Entschlossenheit und Geschlossenheit Europas und des Westens statt deutscher Sonderwege.
Es gibt gute Gründe, eine direkte militärische Konfrontation mit Russland zu vermeiden. Das
kann und darf aber nicht bedeuten, dass die Verteidigung der Unabhängigkeit und Freiheit der
Ukraine nicht unsere Sache sei. Sie ist auch ein Prüfstein, wie ernst es uns mit dem deutschen
„Nie wieder“ ist. Die deutsche Geschichte gebietet alle Anstrengungen, erneute Vertreibungsund Vernichtungskriege zu verhindern. Das gilt erst recht gegenüber einem Land, in dem
Wehrmacht und SS mit aller Brutalität gewütet haben.
Heute kämpft die Ukraine auch für unsere Sicherheit und die Grundwerte des freien Europa.
Deshalb dürfen wir, darf Europa die Ukraine nicht fallen lassen.


Wer diesen Offenen Brief unterzeichnen möchte, kann das via change.org tun:
http://www.change.org/KanzlerfuerUkraine

Erstunterzeichner/innen:
Stephan Anpalagan, Gerhart Baum, Marieluise Beck, Marie von den Benken, Maxim Biller,
Helene von Bismarck, Marianne Birthler, Prof. Tanja Börzel, Wigald Boning, Hans Christoph
Buch, Mathias Döpfner, Prof. Sabine Döring, Thomas Enders, Fritz Felgentreu, Michel Friedman,
Ralf Fücks, Marjana Gaponenko, Eren Güvercin, Rebecca Harms, Wolfgang Ischinger, Olga
Kaminer, Wladimir Kaminer, Dimitrij Kapitelmann, Daniel Kehlmann, Thomas Kleine-Brockhoff,
Gerald Knaus, Gerd Koenen, Ilko-Sascha Kowalczuk, Remko Leemhuis, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, Igor Levit, Sascha Lobo, Wolf Lotter, Ahmad Mansour, Marko Martin, Jagoda
Marinić, Prof. Carlo Masala, Markus Meckel, Eva Menasse, Herta Müller, Prof. Armin Nassehi,
Ronya Othmann, Ruprecht Polenz, Gerd Poppe, Antje Ravik Strubel, Prof. Hedwig Richter, Prof.
Thomas Risse, Prof. Gwendolyn Sasse, Prof. Karl Schlögel, Peter Schneider, Linn Selle, Constanze
Stelzenmüller, Funda Tekin, Sebastian Turner, Marina Weisband, Deniz Yücel, Prof. Michael Zürn

ViSdP: Ralf Fücks, Zentrum Liberale Moderne, Reinhardtstr. 15, 10117 Berlin
www.libmod.de


Hier finden Sie das Interview.

Erklärung des Bündnisses "Gedenken gegen den Krieg" gegen das Verbot der ukrainischen Flagge an wichtigen authentischen Orten in Berlin.

Englische Fassung: Verbot der ukrainischen Flagge aufheben Lift the ban on the Ukrainian flag EN

Ein "Bündnis `Gedenken gegen den Krieg` ruft dazu auf, nicht dem russischen Narrativ des "Großen Vaterländischen Krieges" zu folgen, sondern den ganzen Zweiten Weltkrieg 1939 - 1945 in den Blick zu nehmen, also auch die Jahre, als Hitler-Deutschland und Stalins Sowjetunion Verbündete waren und das östliche Europa mit Schrecken überzogen, während Hitler den Rücken frei hatte, in West- und Nordeuropa Krieg zu führen...

Die unten stehenden Leitlinien finden Sie mehrsprachig auf der Website www.gedenken-gegen-krieg.de :

Berlin – 08./09. Mai 2022 – „Gedenken gegen den Krieg“

Zeitenwende – Russlands Krieg gegen die Ukraine

In Berlin soll verantwortungsvolles Erinnern an das Kriegsende 1945
den Umgang mit dem 08./09. Mai prägen

Ein breites Bündnis in Berlin ruft zur Ausrichtung von Veranstaltungen und Versammlungen am und um den 08./.09. Mai 2022 an wichtigen Erinnerungsorten in Berlin auf.

Wir, die Beteiligten des Bündnisses „Gedenken gegen den Krieg“, laden Organisationen, Vereine, Stiftungen, Gruppen, Körperschaften, Ensembles, Künstler:innen und Journalist:innen ein, sich aktiv zu beteiligen.

Das Bündnis bekennt sich zu den folgenden Leitlinien für das Gedenken an und den Umgang mit dem 08./09. Mai.

  • Der am 08./09. Mai 1945 in Europa mit der Kapitulation Deutschlands beendete Zweite Weltkrieg begann am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen. Er war ein Verbrechen NS-Deutschlands gegen die Menschlichkeit, das mehr als 70 Millionen Menschenleben forderte. Er wurde im Osten als rassistischer Vernichtungskrieg geführt, dem mehr als 5 Millionen polnische und etwa 27 Millionen sowjetische Bürgerinnen und Bürger aller Nationalitäten zum Opfer fielen, darunter Millionen Jüdinnen und Juden und hunderttausende Angehörige verschiedener Roma-Gruppen, die von den Deutschen aus rassistischen Motiven systematisch ermordet wurden. 
  • Die Sowjetunion (und heute Russland) spricht vom „Großen vaterländischen Krieg“, 1941 – 1945. Damit wird verdrängt, dass sie auch von 1939 bis 1941, in der 1. Kriegsphase, als Verbündete Hitlerdeutschlands am Krieg beteiligt war. Die Okkupation und Aufteilung Polens zwischen Deutschland und der Sowjetunion war der erste Schritt, auf den eine Vielzahl von Verbrechen beider totalitärer Diktaturen in Europa folgte. Auch die sowjetischen Verbrechen wie den Mord an den polnischen Offizieren (Katyn) mit in den Blick zu nehmen, relativiert die deutschen Verbrechen keineswegs – es macht eher eine deutsche Mitverantwortung deutlich. Der Hitler-Stalin-Pakt vom 23.8.1939 schuf die Grundlage für den deutschen Überfall und die Besatzung Polens sowie den sowjetischen Einmarsch in Ostpolen.  
  • Ob das Kriegsende in Europa als „Tag der Kapitulation“, „Tag der Befreiung“ oder „Tag des Sieges“ bezeichnet wird – das nationalsozialistische Deutschland wurde 1945 zum Glück von den Alliierten, d.h. von der Sowjetunion, den USA, Großbritannien und Frankreich, mit Unterstützung Polens und weiterer Staaten besiegt und somit der Zweite Weltkrieg in Europa beendet.
  • Die siegreiche sowjetische (Rote) Armee bestand aus Soldaten und Soldatinnen, die verschiedenen Ethnien angehörten und aus allen Teilrepubliken der UdSSR stammten – dies sollte bei der heutigen Erinnerung besondere Berücksichtigung finden. Den Sieg der Sowjetunion gleichzusetzen mit einem „Sieg Russlands“ ist nicht korrekt.
  • Deutschland hat eine besondere historische Verantwortung unter anderem insbesondere auch gegenüber der Ukraine und Belarus. Russland wurde im Zweiten Weltkrieg teilweise von NS-Deutschland und seinen Verbündeten besetzt, die Ukraine, Belarus und andere Republiken im Westen der UdSSR komplett. Hier konnten die Deutschen ihre Vernichtungsfantasien ausleben, und nicht zuletzt waren die Ukraine und Belarus zentrale Schauplätze des Holocaust und des Versuchs der Vernichtung sogenannter „slawischer Untermenschen“. Dies ist in der deutschen Öffentlichkeit bisher nie ausreichend aufgearbeitet worden, stattdessen werden die deutschen Verbrechen in der Ukraine, Belarus und anderen früheren Sowjetrepubliken sehr oft unter einer „Verantwortung gegenüber Russland“ subsumiert. Deshalb begrüßen wir den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 9. Oktober 2020, ein Dokumentationszentrum zum Vernichtungskrieg im Osten und zur deutschen Besatzung in Europa zu errichten.
  • Eine zeitgemäße, reflektierte Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg muss mit der Aufarbeitung der Diktaturen jener Zeit – d.h. außer der nazistischen in Deutschland auch der sowjetischen unter Stalin und weiteren in den Kriegsländern – einhergehen. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit Diktaturen als Herrschaftssystemen.
  • Die Gründung der Vereinten Nationen und die in der UN-Charta bestimmte internationale Nachkriegsordnung sind Antworten auf die Schrecken des Zweiten Weltkrieges. Mit der Charta von Paris für ein neues Europa 1990 wurde diese als durch gemeinsame Werte bestimmt weiterentwickelt. Mit der Annexion der Krim 2014 und dem Krieg gegen die Ukraine 2022 versucht Russland, diese internationale Rechts- und Friedensordnung zu zerstören. Dem zu widerstehen und mit aller Kraft entgegenzutreten sowie die Ukraine zu unterstützen, ist eine zentrale Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft.
  • Verantwortliches Erinnern an die Kapitulation des faschistischen Deutschland 1945 und den Sieg der Alliierten heißt auch, für Frieden in Europa einzutreten und den heutigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zu verurteilen.

Bündnis „GEDENKEN GEGEN DEN KRIEG“

Berlin, den 27. April 2022

Hier die Protesterklärung gegen das Verbot durch verschiedene NGOs in Deutschland:

Die Bundesstiftung Aufarbeitung fordert in einer gemeinsamen Erklärung mit anderen Institutionen die Bundesregierung und die Europäische Union dazu auf, alles in ihren Möglichkeiten Stehende zum Erhalt der Arbeit und des Archivs von Memorial sowie zum Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu tun.

Die gemeinsame Erklärung finden Sie hier: www.zeitschrift-osteuropa.de/blog/memorial-verboten/


Russlands Behörden wollen Memorial verbieten. Die Staatsanwaltschaft begründet dies damit, dass Memorial gegen das Gesetz über „ausländische Agenten“ verstoßen habe. Das juristische Verfahren ist eine Farce. Tatsächlich geht es um eine politische Entscheidung. Der Angriff auf die älteste Menschenrechtsorganisation Russlands, die das wichtigste unabhängige Zentrum zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur ist, zielt auf die Enthauptung der russischen Zivilgesellschaft.

Hier eine Erklärung deutscher NGOs, die auch ich unterschrieben habe, gegen diesen Übergriff auf die wichtigste russische NGO, die wegen Ihrer Menschenrechtsarbeit und der seit Jahrzehnten aktiven Aufarbeitung der  stalinistischen/kommunistischen Verbrechen und ihrer Folgen weltweit höchste Achtung und Anerkennung genießt. HIER SIND AUCH WEITERE UNTERSCHRIFTEN MÖGLICH! UNTERSTÜTZT DEN WELTWEITEN PROTEST GEGEN DIESES VORHABEN!

Hier ein Interview mit Irina Scherbakowa

Zu Hintergründen und Zusammenhängen schaue auf die Website von OSTEUROPA!

Hier die Erklärung des "Petersburger Dialog" zum drohenden Verbot von MEMORIAL!

Gestern Abend, am 14. Oktober 2021, wurde die russische Menschenrechtsorganisation Memorial in Moskau während der Vorführung eines polnischen Films über massenhaften Hungertod in der Ukraine während der Stalinzeit (Holodomor) von einer großen Gruppe junger, maskierter Männer überfallen.  Von Beginn an war ein quasi-staatlicher landesweiter TV-Sender dabei. Die herbeigeholte Polizei kümmerte sich praktisch nicht um die Täter, brachte aber weitere Sicherheitsdienste mit und hielt die Mitarbeiter:innen von Memorial über Stunden bis weit nach Mitternacht in den eigenen Räumen fest. Durchsuchungen konnten durch Juristen verhindert werden. Dies reiht sich ein in die immer stärkere Verfolgung unabhängiger NGOs und Medien in diesem Jahr.
Hier eine Erklärung von deutschen NGOs und Osteuropa-Expert:innen aus Anlass des Überfalls, der die Bedrohung von MEMORIAL noch einmal sehr deutlich werden läßt. Hier ist Solidarität und klare Haltung gegenüber den russischen Behörden und damit eine klare außenpolitische Stellungnahme notwendig!
2021-10-15 GEMEINSAME ERKLÄRUNG-MEMORIAL

Markus Meckel im Gespräch mit dem ehemaligen polnischen Außenminister Prof. Dr. Adam Daniel Rotfeld

Podiumsdiskussion „Der Vernichtungskrieg im Osten - von divergierenden Narrativen zum differenzierten Gedenken"

Teilnehmer:

  • Anton Drobovych, Leiter des Ukrainischen Institutes für Nationales Gedächtnis
  • Dr. Claudia Weber, Professorin für europäische Zeitgeschichte, Europa-Universität Viadrina
  • Łukasz Kamiński, ehem. Leiter des Polnischen Institutes für Nationales Gedenken, Geschichtsdozent an der Universität Breslau
  • Dzmitry Novikau, Vorstandsvorsitzender, Euroradio (für Belarus)

ModerationMarkus Meckel, ehem. Außenminister der DDR und MdB a.D.


PRESSEMITTEILUNG     21. Juli 2021     kulturreferat@russlanddeutsche.de

Schweigeminuten

Literarische Videobeiträge zu einer vielstimmigen Erinnerungskultur

anlässlich des 80. Jahrestags der Deportation der Russlanddeutschen

ab dem 23. Juli auf dem YouTube-Kanal des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte


Was empfindet ein Mensch, dessen Biografie oder Familiengeschichte nicht in das offizielle geschichtliche Narrativ der Gesellschaft passt, in der er lebt? Wie können Gedenken und Erinnern Würde verleihen oder sogar Traumata bewältigen? 2,5 Millionen Bundesbürger russlanddeutscher Herkunft gedenken im Sommer 2021 an das Kriegsfolgenschicksal ihrer Eltern- und Großelterngeneration. Sieben Autorinnen und Autoren sprechen im Projekt „Schweigeminuten“ über die Bedeutung dieses Themas für die Gesamtgesellschaft und ihren persönlichen Umgang damit.

Im Juni 1941 überfällt Nazideutschland die Sowjetunion: „Unbedingt aussiedeln – mit Gewalt“ lautet Stalins Begleitnotiz unter der Vorlage zum Deportationserlass im August 1941, mit dem Bürger deutscher Herkunft, die auf seinem Territorium leben für die folgenden Jahrzehnte willkürlich und pauschal als innere Feinde gebrandmarkt werden. Für Russlanddeutsche beginnt damit das, was heute als ihr Kriegsfolgenschicksal bezeichnet wird: Verbannung, Zwangsarbeit, Sonderaufsicht. Diejenigen, denen es gelingt aus der Sowjetunion zu fliehen, werden nach Kriegsende rücküberstellt und des Vaterlandverrates bezichtigt. Es folgen auch hier: Lager, Entrechtung, Stigma.

Verdrängt und unaufgearbeitet wirkt dieses Kollektivtrauma über Generationen hinweg bis heute nach. Sprachlosigkeit und Schweigen prägten die Kommunikation vieler russlanddeutscher Familien von innen. Das Verschweigen und Verdrängen ihrer Erfahrungen bestimmte die Erinnerungskultur von außen. Am Ende der Kette stehen der Sprachverlust und das Vergessen. Das Kriegsfolgenschicksal bildete aber auch den humanitären Aufnahmegrund der davon Betroffenen in Deutschland. Warum bin ich hier, ist eine Frage, mit der sich die heutigen Generationen zunehmend laut beschäftigen. Warum sind sie hier, fragt sich ein großer Teil der Mehrheitsgesellschaft.

In der Beitragsreihe „Schweigeminuten“ stellen Eleonora Hummel, Melitta L. Roth, Artur Rosenstern, Viktor Funk, Christina Pauls, Felix Riefer und Katharina Heinrich ihre Ansichten über die verschiedenen Aspekte der Aufarbeitung dieser in der Öffentlichkeit kaum bekannten Folgen des Zweiten Weltkrieges dar. Und zwar aus der Perspektive der Nachgeborenen. In ihren essayistischen oder belletristischen Texten werfen die Autor*innen folgende Fragen auf: Was ändert sich in der Erinnerungskultur der Russlanddeutschen? Wie ist der gegenwärtige Umgang mit dem Kriegsfolgenschicksal der Großelterngeneration? Wird das Sprechen darüber von der Öffentlichkeit weiterhin lediglich als ein Opfernarrativ einer zugezogenen Personengruppe betrachtet? Kann seine Integration in die Aufarbeitungsdiskurse der Mehrheitsgesellschaft gelingen?

Das Projekt will der Ambivalenz, Komplexität, Vielfalt dieses Kapitels der deutschen Nachkriegsgeschichte Form und Sprache verleihen. Es will Wege in eine Auseinandersetzung mit einer Kollektiverinnerung nach dem Ableben der Zeitzeugen beschreiten und Möglichkeiten eröffnen, damit an die aktuellen Debatten um den gesellschaftlichen Zusammenhalt anzuknüpfen.

Die Beitragsreihe wird ab dem 23. Juli bis zum 24. August auf der Webseite des Kulturreferates für Russlanddeutsche unter www.russlanddeutsche.de/schweigeminuten und auf dem YouTube-Kanal des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte erscheinen.

Schweigeminuten ist ein Projekt des Kulturreferats für Russlanddeutsche und des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold. Idee und Umsetzung: Melitta L. Roth und Edwin Warkentin, Kamera: Edwin Bill.

Das Projekt wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und dem Land Nordrhein-Westfalen gefördert.



___________________________________________

AM MUSEUM FÜR RUSSLANDDEUTSCHE KULTURGESCHICHTE


32756 Detmold | Georgstraße 24

Mobil. 0162 - 3462913 | Telefon. 05231 – 9216-913


Dieser Initiative von Günter Wallraff habe ich mich gern angeschlossen - und hoffe sehr auf einen Erfolg!



Günter Wallraff · 50823 Köln

2021-7-13 Anschreiben Bundeskanzlerin Angela Merkel - Brief der 120 für die Freiheit von Julian Assange


An
Bundeskanzlerin Angela Merkel
Willy-Brandt-Straße 1
10557 Berlin
Köln, den 11. Juli 2021


Brief der 120 für die Freiheit von Julian Assange

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
wir sind in großer Sorge um die Gesundheit und das Leben des Journalisten Julian Assange
und wenden uns an Sie im Hinblick auf Ihren geplanten Besuch bei US-Präsident Joe Biden in
Washington in diesem Monat.
Seit nunmehr elf Jahren kann der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks nicht mehr in
Freiheit leben. Seit April 2019 ist er im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London
inhaftiert, wo er auf die Entscheidung warten muss, ob er von Großbritannien an die USA
ausgeliefert wird. Dort drohen Julian Assange wegen seiner journalistischen Arbeit, darunter
die Enthüllung von US-Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan, 175 Jahre Haft.
Wie viele namhafte Menschenrechtsorganisationen und Journalistenverbände sehen auch
wir in der Verfolgung von Julian Assange einen Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit,
der mit aller Entschlossenheit zurückgewiesen werden muss. Wer Menschenrechten und
Demokratie verpflichtet ist, kommt nicht umhin, sich für die Freiheit von Julian Assange
einzusetzen.
Frau Bundeskanzlerin, helfen Sie mit, dass Julian Assange nicht weiter in Haft bleiben muss,
in der er durch anhaltende Isolation gesundheitlich systematisch zerstört wird. Der UNSonderberichterstatter zum Thema Folter, Prof. Nils Melzer, warnt seit langem, Julian
Assange zeige Symptome „psychischer Folter“ und müsse daher umgehend freigelassen
werden. Die Gefangenschaft treibe Julian Assange in eine „tiefe Depression und
Verzweiflung“, berichtete seine Verlobte Stella Morris von ihrem jüngsten Besuch in
Belmarsh, nachdem ihr und den beiden gemeinsamen kleinen Kindern zuvor acht Monate
lang jeder direkte Kontakt verwehrt worden war.
Der schlechte Gesundheitszustand von Julian Assange war schließlich auch das
Hauptargument der britischen Justiz in ihrem Urteil vom 4. Januar 2021, das eine
Auslieferung in unabsehbar lange US-Haft untersagt. Umso unverständlicher ist, dass der
Journalist noch immer unter schlimmsten Bedingungen in Belmarsh eingesperrt ist. Julian Internet: www.wallraff.info
Assange wird in Großbritannien weiter seiner Freiheit beraubt, einzig, weil die US-Regierung
aus politischen Gründen Einspruch gegen das Urteil eingelegt hat und weiter auf einer für
Assange lebensgefährdenden Auslieferung besteht.
Der Umgang mit Julian Assange ist mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht zu vereinbaren, die
schlimmen Haftbedingungen sind ein humanitärer Skandal. Angesichts der bedrohlichen
gesundheitlichen Verfassung von Julian Assange besteht dringender Handlungsbedarf.
Es liegt in der Hand von US-Präsident Joe Biden, das von seinem Amtsvorgänger gestartete
juristische Verfahren gegen Julian Assange zu beenden und die Klage fallenzulassen. Eine
Wende könnten hier die jüngsten Enthüllungen des Kronzeugen der US-Anklage, des
Isländers Sigurdur Ingi Thordarson, bringen, der in einem ausführlichen Interview vor der
internationalen Presse gerade erst gestanden hat, dass er für seine belastenden Vorwürfe
gegen Julian Assange gelogen und dafür auch Geldzuwendungen erhalten hat. Wir bitten Sie,
diese entlastenden Aussagen zu berücksichtigen.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, wir bitten Sie inständig, helfen Sie, im Fall Julian Assange
Brücken zu bauen. Machen Sie bei Ihren Gesprächen mit US-Präsident Joe Biden in
Washington deutlich, wie wichtig es im Sinne der Verteidigung der Pressefreiheit ist, die
Klage gegen den Wikileaks-Gründer fallen zu lassen, damit er in Freiheit im Kreise seiner
Familie gesundheitlich genesen kann.
Wir wissen, welch große Hoffnungen auf Ihnen ruhen – seitens der Familie von Julian
Assange wie auch der zahlreichen internationalen Unterstützer des Journalisten. Wir bitten
Sie für Julian Assange eine humanitäre und für den US-Präsidenten eine gesichtswahrende
Lösung zu finden.
Es wäre eine starke, bleibende humanitäre Geste zum Ende Ihrer Amtszeit und für Präsident
Joe Biden schließlich Gelegenheit, die Ära Donald Trump auch im Sinne des Schutzes von
Presse- und Meinungsfreiheit gänzlich hinter sich zu lassen.
Mit hoffnungsvollen Grüßen
Weitere Unterzeichner*innen
Jakob Augstein (Journalist, Verleger), Berivan Aymaz (MdL), Dietmar Bartsch (MdB,
Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Bundestag), Gerhart Baum (Bundesinnenminister
a.D.), Canan Bayram (MdB), Markus Beckedahl (Journalist), Rolf Becker (Schauspieler),
Konrad Beikircher (Kabarettist), Sibylle Berg (Schriftstellerin), Roswitha und Erich Bethe
(Bethe-Stiftung), Paul Böhm (Architekt), Nora Bossong (Schriftstellerin), Micha Brumlik
(Publizist), Anke Brunn (Landeswissenschaftsministerin a.D.), Frank Castorf (Regisseur),
Sevim Dagdelen (MdB), Herta Däubler-Gmelin (Bundesjustizministerin a.D.), Fabio de Masi
(MdB), Hans Demmel (Medienmanager), Bjan Djir-Sarai (MdB), Petra Erler (ehem.
Kabinettschefin EU-Kommission), Lisa Fitz (Kabarettistin), Sigmar Gabriel
(Bundesaußenminister a.D.), Kerstin Gleba (Verlegerin), John Goetz (Journalist), Katrin
Göring-Eckardt (MdB, Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag),
Anselm Grün (Benediktinerpater, Autor), Serap Güler (Staatssekretärin für Integration),
Gregor Gysi (MdB), Hektor Haarkötter (Medienwissenschaftler), Robert Habeck
(Vorsitzender der Partei Bündnis 90/Die Grünen), Lutz Hachmeister (Filmproduzent), Heike Internet: www.wallraff.info
Hänsel (MdB), Frank Heinrich (MdB), Monique Hofmann (Bundesgeschäftsführerin Deutsche
Journalistinnen- und Journalisten Union), Elfriede Jelinek (Schriftstellerin,
Literaturnobelpreisträgerin), Hans Jessen (Journalist), Tilo Jung (Journalist, Jung &
Naiv), Barbara Junge (Journalistin, Chefredaktion taz), Maskus J. Karsten (Verleger), Navid
Kermani (Schriftsteller), Markus Kompa (Rechtsanwalt), Reiner Kröhnert (Kabarettist),
Gabriele Krone-Schmalz (Publizistin), Sebastian Krumbiegel (Musiker), Wolfgang Kubicki
(MdB, Vizepräsident des Deutschen Bundestages), Friedrich Küppersbusch
(Fernsehproduzent), Oskar Lafontaine (Bundesfinanzminister a.D.), Karl Lauterbach (MdB),
Klaus Lederer (Bürgermeister und Kultur- und Europasenator von Berlin), Hans Leyendecker
(Journalist), Volker Lösch (Regisseur), Albrecht von Lucke (Publizist), Markus Meckel
(Theologe), Jeanine Meerapfel (Präsidentin der Akademie der Künste), Nils Melzer
(Sonderberichterstatter über Folter der Vereinten Nationen), Eva Menasse (Schriftstellerin),
Franz Meurer (kath. Pfarrer), Robert Misik (Schriftsteller), Amira Mohamed Ali (MdB,
Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag), Hans Mörtter (ev. Pastor), Andy MüllerMaguhn (Informatiker), Albrecht Müller (Publizist), Linus Neumann (Sprecher Chaos
Computer Club), Wolfgang Niedecken (Musiker), Bahman Nirumand (Autor), Max-Jacob Ost
(Journalist, Podcaster), Cem Özdemir (MdB), Osman Okkan (Filmemacher), Pagonis
Pagonikas (Filmemacher), Claus Peymann (Theaterregisseur), Fritz Pleitgen (Journalist,
ehem. WDR-Intendant), Dagmar Ploetz (Übersetzerin), Emitis Pohl (Unternehmerin), Sabine
Poschmann (MdB), Christine Prayon (Schauspielerin, Kabarettistin), Anja Reschke
(Journalistin, Redaktionsleiterin Panorama), Georg Restle (Journalist, ARD Monitor), Rezo
(Youtuber), Moritz Rinke (Schriftsteller), Claudia Roth (MdB, Vizepräsidentin des Deutschen
Bundestages), Eugen Ruge (Schriftsteller), Susana Santina (Journalistin), Joachim Sartorius
(ehem. Intendant Berliner Festspiele), Frank Schätzing (Schriftsteller), Volker Schlöndorff
(Filmregisseur), Gerhard Schmidt (Präsident der Dt. Akademie für Fernsehen), Renate
Schmidt (Bundesgesundheitsministerin a.D.), Wolfgang M. Schmitt (Filmkritiker), Wolfgang
Schorlau (Schriftsteller), Matthias Schreiber (Pfarrer), Ingo Schulze (Schriftsteller), Frank
Schwabe (MdB), Gesine Schwan (Politikwissenschaftlerin), Alice Schwarzer (Publizistin,
Herausgeberin „Emma“), Winfried Seibert (Rechtsanwalt), Martin Sonneborn (MdEP),
Michael Sontheimer (Journalist), Klaus Staeck (Plakatkünstler), Bernd Stegemann
(Dramaturg), Uli Stoll (Autor), Hans-Christian Ströbele (ehem. MdB), Margit Stumpp (MdB),
Wolfgang Thierse (Präsident des Deutschen Bundestages a.D.), Valentin Thurn
(Filmemacher), Uwe Timm (Schriftsteller), Ilija Trojanow (Schriftsteller), Georg Stefan Troller
(Schriftsteller), Max Uthoff (Kabarettist), Günter Verheugen (Staatsminister a.D, ehem.
Vizepräsident der EU-Kommission), Antje Vollmer (ehem. Vizepräsidentin des deutschen
Bundestages), Sahra Wagenknecht (MdB), Jörg Wagner (Medienjournalist), Norbert WalterBorjans (Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands), Harald Welzer
(Soziologe), Heidemarie Wieczorek-Zeul (Bundesministerin für wirtschaftliche Entwicklung
a.D.), Ulrike Winkelmann (Journalistin, Chefredaktion taz), Ranga Yogeshwar (Physiker,
Wissenschaftsjournalist

Ein kurzer Trailer mit O-Tönen von Juri Durkot aus Lviv, Markus Meckel aus Berlin, Ihar Melnikau aus Minsk, Claudia Weber aus Frankfurt/Oder und Ernest Wyciszkiewicz aus Warschau kann unter folgendem Link abgespielt werden: https://www.facebook.com/watch/?v=545206683521213

Hier können Sie die gesamte Diskussion in verschiedenen Sprachfassungen verfolgen:

DEUTSCHE VERSION YouTube:

https://youtu.be/v3uDIEE5Jbk

POLNISCHE VERSION:

https://www.youtube.com/watch?v=Lj4_KBZDn5Q

RUSSISCHE VERSION auf dem YouTube-Kanal von Euroradio FM:

https://www.youtube.com/watch?v=NhYjbWYtmXM

Sie kann zudem auf unserem FACEBOOK-Profil verfolgt werden: https://www.facebook.com/sdpz.org


Vom Hitler-Stalin-Pakt zum Überfall auf die Sowjetunion

Am 22. Juni jährt sich der deutsche Überfall auf die Sowjetunion zum 80. Mal. Mit dem „Unternehmen Barbarossa“
radikalisierte sich der vom Deutschen Reich am 1. September 1939 entfesselte Zweite Weltkrieg, dem zunächst
Polen zum Opfer fiel, und der im Sommer 1941 zum umfassenden rassistischen Vernichtungskrieg im Osten
wurde. Er trat in eine neue, brutale und - angesichts von über 27 Mio. Toten – in seine opferreichste Phase ein.
Von Beginn an war etwa der Tod von Millionen durch Hunger einkalkuliert, da die Wehrmacht aus dem Lande
ernährt werden sollte. Insbesondere die heutigen Staaten Belarus, die Ukraine und Russland sowie deren
Zivilbevölkerung litten unter der grausamen deutschen Besatzung. Ihre Kriegsschicksale stehen heute noch
immer im deutschen „Erinnerungsschatten“.
Schon lange bemühen sich zivilgesellschaftliche Initiativen, die wenig beachtete Opfergruppen stärker im
kollektiven Gedächtnis der Deutschen zu verankern. Im letzten Jahr hat nun auch der Deutsche Bundestag in
zwei Resolutionen vom 9. bzw. 30. Oktober 2020 beschlossen, in der deutschen Hauptstadt ein Dokumentations-
, Bildungs- und Erinnerungsstätte zur deutschen Besatzungsherrschaft im Zweiten Weltkrieg in ganz Europa
sowie einen Gedenkort für die polnischen Kriegs- und Besatzungsopfer zu errichten.
Vor diesem Hintergrund und anlässlich des 80. Jahrestages erinnern die deutsch-belarussische gesellschaft e.V.
und die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit an den Überfall der deutschen Wehrmacht auf die
Sowjetunion mit einer Podiumsdiskussion, die das folgenschwere Ereignis kontextualisiert und es aus der
Perspektive von Belarus und der Ukraine nachzeichnet. Beide damaligen Sowjetrepubliken waren vom Angriff
der deutschen Wehrmacht am 22. Juni 1941 zuallererst betroffen. Zugleich markiert dieser Tag für beide nicht
den Beginn von Krieg und Gewalt. Hier gilt es, den 17. September 1939 in Erinnerung zu rufen, als die Rote
Armee dem Hitler-Stalin-Pakt entsprechend die Ostgebiete Polens besetzte und in Städten wie Brest, Grodno
oder Lemberg ihre Herrschaft gewaltsam etablierte.
Es ist keine leichte Aufgabe und sollte doch immer das Ziel jeder sachlichen Debatte über den Zweiten Weltkrieg
sein, der enormen Komplexität der damaligen Ereignisse und den verschiedenen (Opfer-)Perspektiven gerecht
zu werden. Auch diese Einladung zum differenzierten Gedenken an den 22. Juni 1941 und zum Gespräch über
divergierende Narrative hat diesen Anspruch.
Folgende Podiumsgäste werden dazu beitragen, dass dies am Vorabend des Jahrestages gelingt:
Juri Durkot, Übersetzer und Publizist (Lviv)
Dr. Ihar Melnikau, Zeithistoriker (Minsk)
Prof. Dr. Claudia Weber, Zeithistorikerin, Professorin an der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt/O.)
Dr. Ernest Wyciszkiewicz, Politikwissenschaftler, Direktor des Zentrums für polnisch-russischen Dialog und
Verständigung (Warschau)
Einführung und Moderation: Markus Meckel, ehem. Außenminister der DDR, MdB a.D. (Berlin)
Das Gespräch wird am 21. Juni 2021 um 17:00 Uhr in drei Sprachfassungen (DE/PL/RU) im Internet
(YouTube/ fb) veröffentlicht - die deutsche Version wird hier und auf dem fb-Profil der SdpZ zu sehen sein.
Die Veranstaltung wird aus Mitteln des Auswärtigen Amtes gefördert

Meckel - Zur Überführung der Stasiakten ins Bundesarchiv - Juni 2021 (Berliner Archivrundschau 1/2021)

(Zum Prozess der Entscheidungen über die Jahre - siehe Positionierungen am Ende des Artikels unten)


1990 entschied die frei gewählte Volkskammer der DDR, dass die Akten der Staatssicherheit geöffnet werden sollen – zum einen für die Opfer und zum anderen unter bestimmten Kriterien auch für die Öffentlichkeit, um den Herrschafts- und Repressionscharakter des kommunistischen Systems offenzulegen. Die damalige Bundesregierung, Kanzler Kohl und ihr Bundesinnenminister Schäuble, lehnten das anfangs ab. Nach heftigen Auseinandersetzungen gelang es sicherzustellen, dass eine Sonderbehörde für diese Unterlagen geschaffen und von der Volkskammer ein Beauftragter benannt wird. Joachim Gauck wurde in diese Funktion gewählt. Gleichzeitig sollte nach der Vereinigung vom Deutschen Bundestag für den Zugang und die Arbeit dieser Behörde ein eigenes Gesetz ausgehandelt werden. Hier galt es, den besonderen Charakter dieser Akten zu berücksichtigen, die unter nichtrechtstaatlichen Bedingungen entstanden waren. So spielten datenschutzrechtliche Kriterien eine wesentliche Rolle.  Auf der Grundlage des StUG begann schließlich am 1.1.1992 der BStU seine Arbeit. 

Die Öffnung dieses Aktenbestandes war eine große historische Leistung, die international große Anerkennung gefunden hat. Viele ehemals kommunistische Länder sind mit erheblicher Verzögerung diesem Beispiel gefolgt und haben vergleichbare Behörden geschaffen. Der BStU in Deutschland war von Beginn an vor allem als Archiv angelegt, dessen Zugänglichkeit besonderen Regelungen unterworfen war. Darüber hinaus wurden diesem jedoch auch weiter reichende Aufgaben übertragen: die Forschung und ein Bildungsauftrag über den Sicherheits- und Repressionsapparat, da in Ost und West über diese überwundene Diktatur aufgeklärt werden sollte. In anderen Ländern wurden den vergleichbaren Behörden sogar noch justizielle Aufgaben übertragen.

Die Öffnung der Akten der Staatssicherheit war politisch und gesellschaftlich ein großer Erfolg, der breite Zustimmung erfahren hat. Sie galt und gilt es dauerhaft zu sichern. Gleichzeitig gibt es seit etwa 15 Jahren eine intensive Debatte darüber, diesen Aktenbestand und die anderen Aufgaben in die rechtsstaatlichen Strukturen in Deutschland zu überführen und damit langfristig zukunftsfähig zu machen. Dazu gehört die klare institutionelle Unterscheidung von Archiv, unabhängiger Forschung und politischer Bildung: Die Akten ins Bundesarchiv zu geben, die Behördenforschung zu beenden und in eine unabhängige Institution zu überführen und auch den Bildungsauftrag an dafür vorgesehene, vorhandene Strukturen zu übertragen.  Zwei Kommissionen beschäftigten sich im Auftrag der Bundesregierung bzw. des Deutschem Bundestages mit diesen Fragen, 2006 legte die sog. Sabrow-Kommission ihre Ergebnisse vor, 2016 dann eine weitere. Die Konzeptionsbildung erwies sich als so schwierig, weil die verschiedenen Dimensionen und Aufgaben nicht klar genug unterschieden wurden – die Zuständigkeit für die Akten, die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit, die Forschung zu DDR und Kommunismus, das Gedenken an diese Geschichte an authentischen Orten und die politische Bildung. 

Viele Opfer der Diktatur und ehemalige Bürgerrechtlicher sahen die BStU als ein Symbol an, das schlicht erhalten werden sollte – und leisteten nachhaltigen Widerstand gegen jede Reform. Die Bundeskulturbeauftragte verfolgte keine eigene Konzeption, sondern überließ es dem letzten Beauftragten, Roland Jahn, mit allen und in allem irgendwie einen Kompromiss zu finden – und nur jeden öffentlichen Ärger zu vermeiden. Herausgekommen ist ein Ergebnis, das wenig befriedigen kann – und nach einiger Zeit gewiss einer Neuordnung bedarf!

  1. Das StUG wurde ohne Änderung in das Bundesarchivgesetz übernommen und nur redaktionell angepasst. Dabei wäre es angebracht gewesen, 30 Jahre nach der Vereinigung zu fragen, welche weiteren Öffnungen der Akten möglich sind. Die Praxis der gegenwärtigen Schwärzungen der Akten für die Forschung etwa hätte dringend auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Die 30-Jahres-Frist wurde 1990/91 immer als zentral benannt – nun hätte es einen deutlichen Schritt erweiterter Zugänglichkeit geben müssen. Diese Frage ist in diesem Prozess nicht einmal aufgeworfen worden.


  1. Seit Beginn verfügte der BStU über eine Abteilung Bildung und Forschung mit erheblichen Personalstellen. Diese Behördenforschung konnte anfangs verständlich sein, war aber immer ein Problem. Es ist die Chance verpasst worden, diesen ganzen Arbeitsbereich aus dem BStU herauszulösen und – unter Mitnahme der Haushaltsmittel - eine unabhängige Forschungsstätte zu schaffen. Die Gründung eines „Europäischen Instituts für Zeitgeschichte“ mit dem Schwerpunkt der Kommunismusforschung hätte, ergänzt durch europäische Mittel und im Verbund mit Institutionen in anderen Ländern, ein dringend benötigter Ort des historischen grenzüberschreitenden Diskurses der Aufarbeitung der „noch rauchenden“ Geschichte des 20. Jahrhunderts werden können.


  1. Ein besonderes Problem der gegenwärtigen Gesetzgebung ist die Überführung derAußenstellen des BStU in seiner nach wie vor gemischten Aufgabenstellung in das Bundesarchiv. Die dort angesiedelte Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit sowie der Betrieb von Dokumentationszentren sind nun einmal keine Archivaufgabe, diese gehören in Zukunft herausgelöst! Auch die Diskussion und Entscheidung zu Standorten, die man nun im Gesetz festgeschrieben hat, folgte einer unangemessenen Logik und Verwirrung der Geister. Archivstandorte müssen praktisch sein und möglichst nah bei anderen Archivbeständen liegen. Die Bestandszusammenführung aller DDR – Akten wäre das Gebot der Stunde gewesen! Archivdepotorte haben keine Symbolwirkung! Authentische Orte der Diktatur dagegen gehören ins Gedenkstättenkonzept. Sie werden als solche Orte politischer Bildung sein – gehören aber nicht in die Verantwortung des Bundesarchivs!


  1. Schon früher ist die Chance verpasst worden, die beiden zentralen Standorte der Staatssicherheit in Berlin - die Normannenstraße als Ort der Täter und Hohenschönhausen als Ort der Opfer – in eine gemeinsame öffentliche Stiftung zusammenzuführen. Der Gemischtwarenladen in der Normannenstraße wird in keiner Weise seiner Aufgabe als professionell und modern gestalteter, authentischer Lernort zum wichtigsten Repressionsapparat in der Diktatur gerecht. Der öffentlich genutzte Name „Campus fürDemokratie“ suggeriert, als wäre gerade die Zentrale der Stasi ein besonderer Ort der Demokratiebildung, dabei gilt diese Zielstellung für jede Gedenkstätte an die Diktaturen in Deutschland.


  1. Gut ausgestattete Archive, die ihre geordneten Bestände professionell (und möglichst weitgehend auch digital) zugänglich machen, sind für die Aufarbeitung von Geschichte von außerordentlicher Bedeutung – aber sie sollen nicht selbst Akteure der Aufarbeitung werden. Das 2008 gegründete „European Network of Official Authorities in Charge oft he SecretPolice Files“ vereint die Behörden und Institutionen verschiedener Länder, welche zum einen die Aktenbestände der kommunistischen Sicherheitsdienste verwalten, aber eben auch deren Erforschung, die Aufarbeitung und z.T. auch die juristische Verfolgung der ehemaligen Akteure. Das Bundesarchiv – als hoffentlich bald wieder ausschließlich Archiv – wird gutberaten sein, in der internationalen Zusammenarbeit auf diesem Feld andere hinzuzuziehen, z.B. die Bundesstiftung Aufarbeitung. 


  1. Im Zusammenhang der Auflösung der BStU und der Überführung der Stasiakten in das Bundesarchiv wurde auch die Einrichtung eines Beauftragten für die Opfer der kommunistischen Diktatur beim Bundestag beschlossen. Hier muss bedauert werden, dass dieser nicht auch für die Opfer der NS-Diktatur zuständig ist. Die Fragestellungen sind für die Opfer – bei aller Verschiedenheit der Systeme – oft sehr ähnlich, und man fragt sich, warum es eine solche Stelle für die NS-Opfer nie gegeben hat. Wichtig wird sein, dass diese neue Behörde sich wirklich darauf beschränkt, für die Opfer zu wirken und ihre Rechtsstellung und öffentliche Anerkennung zu verbessern. DANN kann sich diese zu einer hilfreichen, dieAufarbeitungsbeauftragten in den Ländern unterstützenden und nicht behindernden Institution entwickeln, die Anwalt dieser Menschen vor den Behörden, der Politik und für die Öffentlichkeit ist. 


  1. Die zu begrüßende Überführung der Stasiakten ins Bundesarchiv stellt dieses vor immense Aufgaben, allein schon vom Umfang des Aktenbestandes und der Anzahl der zu übernehmenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter her. Das Bundesarchiv, das gerade erst den Archivbestand der „Deutschen Dienststelle“ mit zusätzlichen Aufgaben übernommen hat, erhält Akten, die in hohem Maße in ihrem physischen Zustand gefährdet sind. Allein ihre Sicherung und Digitalisierung wird eine enorme Herausforderung sein, für die das Bundesarchiv auch professionell und personell angemessen ausgestattet werden muss. Ob die Regelungen im Personalbereich hierfür zukunftsweisend sind, wird sich herausstellen müssen. Dabei muss sichergestellt werden, dass auch die anderen wichtigen Bestände und ihre Bearbeitung (Editionen etc.) nicht vernachlässigt werden – denn das Bundesarchiv ist „das Archiv der Nation im Ganzen“!


Hier frühere Vorschläge und Stellungnahmen von Markus Meckel zum Thema:

+ 30. März 2016  Bitte noch einmal nachdenken! Zum Ergebnis der Kommission über die Zukunft der BStU MM zu den Emfpehlungen der KOM BStU März 2016

+ Januar 2012 Markus Meckel/Jörn Mothes  Thesen zur Zukunft der BStU Jan2012

+ 2. April 2007   Positionspapier zur Verantwortung des Bundes für die Erinnerung und Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in der DDR Posit papier zu AufarbInst April 2007

Gemeinsame Erklärung zur

Entscheidung der russischen Generalstaatsanwaltschaft, den Deutsch-Russischen Austausch, das Zentrum für liberale Moderne und das Forum russischsprachiger Europäer zu "unerwünschten Organisationen" zu erklären

 27. Mai 2021

(Hier die Datei des Textes:Solidaritätserklärung Mai 2021

Gestern hat die russische Generalstaatsanwaltschaft drei deutsche zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich seit Jahren im Dialog mit Russland und russischen Partner/innen engagieren, zu "unerwünschten Organisationen" erklärt: den Deutsch-Russischen Austausch, das Zentrum für liberale Moderne und das Forum russischsprachiger Europäer. Bereits seit einiger Zeit wird darüber hinaus die aus Deutschland initiierte Europäische Plattform für demokratische Wahlen (EPDE) als unerwünscht geführt. "Unerwünscht" bedeutet nichts Anderes als "streng verboten": allen russischen Staatsbürger/innen ist die Zusammenarbeit mit diesen Organisationen bei Androhung von Freiheitsstrafen verboten.

Vertreter/innen von drei der Organisationen - LibMod, EPDE und DRA - wirken seit vielen Jahren im Petersburger Dialog zum Austausch zwischen den Zivilgesellschaften beider Länder mit – auf Ebene der Mitgliederversammlung und des Vorstandes.

Mit dem Verbot dieser Organisationen in Russland gibt der Kreml ein klares Signal der Dialogverweigerung. Die Idee des Petersburger Dialogs – den Austausch der unabhängigen Zivilgesellschaften beider Länder zu fördern – wird damit jeder Substanz beraubt. Eine einfache Fortsetzung des Petersburger Dialogs unter diesen Bedingungen ist nicht vorstellbar.

Wir fordern die unverzügliche Rücknahme des Verbots der genannten Organisationen in Russland. Wir – Angehörige der deutschen Zivilgesellschaft aus Wissenschaft, Medien und Nichtregierungsorganisationen werden uns von der russischen Regierung nicht aufspalten lassen in genehme und nicht gewünschte Dialogpartner/innen. Selbstverständlich werden wir die Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Russischen Austausch, dem Zentrum für Liberale Moderne, dem Forum russischsprachiger Europäerinnen und der Europäischen Plattform für Demokratische Wahlen für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und internationalen Dialog in Deutschland fortsetzen.


Sabine Adler, Journalistin

Golineh Atai, Journalistin

Prof. Martin Aust, Verband der Osteuropahistorikerinnen und –historiker

Thorsten Benner, Global Public Policy Institute 

Martin Bialecki, Chefredakteur, IP 

Sabine Erdmann-Kutnevic, Vorstand Memorial Deutschland e.V.

Dr. Sabine Fischer, Senior Fellow, Stiftung Wissenschaft und Politik

Peter Franck, Amnesty International Deutschland

Uta Gerlandt, Historikerin

Dr. Imke Hansen, Libereco – Partnership for Human Rights

Dr. Thorsten Klaßen, COO, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

Remko Leemhuis, Direktor, AJC Berlin Lawrence & Lee Ramer Institute for German-Jewish Relations

Gabriele Leupold, Übersetzerin

Peter Liesegang, Dominik Mikhalkevich, Deutsch-Belarussische Gesellschaft e.V.

Markus Meckel, Dt. Vorsitzender Stiftungsrat SDPZ, Mitglied Petersburger Dialog

Michael Meyer-Resende, Democracy Reporting International gGmbH Prof. Dr. Riccardo Nicolosi, Ludwig-Maximilians-Universität München

Ruprecht Polenz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e.V.

Dr. Manfred Sapper, Zeitschrift Osteuropa

Prof. Dr. Gwendolyn Sasse, Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien

Stefanie Schiffer, Geschäftsführerin Europäischer Austausch

Dr. Susan Stewart, Forschungsgruppenleiterin, Stiftung Wissenschaft und Politik 

Dr. Ellen Ueberschär, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Dr. Susann Worschech, Sozialwissenschaftlerin, Europa Universität Viadrina Annegret Wulff, MitOst e.V.

Jörn Ziegler, ChildFund Deutschland e.V.

Pressemitteilung

Fünfter Stiftungsrat der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
nimmt seine Arbeit auf
Berlin, 18.05.2021.

Der fünfte Stiftungsrat der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ist
am 19. April 2021 virtuell zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengekommen. Wegen der
Corona-bedingten Einschränkungen erfolgte die Wahl des Vorsitzenden und Stellvertreters des
Stiftungsrates im Nachgang in geheimer Abstimmung per Briefwahl. Zum Vorsitzenden wurde
Markus Meckel, zu seinem Stellvertreter Marco Wanderwitz gewählt.
„Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen im Stiftungsrat.
Gemeinsam werden wir uns dafür einsetzen, dass die Auseinandersetzung mit der kommunistischen
Diktatur und der deutschen Teilung sowie Fragen der deutschen Einheit und der
Transformationserfahrungen, als Aufgabe von gesamtdeutscher und internationaler Bedeutung im
öffentlichen Bewusstsein verankert wird“, erklärte der wieder gewählte Vorsitzende des
Stiftungsrates Außenminister a.D. Markus Meckel.
Zu seinem Stellvertreter wurde der Beauftragte der Bundesregierung für die ostdeutschen
Bundesländer, der Parlamentarische Staatssekretär Marco Wanderwitz, MdB, gewählt. Dieser
erklärte: „Im Stiftungsrat der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die 1998 vom
Deutschen Bundestag, gegründet wurde, werden wir gemeinsam die erfolgreiche Arbeit der
vergangenen Jahre fortführen und uns insbesondere für die Stärkung der schulischen und
außerschulischen Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur auf deutschem Boden
einsetzen.“
Der Stiftungsrat ist das oberste Gremium der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und
wird für fünf Jahre gewählt. Im Stiftungsrat werden die grundsätzlichen Fragen der Stiftungsarbeit
beschlossen und unter anderem der ehrenamtliche Stiftungsvorstand bestellt. Der Rat setzt sich
zusammen aus Vertretern der Bundestagsfraktionen, der Bundesregierung, des Landes Berlin sowie
aus Persönlichkeiten, die in Fragen der Aufarbeitung der SED-Diktatur besonders qualifiziert und
engagiert sind

In der ZEIT veröffentlichen 100 Historiker einen Aufruf, die DDR-Vertragsarbeiter endlich zu entschädigen.

HIER gibt es die Möglichkeit, diesen Brief der Historiker noch zu unterschreiben!!

Hier weitere Informationen zum Thema!!

FÜR ENTSCHÄDIGUNGSZAHLUNGEN AN DIE SOGENANNTEN MADGERMANES
Offener Brief an die Bundesregierung
Jeden Mittwoch demonstrieren in der mosambikanischen Hauptstadt Maputo ehemalige DDR-Vertragsarbeiter:innen. Die Rückkehrer:innen, in Mosambik „Madgermanes“ genannt, kämpfen seit Jahrzehnten um Anerkennung und um eine zumindest symbolische Entschädigung für einbehaltene Lohnzahlungen und Sozialversicherungsbeiträge.

In Deutschland erinnern zahlreiche Gedenkstätten, Archive, Vereine und Einrichtungen der politischen Bildung an das begangene Unrecht des SED-Regimes. Ein zentrales „Mahnmal für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft in Deutschland“ ist in Planung. Forschungen zur DDR und zur Transformationsgeschichte werden seit den 1990er Jahren so intensiv und institutionell gefördert wie zu keiner anderen Epoche der deutschen Geschichte zuvor.

Umso irritierender ist, wie vergleichsweise geringen Widerhall die Forderungen der ehemaligen mosambikanischen Vertragsarbeiter:innen finden, die in der DDR um einen beträchtlichen Teil ihres Lohnes betrogen worden sind. Etwa 17.000 Frauen und Männer, im Alter von 18 bis 25 Jahren, kamen zwischen 1979 und 1989 in die DDR. Sie hofften auf Qualifizierung, doch landeten sie häufig an Arbeitsplätzen, die keine brauchbare Aus- und Fortbildung ermöglichten. Viele von ihnen, die nach 1989 nach Mosambik zurückkehren mussten, demonstrieren bis heute in verschiedenen mosambikanischen Städten: Sie fordern Anerkennung und zumindest symbolische Entschädigung. Mit diesem offenen Brief aus Wissenschaft und Erinnerungskultur wollen wir ihren Forderungen Nachdruck verleihen.
Als Wissenschaftler:innen erforschen wir unter anderem den Alltag und die Lebensbedingungen der Menschen in der DDR, Rassismus, Migration, (Post-)Kolonialismus und arbeiten in Erinnerungskultur und politischer Bildung daran, Bewusstsein für historisches Unrecht zu schaffen.

Mosambik war das Land des Globalen Südens, zu dem die DDR die intensivsten Beziehungen unterhielt. Junge mosambikanische Frauen und Männer stellten die zweitgrößte Gruppe der Arbeitsmigrant:innen. In vielen Aspekten lebten sie wie die vietnamesischen, kubanischen und angolanischen Arbeiter:innen in der DDR. Ein wichtiger Unterschied bestand jedoch darin, dass 25 und zeitweise bis zu 60 Prozent des monatlichen Nettolohnes der mosambikanischen Vertragsarbeiter:innen (oberhalb eines Sockels von 350 DDR-Mark) einbehalten wurden. Entgegen schriftlicher Vereinbarungen mit den Betrieben, die versprachen, das Geld würde zu ihren Gunsten auf Konten in Mosambik überwiesen, verblieben die Lohnanteile in der DDR. Die für die staatliche Devisengewinnung zuständige Kommerzielle Koordinierung (KoKo) verrechnete das Einkommen der mosambikanischen Arbeiter:innen mit den Staatsschulden der jungen Republik. Hinzu kommen bis heute nicht geklärte Rentenansprüche aus Einzahlungen der Vertragsarbeiter:innen in das DDR-Sozialsystem. Mosambikanische Frauen waren wie die anderen Vertragsarbeiter:innen mit geschlechts¬spezifischer Diskriminierung konfrontiert. Da Schwangerschaft als Beeinträchti-gung der Arbeitskraft klassifiziert wurde, standen sie in der Regel vor der Alternative Abbruch oder Abschiebung ins Herkunftsland.

Betroffene und Interessenvertreter:innen formulierten 2019 das Magdeburger Memorandum auf der Tagung „Respekt und Anerkennung für mosambikanische Vertragsarbeiter*innen, Madgermanes und die Schüler*innen der Schule der Freundschaft“. Wir unterstützen die darin formulierten Forderungen nach finanzieller Entschädigung sowie nach transparenter Aufarbeitung der offenen juristischen Fragen.
Mit diesem Brief bitten wir als Wissenschaftler:innen die Bundesregierung um rasche und unbürokratische Entschädigungszahlungen. Die betroffenen Frauen und Männer sind im fortgeschrittenen Alter, viele sind bereits gestorben. Sie leben in einem der ärmsten Länder der Welt. Die Bundesrepublik Deutschland hat es im Zuge der Wiedervereinigung versäumt, für die Situation der Vertragsarbeiter:innen angemessen Verantwortung zu übernehmen. Mehr als 30 Jahre nach dem Ende der DDR ist es überfällig, das Unrecht, das diese Menschen erlitten haben, anzuerkennen und finanzielle Entschädigung zu leisten.
Weitere Informationen unter:
Erstunterzeichner:innen
Stand 11. April 2021

Dr. Maria Alexopoulou, Historikerin, Migrations- und Rassismusgeschichte, Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin
PD Dr. Knud Andresen, Historiker, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
Prof. Dr. Iman Attia, Sozialpädagogin, Erziehungswissenschaften und Rassismusforschung, Alice Salomon Hochschule Berlin
Prof. Dr. Maureen Maisha Auma, Erziehungswissenschaftlerin und Geschlechterforscherin, Kindheit und Differenz (Diversity Studies), Hochschule Magdeburg-Stendal
Dr. Felix Axster, Historiker, Zentrum für Antisemitismusforschung und Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt
Katrin Bahr, Ph.D., Historikerin, Visiting Assistant Professor, Centre College, KY, USA
Christine Bartlitz, Historikerin/Redakteurin, ZZF Potsdam
Prof. Dr. Manuela Boatcă, Soziologin, Soziologie und Global Studies, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Prof. Dr. Frank Bösch, Historiker, Universität Potsdam
Prof. Dr. Ulrich Brand, Politikwissenschaftler, Internationale Politik, Universität Wien
Nikolai Brandes, Politikwissenschaftler, Postdoctoral Researcher, Dänisches Nationalmuseum Kopenhagen
Dr. Jutta Braun, Historikerin, ZZF Potsdam
Jens Brinkmann, Historiker, ZZF Potsdam
Dr. Eric Burton, Historiker, Assistenzprofessor für Globalgeschichte, Universität Innsbruck
Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland
Dr. Marion Detjen, Historikerin, Bard College Berlin
Prof. Dr. Burcu Dogramaci, Historikerin, Kunstgeschichte, LMU München
Dr. phil. Axel Doßmann, Historiker, BMBF-Verbund „Diktaturerfahrung und Transformation“, Universität Jena
Dr. Tobias Ebbrecht-Hartmann, Historiker/Filmwissenschaftler, DAAD Center for German Studies, The Hebrew University of Jerusalem
Prof. Dr. Andreas Eckert, Historiker, African History, Humboldt University Berlin
Dr. Isabel Enzenbach, Historikerin, Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin
Prof. Dr. Klaus Fitschen, Theologe/Kirchenhistoriker, Theologische Fakultät der Universität Leipzig
Prof. Dr. Naika Foroutan, Politik- und Sozialwissenschaftlerin, Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik, Direktorin des DeZIM-Institut
Bernd Gehrke, Publizist, Berlin
Prof. Winfried Gerling, Medienwissenschaftler, Europäische Medienwissenschaft, Fachhochschule Potsdam
Dr. Jens Gieseke, Historiker, ZZF Potsdam
Dr. Sandra Gruner-Domic, Anthropology and History, independent researcher, Los Angeles
Dr. Noa K. Ha, Stadt-, Migrations- und Rassismusforschung, DeZIM-Institut Berlin
Immanuel R. Harisch, Historiker, Geschichte, Forschungsplattform Mobile Kulturen und Gesellschaften, Universität Wien
Dr. Gerda Heck, Assistant Professor for Sociology, Department of Sociology, Egyptology, and Anthropology (SEA) and Center for Migration and Refugee Studies (CMRS), The American University in Cairo
Prof. Dr. Kirsten Heinsohn, Historikerin, Stellvertretende Direktorin Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg
Dr. Enrico Heitzer, Historiker und Politikwissenschaftler
Emilia Henkel, Historikerin, Forschungsverbund Diktaturerfahrung und Transformation, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Prof. Dr. Cordelia Heß, Historikerin, Geschichtswissenschaft, Universität Greifswald
Dr. Renate Hürtgen, Historikerin, Berlin
Prof. Dr. Jens Jäger, Historiker, Universität zu Köln
Prof. Dr. Anke John, Geschichtsdidaktikerin, Professur für Geschichtsdidaktik, Universität Jena
Prof. Barbara John, Politologin, Berlin
Brenda Akele Jorde, Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf
Dr. Maren Jung-Diestelmeier, Historikerin, Berlin
Prof. Dr. Susan Kamel, Museologin/Arabistin, Museummanagement und -kommunikation, HTW Berlin
Dr. Heike Kanter, Soziologin/Bildforscherin, Halle
Dr. Serhat Karakayali, Leiter der Abteilung Migration am DeZIM-Institut
Dr. Jan-Holger Kirsch, Historiker/Redakteur, Berlin/Potsdam
Dr. Martina Kleinert, Ethnologin, Südseesammlung und Historisches Museum Obergünzburg
Dr. Christoph Kreutzmüller, Historiker, Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz
Dr. Michaela Kuhnhenne, Erziehungswissenschaftlerin, Düsseldorf, für den Vorstand der German Labour History Association e.V. (GLHA)
PD Dr. Jeannette van Laak, Historikerin, Universität Halle-Wittenberg
Prof. Dr. Dirk van Laak, Historiker, Universität Leipzig
Dr. Thorolf Lipp, Ethnologe und Filmemacher, Berlin
Dr. Annette Leo, Historikerin, Berlin
Prof. Dr. Thomas Lindenberger, Historiker, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden
Dr. Urs Lindner, Philosoph, Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt
Jessica Lindner-Elsner, Historikerin, ZZF Potsdam
Prof. Dr. Elisio Macamo, Soziologe mit Schwerpunkt Afrika, Universität Basel
Prof. Dr. Hanna Meißner, Soziologin, Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, TU Berlin
Dr. des. Christiane Mende, Historikerin, Potsdam
Dr. Meron Mendel, Erziehungswissenschaftler, Bildungsstätte Anne Frank
Prof. Dr. Matthias Middell, Historiker, Research Centre Global Dynamics, Universität Leipzig
Razak Minhel, Geschäftsführer Multikulturelles Zentrum Dessau e.V.
Prof. Dr. Maren Möhring, Historikerin, Vergleichende Kultur- und Gesellschaftsgeschichte, Institut für Kulturwissenschaften, Universität Leipzig
Robert Mueller-Stahl, Historiker, ZZF Potsdam
Phương Thúy Nguyễn, Kulturwissenschaftlerin, Hochschule Mittweida & Werdauer Initiative gegen Rassismus
Gisela Noack, Pfarrerin i.R., Halle-Salle
Axel Noack, Bischof i.R., Halle-Saale
Katharina Oguntoye, Historikerin, Joliba, Interkulturelles Netzwerk in Berlin e.V.
Apl. Prof. Dr. Jochen Oltmer, Historiker und Migrationsforscher, Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück
José Paca, Vorsitzender Dachverband der Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland
Prof. Dr. Gerhard Paul, Historiker, Flensburg
Redaktion PERIPHERIE, Münster
Dr. Patrice G. Poutrus, Historiker, BMBF-Verbund „Diktaturerfahrung und Transformation“, Universität Erfurt
Prof. Dr. Kim Christian Priemel, Europäische Zeitgeschichte, Universität Oslo
Dr. Ann-Judith Rabenschlag, Historikerin, Institut für Geschichtswissenschaften, Stockholm Universität
Prof. Dr. Heike Radvan, Erziehungswissenschaftlerin, BTU Cottbus-Senftenberg
Prof. em. Dr. Dr. hc. Wolfgang Reinhard FBA, Neuere Geschichte, Universität Freiburg
Dr. Mohammad Sarhangi, Historiker, Berlin
Mag.a Michaela Scharf, Historikerin, Ludwig Boltzmann Institute for Digital History, Wien
Prof. Dr. Marcia C. Schenck, Historikerin, Historisches Institut, Universität Potsdam
Dr. Eva Schöck-Quinteros, Historikerin, Universität Bremen
Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum, Historikerin, Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin
PD Dr. Julia Schulze Wessel, Politikwissenschaftlerin, Institut für angewandte Demokratie- und Sozialforschung
Dr. Annette Schuhmann, Historikerin, Projektleitung zeitgeschichte|online, ZZF Potsdam
Prof. Dr. Helen Schwenken, Migrationsforscherin, Direktorin des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) an der Universität Osnabrück
Sandra Starke, Historikerin, ZZF Potsdam
Danilo Starosta, Berater/Publizist, Dresden
Jun.-Prof. Dr. Cécile Stehrenberger, Historikerin, Bergische Universität Wuppertal
Helen Thein-Peitsch, Bibliothekarin, ZZF Potsdam
Dr. habil. Christoph Thonfeld, Historiker, KZ-Gedenkstätte Dachau
Prof. Dr. phil. Vassilis S. Tsianos, Migrationssoziologie, Fachhochschule Kiel
Prof. Dr. Mathias Tullner, Historiker, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Henrike Voigtländer, Historikerin, ZZF Potsdam
Dr. habil. Annette Vowinckel, Historikerin, ZZF Potsdam/Humboldt-Universität zu Berlin
Dr. Iris Wachsmuth, Historikerin, Neue AG für Zeitgeschichte + SozioAnalysen e.V.
Prof. Dr. Jens-Christian Wagner, Historiker, Lehrstuhl für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Universität Jena
Malte Wandel, Fotograf, München/Köln
Birgit Weyhe, Illustratorin, Hamburg
Prof. Dr. Michael Wildt, Historiker, Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt im Nationalsozialismus, Humboldt-Universität zu Berlin
Wissenschaftliche Vereinigung für Entwicklungstheorie und Entwicklungspolitik e.V. (WVEE)
PD Dr. habil. Frank Wolff, Historiker, Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück
Prof. Dr. Aram Ziai, Politikwissenschaftler, Uni Kassel
Cynthia Zimmermann, Erziehungswissenschaftlerin, Initiative 12. August

Kontakt
Christine Bartlitz, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam: bartlitz@zzf-potsdam.de
Dr. Isabel Enzenbach, Technische Universität Berlin: isabel.enzenbach@tu-berlin.de
 

Aufruf Schutz von Kulturgütern Karabach März 2021


Aufruf zum Schutz der Kulturgüter in Karabach
Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich besonders den Kirchen und der Kultur
Armeniens verbunden fühlen, hat uns nicht nur der Verlauf des Krieges um Berg Karabach mit Sorge
erfüllt, sondern auch die Frage der Zukunft der dort lebenden Menschen und des kulturellen Erbes.
Die Gefährdung armenischer Kultur kann uns nicht gleichgültig sein, nicht nur weil kulturelle
Minderheiten prinzipiell zu schützen sind, sondern auch, weil das kulturelle Erbe Armeniens zu
unserem gemeinsamen christlichen Erbe gehört. Wir lehnen die ideologische Umdeutung oder
Zerstörung historischen kulturellen Erbes ab, insbesondere, wenn diese einer politischen
Instrumentalisierung dienen. Als Christinnen und Christen sehen wir uns zur Solidarität mit
Glaubensgeschwistern verpflichtet, die in ihrer kulturellen Identität bedroht sind.
Die gegenwärtige Lage belegt, wie schwer es sein wird, die Zeugen armenischer Präsenz in der
Region zu erhalten, deren Erbe zu pflegen und ausländischen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern Zugang zu den wichtigsten Orten zu gestatten. Wege aufzuzeigen, die das Erbe
armenischer Präsenz sichern, um ideologischen Engführungen entgegenzuwirken, scheint uns
dringend geboten. Als Voraussetzung für eine Verbesserung der Situation sehen wir aktuell die
dringende Notwendigkeit, alle möglichen Schritte in Richtung auf eine Versöhnung zwischen den
verfeindeten Völkern hin zu unternehmen.
Deshalb rufen wir auf:
- zum Schutz von christlichen Monumenten vor Umwidmung und Zerstörung und vor EntArmenisierung
- zur Zulassung internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Sicherung des
kulturellen Erbes der Region
- zur Sicherung des Zugangs der christlichen Stätten für Pilger
- zur Beendigung von Kriegsrhetorik
und schlagen vor
- vertrauensbildende Maßnahmen einzuleiten
- andere Institutionen zu Stellungnahmen zu ermutigen
- die Veranstaltung von Workshops und internationalen Fachtagungen zu
Klöstern/Theologie/Frömmigkeit/Konflikt- und Friedensforschung (mit international
ausgerichteten Publikationen) zu fördern.
Dieser Aufruf wurde verfasst und unterzeichnet von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an einem
(online durchgeführten) Fachgespräch, das am 4. März 2021 stattfand:
Die Organisatorin und Organisatoren:
Prof. Dr. Martin Tamcke, Göttingen
Prof. Dr. Andreas Müller, Kiel
Pfrin. Dr. Dagmar Heller, BensheimTeilnehmerinnen und Teilnehmer:
Dr. Mekhak Ayvazyan, Erlangen
Prof. Dr. Armenuhi Drost-Abgaryan, Halle
Prof. Dr. Hacik Rafi Gazer, Erlangen
Prof. em. Dr. Martin George, Berlin
Prof. Dr. Theresia Hainthaler, Frankfurt
Dr. Harutyun Harutyunyan, Yerevan
Dr. Tessa Hofmann, Berlin
Dr. Armen Kazaryan, Moskau
Prof. em. Dr. Klaus Koschorke, München
Pastorin Hanna Lehming, Hamburg
Dr. Johannes Oeldemann, Paderborn
Giorgios Vlantis, M.Th., München
Weitere Unterzeichnende:
Prof. Dr. Thomas Bremer, Münster
Pfr. Dr. Axel Meißner, Schkeuditz
Dr. Anna Briskina-Müller, Halle
Prof. em. Dr. Wolfgang Hage, Marburg
Markus Meckel, Berlin
Prof. Dr. Dimitrios Moschos, Athen
Arpine Papikyan, Göttingen
Prof. Dr. Karl Pinggéra, Marburg
Propst Dr. Johann Schneider, Halle
Prof. Dr. Martin Wallraff, München
Prof. Dr. Dorothea Weltecke, Frankfur

Rücktrittserklärung des Vorsitzenden Markus Meckel und der Mehrheit des Vorstandes der dbg

  1. März 2021


Die Repression in Belarus wird von Woche zu Woche schlimmer. Das Lukaschenko-Regime unterdrückt alles und jeden, der auch nur zaghaft Kopf und Stimme erhebt und das einfordert, was eines jeden Menschen Recht ist. Die politische Opposition sitzt im Kerker, sie ist außer Landes vertrieben, sie wird eingeschüchtert. Auch wenn Lukaschenka mit Gewalt und Repression vorerst die Oberhand zu behalten scheint – wir sind überzeugt, am Ende wird auch in Belarus die Freiheit siegen.

Wir in der dbg haben versucht, mit anderen NGOs in Deutschland und Europa, Solidarität und Unterstützung zu organisieren. So auch im Rahmen des „AK Belarus“, einem informellen Zusammenschluss verschiedener NGOs. Im Zentrum stand dann für uns Anfang Dezember letzten Jahres das „MINSK FORUM XVIII 2020“, durchgeführt als Online-Konferenz, dokumentiert unter www.minskforum.org.

Hier kamen Swetlana Tichanowskaja und andere Repräsentanten der Protestbewegung und des oppositionellen Koordinierungsrates zu Wort und ins Gespräch mit den Außenministern Deutschlands und Polens, mit Heiko Maas und Zbigniew Rau. Und sie redeten mit anderen Vertretern aus Politik und Gesellschaft in Deutschland, der Nachbarländer und der EU.

Leider erwies sich die dbg in diesen Wochen und Monaten mehr und mehr als eine nicht tragfähige Institution für diese Arbeit. Zermürbende und teilweise absurde Diskussionen zu Verfahrensfragen haben die Arbeit im Vorstand belastet und letztendlich unmöglich gemacht. Ihre Krönung fand das Verhalten der stellvertretenden Vorsitzenden in einer gerichtlichen Klage gegen die Gesellschaft.

Auch bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung konnte durch die Mitglieder keine Klärung herbeigeführt werden. Im Gegenteil. So entschied sich die Mehrheit des Vorstandes - außer dem Vorsitzenden Markus Meckel u.a. Cornelius Ochmann (SDPZ) und Dr. Christian Trippe (Deutsche Welle), dies nicht mehr hinzunehmen. 

Am 10. März 2021 legten sie ihre Ämter nieder.

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Mitgliederbrief des Vorsitzenden Dezember 2020: Mitgliederbrief_201210v5

Mitgliederbrief vor der außerordentlichen Mitgliederversammlung am 10. Februar 2021: Mitgliederbrief MM 5. Februar 2021

Gorbatschow – 90. Geburtstag am 2. März 2021

Markus Meckel

(Artikel für den "Vorwärts" -

https://www.vorwaerts.de/artikel/gorbatschows-90-geburtstag-dank-wegbereiter-deutschen-einheit)

 

Mit Gorbatschow gratulieren wir einem der ganz großen Männer des 20. Jahrhunderts zum 90. Geburtstag. In hohem Maße ist es ihm und seinen Mitstreitern, wie Eduard Schewardnadse und Alexander Jakowlew, zu verdanken, dass der Kalte Krieg im Wesentlichen unblutig zu Ende ging, und wir Deutschen die Möglichkeit zur deutschen Einheit erhielten. Natürlich ist er nicht nur Lichtgestalt und Mythos, er wollte nicht den Kommunismus zu beenden und eine Demokratie zu errichten.  Er war ein Suchender, oft genug ein Zauderer, der die Geduld anderer Reformer auch arg strapazierte.,

Als ich 1985 im „Neuen Deutschland“ seine ersten Reden las, merkte ich auf. Das waren nicht mehr die ideologisch geprägten Sprechblasen, sondern eine neue Sprache. Er selbst sprach vom notwendigen „Neuen Denken“. Er folgte – als erster an der Spitze der Sowjetunion - nicht mehr einer Ideologie, sondern wollte etwas für die Menschen seines Landes tun, das er am Abgrund sah – und dabei Mensch sein und bleiben. Er liebte seine Frau Raissa über alles, und zeigte es. Gorbatschow war ein Suchender, der sich den Realitäten stellte – und nach Auswegen und Lösungen suchte, die er für durchsetzbar hielt. Nicht selten irrte er – so wenn er den Kommunismus für reformierbar hielt. Wir können froh über diesen Irrtum sein. Ohne ihn hätte er sein Werk nicht mit Mut und Tatkraft beginnen können! Welche Gegenkräfte musste er nicht überwinden und versuchen, Menschen zu gewinnen – im eigenen Land wie im Westen. Viel ist ihm gelungen. Anfangs staunten wir, wie er versuchte, Lenin positiv von der späteren blutigen Geschichte abzusetzen, in unseren Augen ein problematisches Unterfangen.

Der Name Gorbatschow bleibt verbunden mit der Öffnung seines Landes, mit Aufbruch aus der Diktatur Richtung Freiheit und mit dem Freilassen der Satellitenstaaten der SU. Er ließ die Kräfte der Gesellschaft frei gegen die Apparatschiks der herrschenden Partei. Der russische Politiker Jawlinski hat Recht: Er hatte den Käfig geöffnet! Nicht er ist dafür verantwortlich, was seine Nachfolger Jelzin und dann besonders Putin angerichtet haben, sowohl in der eigenen Gesellschaft wie in der Außenpolitik. Die beiden Tschetschenienkriege mit ihren verheerenden Folgen, wären mit Gorbatschow nicht möglich gewesen.

Gorbatschow beendete den Krieg in Afghanistan und mit ihm den internationalen Klassenkampf. Er unternahm erstaunliche Initiativen der Abrüstung, die den Westen zunächst verwirrten. Man erinnere sich an Helmut Kohls Goebbels-Vergleich. Er überwand das Schwarz-Weiß-Denken Ronald Reagans mit einer umwerfenden menschlichen Offenheit, die Vertrauen schuf. Seine Frau Raissa war ihm dabei eine wesentliche Hilfe. So gelang ihm ein Politikwandel und ein Maß an Abrüstung, das vorher undenkbar schien. Seine Rede vor der UNO im Dezember 1988 gehört in jedes Geschichtsbuch – und sollte von den gegenwärtigen Autokraten in Russland und anderen Teilen der Welt aufmerksam gelesen werden. Da bekannte sich der führende Mann der Sowjetunion, die Ronald Reagan kurz zuvor noch dem Reich des Bösen zugeordnet hatte, zum internationalen Recht und den Menschenrechten, gestand den Satellitenstaaten das Recht der Wahl des sozialen Systems zu, also der Wahl der Gesellschaftsordnung und der Selbstbestimmung und kündigte den Abzug von 500 000 Soldaten aus Mitteleuropa an. Hier redete ein Mann, der nicht zuerst an die eigene Größe dachte, sondern an der Lösung der globalen Herausforderungen interessiert war – zum Wohle der Menschen im eigenen Land und weit darüber hinaus.

Gorbatschow erkannte, dass sein Land seine wirtschaftlichen Probleme nur in Kooperation mit dem Westen lösen konnte. Eigene wirtschaftliche Strategien hatte er nicht, sah durchaus manche Probleme des „Kapitalismus“ und hoffte weiterhin auf einen „Sozialismus“. Er sah keine Alternative und setzte auf westliche Hilfe und deren Einfluss auf das eigene Land.

Gorbatschow wollte Freiheit für die Menschen (wenigstens schrittweise) – und hoffte gleichzeitig, die Sowjetunion erhalten zu können. Ein großer Irrtum. Für die meisten Nationen in der Sowjetunion war diese nach langjähriger Erfahrung ein Völkergefängnis, sie sahen Freiheit und nationale Selbstbestimmung nur in der Unabhängigkeit. Gorbatschows Verdienst ist es, dies am Ende zwar widerstrebend, aber doch anerkannt und die Gewalt gestoppt zu haben. Anders als der heutige Präsident Russlands lehnte er Gewalt zum Erreichen seiner Ziele ab!

Wir Deutschen verdanken dem heute 90-Jährigen, dass er unsere Selbstbestimmung und damit die Einheit Deutschlands akzeptierte – und sie so ermöglichte. Damit steht er im grundsätzlichen Gegensatz zur heutigen Führung Russlands, die zur imperialen Politik zurückkehrte und bereit ist, dafür Gewalt anzuwenden und die das Recht auf Selbstbestimmung, das wir Deutschen 1990 erhielten, bis heute für seine Nachbarn verweigert.

Was könnte man dem heutigen Russland mehr wünschen als eine Führungspersönlichkeit vom Format eines Gorbatschow, die das Recht achtet, imperiale Gewalt ablehnt und so Freiheit für die eigene Bevölkerung eröffnet.



Das Gespräch mit Markus Meckel kann hier sowohl nachgehört wie nachgelesen werden.


Eine - wie ich glaube, mehr unbedachte - Formulierung in der Weihnachtspredigt des Ratsvorsitzenden und Münchener Landesbischofs Heinrich Bedford-Strohm führte zu einer Diskussion, die grundsätzliche Fragen aufwirft. Er hatte in der sehr aktuellen und ausdrucksstarken Predigt u.a. formuliert: "Seit 75 Jahren leben wir in Deutschland und weiten Teilen der Welt ohne Krieg und ohne Trümmer und hier in Deutschland AUCH OHNE DIKTATUR. Was für ein Geschenk!"

Wer wollte ihm da nicht folgen? Doch in dem einen Punkt kann man es nicht: Hier fällt die DDR, die kommunistische Diktatur der SBZ und DDR von 1945 bis 1990, schlicht unter den Tisch. Als gehörte sie nicht zum Nachkriegs-Deutschland...


Dies griff Anette Detering in einem Schreiben an den Bischof auf - und ich habe diese Anfrage noch weiter kommentiert und damit verbundene grundsätzliche Fragen aufgeworfen. Am Ende des Jahres, in dem sich die deutsche Einheit zum 30. Male jährt, solche Fragen aufzugreifen, finde ich ausgesprochen wichtig. Noch besser wäre es, könnte man auch im Rahmen der EKD einen Prozess des Nachdenkens darüber in Gang bringen, wie man im Rat  – oder durch ihn angestoßen – diese Fragen und Themen weiter behandelt und damit das Bewusstsein über diese immer sehr eng verbundene, aber eben doch sehr differenzierte kirchliche Nachkriegsgeschichte in einer Weise stärken kann, die auch die DDR-Kirchen und den Bund Ev. Kirchen einbezieht.


Hier die Darstellungen auf Facebook:

Sehr geehrter Bischof Bedford-Strohm, vielen der dankenden Kommentare oben kann ich mich anschließen, dann besonders aber auch dem vorstehenden kritischen von Anette C. Detering (siehe unten!). Ich bin einerseits ziemlich entsetzt, andererseits etwas resignierend nicht wirklich erstaunt - ist doch diese verengte Perspektive auch nach 30 Jahren deutscher Einheit nicht nur in dieser Formulierung Ihrer Predigt lebendig, sondern in weiten Teilen der (nach wie vor westdeutsch geprägten) Öffentlichkeit. Nach wie vor glauben viele - ohne sich bewusst darüber Gedanken zu machen, dass die deutsche Geschichte bis 1945 gemeinsam verlief, und dann wieder ab 1990. Dazwischen sei die westdeutsche die deutsche, die der DDR dagegen eine Sonder- oder Regionalgeschichte, die eigentlich nur die Betroffenen oder einige Spezialisten unter den Historikern angeht. Dem ist aber nicht so! Die deutsche Nachkriegsgeschichte ist bis 1990 eine geteilte - und es gilt für beide deutsche Staaten, dass KEINER VON BEIDEN in sich verständlich ist ohne den Bezug auf den jeweils anderen (und natürlich den Kalten Krieg im Ganzen). hierzu mehr unter https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/307527/eine-gluecksstunde-mit-makeln . Gerade die Kirchen haben in der Zeit der Teilung (u.a. durch tausendfache lebendige Partnerschaften zwischen Kirchgemeinden) ganz wesentlich dazu beigetragen, ein gesamtdeutsches Bewusstsein wachzuhalten. Leider ist dies inzwischen vielfach verlorengegangen. Da z.B. im Rat der EKD die Erfahrungen der Kirchen in der DDR schon lange nicht mehr präsent sind, war es im letzten Jahr eine gute Initiative, diesem Defizit durch "Studienreisen in den Osten" ein Stück entgegenzuwirken. Ob das reicht, bleibt dahingestellt. Ich möchte jetzt nicht die Felder durchgehen, in denen es bis heute versäumt wird, die Geschichte der DDR-Kirchen in die deutsche kirchliche Nachkriegsgeschichte und der EKD einzuzeichnen. In diesem Sinne gehört nämlich auch die Geschichte des Bundes der Ev. Kirchen in der DDR zur Geschichte der EKD! - Man sieht, die Fragen und Herausforderungen gehen weit über eine einzelne - gewiss letztlich unbedachte - Formulierung in einer Predigt hinaus. Diese jedoch zum Anlass zu nehmen, um die grundsätzlichen Fragen auf die Tagesordnung (nicht nur der EKD) zu setzen - dafür bin ich Anette Detering ausgesprochen dankbar!
 
Hier der Brief von Anette Detering:
 

Lieber Bischof,

 

auch von mir vielen Dank für Ihre Weihnachtspredigt 2020 (https://www.facebook.com/landesbischof/posts/3824126704316836), die schon neugierig macht auf Ihre Morgige an Neujahr im Berliner Dom!

 

Eine Formulierung allerdings löst meinen Widerspruch aus: „Seit 75 Jahren leben wir in Deutschland … ohne Diktatur“.

 

Lieber Ratsvorsitzender, dieser Satz ist auch in München und Bayern falsch.

 

Eine Diktatur „beginnt nicht mit Konzentrationslagern und Massenvernichtung, sondern mit der Vorenthaltung von Menschen- und Bürgerrechten, mit der Aufhebung der Gewaltenteilung, der Abschaffung einer unabhängigen Justiz und der Unmöglichkeit, Regierende in freien Wahlen abzulösen. All dies war in der DDR gegeben.“ (Heinrich August Winkler 2009).

 

Wie kann Ihnen eine solche 75-Jahre-Aussage im 30. Jahr der deutschen Einheit unterlaufen? Das lässt mich nicht nur als in der DDR Geborene und Aufgewachsene ratlos und ja, auch wütend zurück. Sie kennen mich aus dem Leitungsgremium des Berliner Doms, noch letztes Jahr legte ich Ihnen persönlich das Anliegen eines angemesseneren Gedenkens an Pfarrer Brüsewitz ans Herz. Ich arbeite in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Wie soll ich dort und anderswo einstehen für unsere Evangelische Kirche, deren oberster Repräsentant sich so geschichtsvergessen äußert?

 

Bitte, sagen sie es mir!  

 

 

Mit dennoch unverzagten Grüßen,

 

Ihre Anette Detering

 

Markus Meckel eröffnete als Vorsitzender des Hauptveranstalters, der dbg, am 2. Dezember das Minsk Forum 2020. Seine Rede finden Sie hier

Hier können Sie das Programm finden, das Forum als live-stream verfolgen (und Fragen stellen!) bzw. nachträglich die ganz Veranstaltung auch später ansehen www.minskforum.org

Hier finden Sie den Konferenzbericht.

Zum Minsk Forum 2020:

In diesem Jahr steht Belarus in einer tiefen Krise – und gleichzeitig im Aufbruch. Die gefälschte Präsidentschaftswahl im August 2020 brachte und bringt Hunderttausende Menschen auf die Straße, die sich ihre Stimme und damit ihre Selbstbestimmung nicht stehlen lassen wollen. Präsident und Regierung reagieren mit Repression und Gewalt und lassen jeden Willen zur Verständigung fehlen. Tausende Menschen wurden verhaftet, die Zahl der politischen Gefangenen steigt ständig. Mit großem Mut und Entschlossenheit trotzen die Menschen der Gewalt im friedlichen Protest.

Das „Minsk Forum“ ist eine Konferenzreihe, die von Rainer Lindner 1997 gegründet und als nationales und internationales Dialogformat bis 2019 geprägt wurde. Im Laufe der Jahre hat es sich in der Trägerschaft der „deutsch-belarussischen gesellschaft (dbg) e.V.“ zu einer einzigartigen Plattform für den Meinungs- und Ideenaustausch für Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft aus Belarus und seinen Nachbarstaaten entwickelt.

So hat das Minsk Forum Belarus auf seinem komplizierten Weg zwischen Russland und der Europäischen Union seit mehr als zwei Jahrzehnten begleitet. Es repräsentiert den auch schon in der Vergangenheit schwierigen Versuch, in Belarus selbst einen Dialog zu ermöglichen zwischen staatlichen Vertretern, der unabhängigen Zivilgesellschaft und der Opposition, aber auch zwischen Belarus und seinen direkten Nachbarn sowie mit Deutschland.

Auf dem Minsk Forum fanden zum Teil erstmals Begegnungen zwischen Regierung und Opposition statt. Zwischen 2011 und 2015 fand das Minsk Forum in Vilnius statt, da nach den Präsidentschaftswahlen 2010 und der Gewalt gegen die Opposition ein Verbleib in Minsk von den Organisatoren abgelehnt wurde.

Eine wichtige Rolle spielten über die Jahre sowohl der Austausch über Fragen der Geschichte und der Kultur wie auch die Förderung wirtschaftlicher Kontakte. Nach wie vor sind die Herausforderungen der nachhaltigen Modernisierung und Diversifizierung der Wirtschaft in Belarus groß. Dafür braucht es eine intensive Kooperation mit den westlichen Partnern und den Aufbau einer unabhängigen Justiz.

Heute nun ein Minsk Forum auszurichten, das sich dem Dialog verschrieben hat, scheint auf den ersten Blick beinahe ausweglos. Richtig ist daran, dass wir nicht glauben, von außen Wege weisen zu können. Wir stehen an der Seite der Menschen, die friedlich für ihre Rechte einstehen. Wir rufen nach dem Ende der Gewalt und der Freilassung der politischen Gefangenen. Gleichzeitig sind wir davon überzeugt, dass die Gesellschaft einen Dialogprozess über ihre politische Zukunft braucht und wollen mit unseren Möglichkeiten Räume für einen solchen Dialog öffnen. So hatten wir auch in dieser Situation Vertreter der Regierung eingeladen, die sich jedoch dieser Gelegenheit zum Dialog verweigerte.

Was in Belarus geschieht, kann uns nicht gleichgültig lassen. So wollen wir in Deutschland und in der EU nicht nur Beobachter sein, sondern sehen uns mit betroffen und wollen darüber sprechen, wie wir konkret solidarisch sein und dazu beitragen können, Belarus auf seinem Weg in eine selbstbestimmte Zukunft zu begleiten und zu unterstützen.

Veranstalter des Minsk Forums ist die deutsch-belarussische gesellschaft e.V., die im vergangenen Jahr ihr zwanzigstes Jubiläum beging. Ende 2019 wurde Markus Meckel zum Vorsitzenden der Gesellschaft gewählt, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der SPD, früherer Außenminister und einer der Verhandlungsführer der historischen 2+4-Gespräche zur deutschen Einheit. Partner sind die „Stiftung deutsch-polnische Zusammenarbeit“, die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Heinrich-Böll-Stiftung. Das Minsk Forum steht auch in diesem Jahr wieder unter der Schirmherrschaft der Deutschen Botschaft in Minsk.

Markus Meckel, Vorsitzender der dbg




MF-XVIII Dez 2020 Konferenzbericht_DE

Das "Institut für die Wissenschaft vom Menschen" veröffentlicht ein jeweils aktuellen Blog "Chronicle from Belarus", den ich nur empfehlen kann! 

Den am 10. November 2020 veröffentlichten Aufruf "A Call for Solidarity with People of Belarus", der auch meine Unterschrift trägt, finden Sie hier

Gemeinsam mit anderen NGOs, die sich mit Belarus befassen, habe ich als Vorsitzender der "deutsch-belarusischen gesellschaft e.V." diesen Brief an Abgeordnete des Deutschen Bundestages geschrieben.

Hier kann er heruntergeladen werden: 2020-9-25 Schreiben an MdBs Hilfsprogramm Belarus_1

Hier das Schreiben im Wortlaut:

Berlin, den 25. September 2020

Sehr geehrte Frau Abgeordnete,
Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
in Belarus geht Alexander Lukaschenko seit der Fälschung der Präsidentschaftswahl am 9. August
2020 mit aller Brutalität gegen Protestierende vor. Bislang gab es über 10.000 Festnahmen und in
hunderten Fällen sind Gewalt und Folter in Polizeigewahrsam dokumentiert. Auch vor Gewalt
gegen Frauen und Minderjährige schrecken die Sicherheitskräfte nicht länger zurück. Politisch
aktive Bürger werden entlassen oder mit Entlassung bedroht, Studentinnen und Studenten aus
politischen Gründen der Universitäten verwiesen. NGOs und unabhängige Medien geraten unter
massiven Druck. Über 800 Belarusen haben bislang aus Furcht vor politischen Repressionen das
Land verlassen, tausende stehen vor dieser schweren Entscheidung. Inzwischen hat Alexander
Lukaschenko sich illegitim erneut für das Präsidentenamt vereidigen lassen, weitere Repressionen
sind zu erwarten.
In dieser Zeit braucht die Gesellschaft in Belarus Soforthilfe und längerfristig angelegte
Unterstützung durch Europa. Diese muss gemeinsam von der Europäischen Union und einzelnen
Mitgliedsländern geleistet werden. Die Bundesrepublik Deutschland sollte als politisches
Schwergewicht in der EU einen Beitrag hierzu leisten und damit die bilaterale Hilfe, die von
direkten Nachbarländern wie Polen, Litauen und Lettland bereits geleistet wird, sinnvoll und
großzügig ergänzen.
Wir sind ein Kreis von deutschen Nichtregierungsorganisationen, die seit vielen Jahren mit
Partnerinnen und Partnern aus Belarus zusammenarbeiten. In dieser für Belarus so schwierigen
Zeit haben wir uns beraten, welche Hilfsmaßnahmen für die Menschen im Land jetzt notwendig
sind. Angesichts der anhaltenden Verfolgung weiter Teile der Bevölkerung in Belarus möchten wir
empfehlen, folgende Maßnahmen zu ergreifen:
1. Einrichtung eines humanitären Soforthilfefonds zur Unterstützung politisch Verfolgter aus
Belarus: Finanzierung von Rechtsbeistand und Kosten von Strafverfolgung, medizinischer
und psychologischer Betreuung, von Reisekosten für gefährdete Personen, Überbrückung
von Einkommenseinbußen durch Entlassungen oder Flucht, Betreuung durch Partner in
Deutschland;

2. Unbürokratische Visavergabe aus humanitären Gründen für politisch Verfolgte,
gefährdete Personen und deren Angehörige, Einrichtung entsprechender
Ausnahmeregelungen auch mit Blick auf die Pandemie;
3. Einrichtung eines Stipendienprogramms für Studierende, die aus politischen Gründen der
Universität verwiesen wurden oder denen Verfolgung droht;
4. Einrichtung eines längerfristigen Förderprogramms für die Zivilgesellschaft in Belarus
(Menschenrechtsverteidigung, Bürgerengagement und Civic Education, Empowerment
von Frauen, Partizipation von Jugendlichen, unabhängige Kunst und Kultur, unabhängige
gewerkschaftliche Strukturen etc.) sowie zusätzliche Mittel für die Belarus-Arbeit der
parteinahen Stiftungen und weiterer NGOs/Organisationen;
5. Bereitstellung von Fördermitteln für unabhängige Medien, sowohl klassischer Medien wie
TV, Radio und Presse, als auch innovativer Formate in sozialen Medien und bei
Messenger-Diensten (Telegram, WhatsApp, Signal, etc.) einschließlich der Förderung von
Qualifizierung und Austausch;
6. Deutliche Verstärkung des Personals der deutschen Botschaft in Minsk sowie Einrichtung
eines Belarus-Beauftragten oder -Arbeitsstabes im Auswärtigen Amt. Dieser sollte auch
für die Zusammenarbeit mit der belarusischen Zivilgesellschaft und wesentlichen
deutschen Partnern verantwortlich zeichnen, als Anlaufstelle für Unterstützungsanfragen
dienen und mit einem eigenen Fördermittelprogramm ausgestattet sein.
Die Verwendung von Steuermitteln ist zurecht an Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und
festgelegte Verfahren gebunden und unterliegt entsprechend der strengen Kontrolle des
Bunderechnungshofs. Gleichzeitig sind die vorgegebenen Verfahren für die nun notwendige
Soforthilfe oftmals zu langsam. Diese Hilfe ist jetzt notwendig und kommt in einigen Monaten
möglicherweise zu spät. Deshalb könnte ein gangbarer Weg für schnelle Maßnahmen sein, Mittel
bereits bestehenden und seit langem in Belarus aktiven Fonds und Organisationen zukommen zu
lassen, die weniger bürokratisch Hilfe für die Menschen in Belarus leisten können. Alternativ
könnte die Bundesregierung bestehende Hilfsprogramme in Polen oder Litauen mit zusätzlichen
Mitteln ausstatten. Ebenso könnten die europäischen Bemühungen für unabhängige Medien für
Belarus gebündelt werden, indem die von Polen finanzierten Sender BelSat und Euroradio auch
durch die Bundesregierung unterstützt werden. Die kleinteilige Unterstützung für dezentrale
moderne Medienangebote bleibt darüber hinaus weiter notwendig.
Wir würden uns freuen, wenn unsere Empfehlungen vom Deutschen Bundestag aufgegriffen
werden und eine schnelle Hilfe für die Menschen in Belarus ermöglicht wird. Für entsprechende
Detailgespräche stehen die unterzeichnenden Organisationen gern zur Verfügung.


Mit freundlichen Grüßen
Marieluise Beck, Zentrum Liberale Moderne
Olga Dryndova, Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen
Jörg Forbrig, German Marshall Fund of the United States
Ralf Fücks, Zentrum Liberale Moderne
Stephan Malerius, Menschenrechte in Belarus e.V.
Markus Meckel, deutsch-belarussische gesellschaft e.V.
Stefan Melle, Deutsch-Russischer Austausch e.V.
Sophija Savtchouk, Razam e.V.i.G.
Stefanie Schiffer, Europäischer Austausch

Heute vor 30 Jahren, kurz vor der Deutschen Vereinigung wurde die Sozialdemokratie aus West und Ost vereinigt. Dieses Datum würdigte eine Veranstaltung der FES, in der zugleich die gegenwärtigen Herausforderungen zur Sprache kamen.

Hier kann der Livestream der Veranstaltung angesehen wie andere Materialien eingesehen werden.

Den Text meiner Begrüßung und Einführung finden Sie hier - MM Begrüßung FES-Veranstaltung SPD-Vereinigungsparteitag 27.9.2020


Livestream Buchpräsentation Stiftung Aufarbeitung, Donnerstag, 10.09.2020 

https://www.youtube.com/watch?v=32NmKeWvbOg 


Kurzbeitrag mit eingeblendetem Buch im  

ZDF Morgenmagazin, Freitag, 11.09.2020

https://www.zdf.de/nachrichten/zdf-morgenmagazin/dreissig-jahre-zwei-plus-vier-vertrag-100.html


45-minütiges Gespräch mit mehrfachem Hinweis auf das Buch in

MDR Kultur trifft, Samstag, 12.09.2020, 11:05 Uhr + Wiederholung Sonntag, 13.09.2020, 18:05 Uhr 

https://www.mdr.de/kultur/radio/ipg/sendung-590658_date-2020-09-12_ipgctx-true_zc-94fd9c85.html 


Online-Spezial seit Samstag, 12.09.2020 auf mdr.de

https://www.mdr.de/zeitreise/zwei-plus-vier-vertrag-102_showImage-bild-199464_zc-ca5e87fc.html


Leseprobe zum Buch auf der Seite der Bundeszentrale für Politische Bildung

https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/315302/2-plus-4-ihr-koennt-mitmachen-aber-nichts-aendern

Bei der Bundeszentrale erschien auch eine Reihe "ungehaltene Reden der Volkskammer" mit Beiträgen ehemaliger Abgeordneter der Volkskammer, darunter auch einer von mir. Die gesamte Dokumentation finden Sie hier.

Gespräch zum Buch auf rbb Kultur am Sonntag, 20.09.2020, 19:05 Uhr

https://www.rbb-online.de/rbbkultur/radio/programm/schema/sendungen/das_gespraech/archiv/20200920_1904.htm

https://rbbmediapmdp-a.akamaihd.net/content/3d/49/3d49edca-7d99-4d13-a2a8-fa2f327794ee/6f14fb1b-7412-4464-9e13-c4afeed91fa7_57586819-eacc-480d-a8fa-ca8ae4e2410f.mp3

Gespräch zwischen Markus Meckel und James D. Bindenaggel, dem damaligen US-Botschafter in der DDR,  am Dienstag, 13.10.2020, 19 Uhr im Zeitgeschichtlichen Forum (gibt es dann auch als Livestream)

https://www.hdg.de/zeitgeschichtliches-forum/veranstaltungen



Das Gespräch, das Sie hier hören können, führte für die FES die Journalistin Britta Veltzke

Hier kann kann man den Aufruf unterzeichnen !

Hier in englischer Fassung!


Aufruf zum Ende der Gewalt in Belarus - Beginn eines politischen Dialogs unter Vermittlung OSZE und EU


Die Präsidentschaftswahlen vom 9. August 2020 fanden unter massivem politischen Druck und in Widerspruch zu belarussischen Gesetzen und internationalen Verpflichtungen statt. Die anhaltende staatliche Gewalt und die Inhaftierung von Protestierenden gegen die Wahlfälschungen widersprechen der Charta von Paris und den dort verankerten Werten von Demokratie und Menschenrechten. Sie erschüttern die belarussische Gesellschaft und gefährden die Sicherheit in Europa.


Die unterzeichnenden Organisationen unterstützen die jüngste Initiative der Präsidenten von Polen, Litauen und Lettland, einen politischen Gesprächsprozess in Belarus zu initiieren. Wir schließen uns dem Aufruf zur Einrichtung eines Runden Tisches und dem Beginn eines politischen Dialogs zwischen veränderungswilligen Gruppen der belarussischen Regierung und Vertreter*innen von Opposition und Zivilgesellschaft in Belarus ausdrücklich an. Veränderungswillige Gruppen in der Regierung sollen gezielt zur Beteiligung an diesem Prozess aufgefordert werden. Der Runde Tisch sollte unter Vorsitz und Vermittlung der OSZE und der EU ausgerichtet werden. Die beteiligten Seiten sollten einen Mechanismus zur Abhaltung von freien und international überwachten Wahlen erarbeiten mit dem Ziel, baldmöglich ein demokratisch gewähltes Parlament und eine durch Wahlen legitimierte Regierung zu bilden. Alle politischen Gefangenen des Landes müssen umgehend freigelassen werden.


Stephan Malerius, Menschenrechte in Belarus e.V.

Markus Meckel, Deutsch-belarussische Gesellschaft e.V.

Stefanie Schiffer, Europäischer Austausch gGmbH

Jörg Forbrig, German Marshall Fund of the United States

Marieluise Beck, Zentrum Liberale Moderne

Ralf Fücks, Zentrum Liberale Moderne

Hier finden Sie den Text der Erklärung

Im anhängenden Interview mit RadioEins habe ich heute (13. August 2020) vorgeschlagen, dass die EU einen Sonderbeauftragten für Belarus benennt. Priorität hat das Ende der Gewalt! Doch wird es ein längerfristiges Engagement Deutschlands und der EU brauchen! Hier das Interview zum Nachhören.

Hier finden Sie ein Interview von Markus Meckel zur Präsidentschaftswahl in Belarus mit der DW TV vom 10. August 2020 um 19.30 Uhr sowie bei SWR Aktuell vom 12. August 2020 um 7.05 Uhr

Hier eine ausgezeichnete Analyse der Situation in Belarus von Astrid Sahm, Zeitschrift Osteuropa, Interview vom 11.8.2020

Liste der Unterzeichner: Kopie von Signatories_Freedom for Belarus

belarusische Fassung: Свабоду Беларусі!(BY) - 23.7.2020

russische Fassung: Свободу Беларуси!(RU) - 23.7.2020


Freedom for Belarus

July 23, 2020

In Belarus the regime yet again started its crackdown on the society. It is attacking the presidential candidates and their teams, opposition figures, civil society, media and innocent civilians in the run-up of the presidential elections announced by the authorities and scheduled for 9th of August.


The two leading contenders that challenged the incumbent, Siarhei Tsihanousky and Viktar Babaryka are thrown in jail, as well as several members of their teams. The pressure on their supporters continues.


Dozens of activists were jailed for participation in legal peaceful rallies, including prominent opposition leaders Mikola Statkevich and Paval Seviarynets.


There is information that all those detained and arrested are kept in unbearable conditions, in cold cells, deprived even of hygienic items for basic needs, that they are subjected to tortures.


The unlawful and unwarranted detentions of innocent citizens continue on a daily basis, excessive police force is being used.


The behavior of the regime in Belarus runs counter to all international obligations of the country on democracy and election standards.


Human rights and basic freedoms of the Belarusians are grossly violated and it cannot be ignored and tolerated by international community.


  • We support the people of Belarus that demand respect for their rights and freedoms and stand for free and fair election.
  • We demand immediate and unconditional release of all those who were subjected to politically motivated detentions and arrests.
  • We urge the authorities of Belarus to give people back free and fair elections according to international standards that they have been deprived of for a long time.
  • We also urge the authorities to comply with their international obligations to ensure freedom of assembly, freedom of expression, and freedom of speech, unblock independent media, and stop harassment of journalists and politically motivated persecutions.
  • We denounce the escalation of police brutality against peaceful gatherings, journalists, and ordinary citizens,and warn the authorities of Belarus against any use of violence and force during the ongoing political campaign.
  • We urge international human rights organizations, European Union, democratic countries to react resolutely and take strong measures to prevent the dangerous practices of the authorities in Belarus.
  • We appeal to the international community to support the people of Belarus in their fight for freedom.

#freedomforbelarus

Zum Herunterladen: Erklärung MM zu Belarus - 28.6.2020

 

 
 
 
 
 

Erklärung zur Lage in Belarus

Markus Meckel,Vorsitzenderder deutsch-belarussischen gesellschaft e.V.

Die aktuellen Ereignisse in Belarus erfüllen mich mit großer Sorge! Seit Wochen spitzt sich die Lage zu: Behinderung der Zulassung von Kandidaten zur Präsi-dentschaftswahl bis hin zu ihrer Verhaftung, Gewalt und administrative Maßnahmen gegen Demonstranten und Journalisten, die von den gesellschaftli-chen Protesten berichten. Die allgemeine Repression nimmt zu. Die Spannung im Lande steigt und droht sich zu verschärfen.

Mit Recht haben die Bundesregierung und die Europäische Union den belarussischen Präsidenten Lukaschenka aufgerufen, endlich faire und freie Wahlen zu ermöglichen und die Verhafteten freizulassen. Beide haben in den letzten Jahren die Zusammenarbeit mit Belarus verstärkt und sich für die dauerhafte Unabhängigkeit von Belarus eingesetzt. Wirtschaftliche Kooperation und ein breiter Austausch der Zivilgesellschaftsowie in der Kultur und Bildung bleiben in unse-rem gemeinsamen Interesse. All dies wird jedoch gefährdet, wenn die Lage weiter eskaliert und die Repressionen gegenüber einer zunehmend kritischen und engagierten Bevölkerung wieder zunehmen. Diese können nicht akzeptiert werden!

Die Unzufriedenheit mit Präsident Lukaschenka hatte in den letzten Wochen deutlich zugenommen, da viele in Belarus sich,angesichts der Pandemie und dem für fahrlässig gehaltenen Umgang der belarussischen Führung damit, für zunehmend gefährdet ansehen.


Markus Meckel, Vorsitzender der dbg


Berlin, den 28. Juni 2020

 

Am 9. Mai 2020, zum 75. Jahrestag des Endes des Zeiten Weltkrieges, legten der Vorsitzende der dbg, Markus Meckel, und der belorussische Botschafter, Denis Sidorenko, am Mahnmal Tiergarten Kränze nieder, um der Millionen Opfer maßloser Gewalt in Belarus in diesem Krieg zu gedenken.

Im Gespräch erklärte Markus Meckel dem Botschafter, dass er sich für ein Dokumentationszentrum für die Opfer des Vernichtungskrieges und der Besatzungszeit im Osten Europas 1939-1945 in Berlin einsetzt, in welchem diese nicht nach Nationen getrennt in den Blick kommen. Der Botschafter stimmte dem ausdrücklich zu und regte hier gemeinsame Initiativen an.

Schon am Tag zuvor legte Markus Meckel auch am sowjetischen Mahnmal im Treptower Park für die dbg einen Kranz nieder.


Zum Zusammenhang siehe die weiteren Beiträge von Markus Meckel:

Ein Interview in der taz und ein Interview mit Karoline Gil für den Osteuropa "Stammtisch"


Zur zeitgeschichtlichen Einordnung dieser Erklärung und zum Weg, der zu dieser einzigen demokratisch legitimierten DDR-Regierung geführt hat, welche mit der Bundesregierung die Verhandlungen zur deutschen Einheit führt, siehe hier einen Auszug aus meinen Erinnerungen "Zu wandeln die Zeiten"

Interview mit Markus Meckel in der Sendung Mittagsecho von NDR Info und WDR 5 am Ostersonntag, den 12.4.2020, 13.05 h bis 14.00 h. Interviewpartnerin: Moderatorin Birgit Langhammer:


VOLKSKAMMER der Deutschen Demokratischen Republik 10. Wahlperiode

Drucksache Nr. 4

Antrag aller Fraktionen der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zu einer gemeinsamen Erklärung der Volkskammer


Wir, die ersten frei gewählten Parlamentarier der DDR, bekennen uns zur Verantwortung der Deutschen in der DDR für ihre Geschichte und ihre Zukunft und erklären einmütig vor der Weltöffentlichkeit: Durch Deutsche ist während der Zeit des Nationalsozialismus den Völkern der Welt unermeßliches Leid zugefügt worden. Nationalismus und Rassenwahn führten zum Völkermord, insbesondere an den Juden aus allen europäischen Ländern, an den Völkern. der Sowjetunion, am polnischen Volk und am Volk der Sinti und Roma. Diese Schuld darf niemals vergessen werden. Aus ihr wollen wir unsere Verantwortung für die Zukunft ableiten.

 

1. Das erste frei gewählte Parlament der DDR bekennt sich im Namen der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zur Mitverant-wortung für Demütigung, Vertreibung und Ermordung jüdischer Frauen, Männer und Kinder. Wir empfinden Trauer und Scham und bekennen uns zu dieser Last der Deutschen Geschichte. Wir bitten die Juden in aller Welt um Verzeihung. Wir bitten das Volk in Israel um Verzeihung für Heuchelei und Feind-seligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigungen jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Lande. Wir erklären, alles uns mögliche zur Heilung der seelischen und körperlichen Leiden der Überlebenden beitragen zu wollen und für eine gerechte Entschädigung materieller Verluste einzutreten. Wir wissen uns verpflichtet, die jüdische Religion, Kultur und Tradition in Deutschland in besonderer Weise zu fördern und zu schützen und jüdische Friedhöfe, Synagogen und Gedenk-stätten dauernd zu pflegen und zu erhalten.

 

Eine besondere Aufgabe sehen wir darin, die Jugend unseres Landes zur Achtung vor dem jüdischen Volk zu erziehen und Wissen über jüdische Religion, Tradition und Kultur zu vermitteln. Wir treten dafür ein, verfolgten Juden in der DDR Asyl zu gewähren. Wir erklären, uns um die Herstellung diplomatischer Beziehungen und um vielfältige Kontakte zum Staat Israel bemühen zu wollen. 2.. Uns, den Abgeordneten des ersten frei gewählten Parlaments der DOR, ist es ein tiefes Bedürfnis, uns mit der folgenden Erklärung an die Bürgerinnen und Bürger der Sowjetunion zu wenden:

 

Wir haben die furchtbaren Leiden nicht vergessen, die Deutsche im Zweiten Weltkrieg den Menschen in der Sowjetunion zugefügt haben. Diese von Deutschland ausgegangene Gewalt hat schließ-lich auch unser Volk selbst getroffen. Wir wollen den Prozeß der Versöhnung unserer Völker intensiv fortführen. Unser Anliegen wird es daher sein, Deutschland so in ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem zu integrieren, daß unseren Völkern künftig Frieden und Sicherheit garantiert sind. Wir sind uns bewußt, daß die Umgestaltung in unserem Land nicht möglich gewesen wäre ohne das neue Denken und die Perestroika in der Sowjetunion. Wir sind den Bürgerinnen und Bürgern der Sowjetunion dankbar für die Ermutigung und Anregung, die wir durch sie in dieser Hinsicht empfangen haben. Wir fühlen uns mit ihnen eng verbunden in der Aus-einandersetzung mit dem Erbe des Stalinismus und im Wirken für Demokratie. Ausgehend von den sich verändernden Bedingungen in unseren Ländern und den neuen Tendenzen in den internationalen Bezie-hungen werden wir uns mit den Völkern der Sowjetunion um eine konstruktive Politik für Frieden und internationale Zusammen-arbeit bemühen. In diesem Sinne regen wir an, die bestehenden

 

Verträge mit der Sowjetunion allmählich und einvernehmlich den neuen Realitäten anzupassen. 3. Die Volkskammer der DDR bekennt sich zur Mitschuld der DDR an der Niederschlagung des "Prager Frühlings" 1968 durch Truppen des Warschauer Paktes. Mit der unrechtmäßigen militärischen Intervention wurde den Menschen in der Tschechoslowakei großes Leid zugefügt und der Prozeß der Demokratisierung in Osteuropa um 20 Jahre ver-zögert. Der Einmarsch der Volksarmee geschah unter Verletzung des Artikels 8 (2) der Verfassung der DOR. Wir haben in Angst. und Mutlosigkeit diesen Völkerrechts-bruch nicht verhindert. Das erste frei gewählte .Parlament der DDR bittet die Völker der Tschechoslowakei um Entschuldigung für das begangene Unrecht. 4. Die Bevölkerung der DDR hat durch ihre friedliche Revolution im Herbst 1989 die trennende Wirkung der menschenverachtenden inn-erdeutschen Grenze beseitigt. Nun sollen die beiden Teile Deutschlands zusammenwachsen und dabei die Herausbildung einer gesamteuropäischen Friedensordnung im Rahmen des KSZE-Prozesses fördern.

 
Wir sehen eine besondere Verantwortung darin, unsere historisch gewachsenen Beziehungen zu den Völkern Osteuropas in den europäischen Einigungsprozeß einzubringen. In diesem Zusammenhang erklären wir erneut feierlich, die im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges entstandenen deutschen Grenzen zu allen Anrainerstaaten ohne Bedingungen anzuerkennen. Insbesondere das polnische Volk soll wissen, daß sein Recht, in sicheren Grenzen zu leben, von uns Deutschen weder jetzt noch in Zukunft durch Gebietsansprüche in Frage gestellt wird. Wir bekräftigen die Unverletzbarkeit der Oder-Neiße-Grenze zur Republik Polen als Grundlage des friedlichen Zusammen-lebens unserer Völker in .einem gemeinsamen europäischen Haus. Dies soll ein künftiges gesamtdeutsches Parlament vertraglich bestätigen.
 
Berlin, 12. April 1990
 
Die Fraktionen der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik

Markus Meckel, letzter Außenminister der DDR und langjähriger SPD-Bundestagsabgeordneter legt 30 Jahre nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung seine Erinnerung und damit ein unersetzliches Stück Zeitgeschichtsbetrachtung vor.  Sein Name ist in besonderer Weise in der Öffentlichkeit mit der Oppositionsbewegung in der DDR verbunden, mit der Friedlichen Revolution von 1989 und dem Prozess der Deutschen Einheit.

„Mir war es wichtig darzustellen, dass die DDR viel differenzierter und komplexer war, als viele es annehmen“, erklärt Meckel. „Auch mein Leben konnte dort geschehen und dazu gehören selbstverständlich auch meine Erfahrungen in der Friedlichen Revolution mit all ihren Gemeinsamkeiten und Differenzen in der Opposition. Dem in Berlin lebenden Theologen ist es wichtig, auch die Wurzeln der beiden deutschen Staaten in der gemeinsamen deutschen Geschichte bis 1945 in den Blick zu nehmen: „Beide, sowohl die DDR wie die Bundesrepublik, sind in der geteilten deutschen Nachkriegsgeschichte jeweils für sich gar nicht verständlich, sondern nur im ständigen Bezug aufeinander, auch wenn das im Laufe der Jahre – besonders im Westen – immer weniger bewusst war."

Des Weiteren will Meckel mit seinen Erinnerungen deutlich machen, dass die deutsche Einheit das Ergebnis von Verhandlungen der beiden demokratischen deutschen Staaten war: „Sie war ein aufrechter und selbstbewusster Gang der Ostdeutschen in die Einheit. Inwieweit in diesen Verhandlungen Dominanz und Respekt in einem angemessenen Verhältnis standen – oder auch nicht, kann gewiss gefragt werden. Dies klärt sich im offenen Diskurs über die je eigenen Erfahrungen und in historischer Forschung.“

Markus Meckels ungehaltene Rede geht ins Grundsätzliche, bezeichnet die Einheit als Ergebnis von Verhandlungen zweier demokratisch legitimierter deutscher Staaten (der DDR und der Bundesrepublik Deutschland), beschreibt einerseits die Einheit als Glücksstunde der Deutschen, ohne die z.T. gnadenlos ausgespielte Dominanz durch die Bundesregierung in diesen Verhandlungen und den oft auch fehlenden Respekt gegenüber der DDR-Regierung zu verschweigen.

Artikel zum 30. Jahrestag der freien Wahl zur Volkskammer der DDR 1990

Markus Meckel

Im Abdruck: Artikel MM Die Kirche - 30 Jahre freie Volkskammerwahl - März 2020

S

Veröffentlich in: DIE KIRCHE, 11/2020, S. 7 (Die DDR schafft sich ab)

 

Der 18. März hat es schwer unter den deutschen Gedenktagen. Im langen Ringen um Freiheit und Einheit in Deutschland steht er in besonderer Weise für Freiheit und Demokratie, für Werte, die auch unter der Christenheit in Deutschland erst sehr spät zu Anerkennung und Würdigung gefunden haben. Zum einen steht der 18. März für die Revolution von 1848, deren Erfolge schließlich durch die Restauration weitgehend zunichte gemacht wurden. Zum anderen erinnern wir an diesem Tag an die freien Volkskammerwahlen vor 30 Jahren.

Rückblickend können wohl die wenigsten heute noch erklären, warum es eigentlich vier Monate nach dem Mauerfall 1989 noch Wahlen in der DDR gegeben hat. Das übliche öffentliche Gedenken kann das jedenfalls nicht erklären. Da wird an die Hunderttausende auf den Straßen der DDR im Herbst 1989 erinnert, dann an den Mauerfall am 9. November. Schließlich wird dann hervorgehoben, wie Kanzler Kohl, unterstützt von Präsident Bush, die Gunst der Stunde begriff und es ihm gelang, die Zustimmung Gorbatschows für die deutsche Einheit zu erlangen. Doch: Ist das wirklich unsere Geschichte?

 

Was aber nun mit dem 18. März 1990?

Zuerst steht er für den Sieg von Freiheit und Demokratie in der DDR! Diese freie Wahl markiert den Sieg der friedlichen Revolution, in welcher sich die DDR-Bürger - gemeinsam mit den anderen Völkern Mitteleuropas - von der kommunistischen Diktatur befreit haben und eine parlamentarische Demokratie errichteten. Gorbatschow hatte mit der Perestroika diese Räume der Selbstbestimmung eröffnet, die Länder Mitteleuropas und die DDR ergriffen diese Chance zur Selbstbefreiung.

Der Zentrale Runde Tische, das in Polen erfundene Instrument des friedlichen Übergangs durch Verhandlungen, die durch die Massen auf den Straßen erzwungen wurden, hatte die Voraussetzungen für die freie Wahl geschaffen. Wie die Kerzen des Herbstes 1989 wurde er zum Symbol für die Gewaltlosigkeit dieses Prozesses.

Nach Jahrzehnten der kommunistischen Diktatur wurde die DDR mit der freien Wahl am 18. März durch die Selbstbefreiung ihrer Bürger zu einer Demokratie.

 

Die DDR war aber eben nicht nur eine Diktatur gewesen, sondern war Teil Deutschlands, das nach dem 2. Weltkrieg und all den furchtbaren Verbrechen von den Siegermächten geteilt wurde. Beide deutschen Staaten gehörten jeweils den feindlichen Blöcken des Kalten Krieges an. Im Spätherbst 1989, als die Freiheit die Oberhand gewann und die Menschen die Angst verloren hatten, erwies sich schnell, dass die große Mehrheit der DDR-Bürger die deutsche Einheit wollte. So prägten die Perspektive der Einheit und der Streit, wie diese zu erreichen wäre, schon auf dem Weg zur freien Wahl die öffentliche Debatte.

 

Die im Spätsommer 1989 aus den kleinen Gruppen der demokratischen Opposition entstandenen Bewegungen und Parteien, die in der Friedlichen Revolution zu den wesentlichen politischen Kräften wurden, kämpften für Freiheit und Demokratie. In der Frage der Einheit waren sie gespalten. Als die Frage nach dem Weg zur Einheit Anfang 1990 mehr und mehr ins Zentrum rückte, verloren diese Kräfte immer mehr an Rückhalt. Die Menschen in der DDR schauten zunehmend nach Westen, setzten ihre Hoffnungen auf die Bundesregierung mit Helmut Kohl an der Spitze. Die Koalitionsparteien in der Bundesrepublik verbündeten sich nach anfänglichen Bedenken mit den Blockparteien in der DDR, die bis dahin fest an der Seite der SED gestanden hatten. So gewannen diese haushoch die ersten freien Wahlen, hatte doch die westdeutsche Bundesregierung diesen alle Unterstützung zugesagt, vor allem die Währungsunion. Allein die neu gegründete Sozialdemokratie war sowohl im Herbst 89 wie im Prozess der Einheit 1990 eine gestaltende Kraft.

 

Die erste in der DDR frei gewählte Regierung übernahm nun den Wählerauftrag, die deutsche Einheit anzustreben - und damit sich selbst abzuschaffen. In den 2+4 -Verhandlungen galt es, die Akzeptanz der Siegermächte des 2. Weltkriegs für die Einheit zu erhalten. Hier waren schwierige sicherheitspolitische Fragen zu lösen. Mit der Bundesregierung wurden die nötigen Verträge verhandelt, der zur Währungsunion wie der zur Vereinigung beider deutschen Staaten. Es galt ja, die völlig anders strukturierte und gestaltete Gesellschaft der DDR in die Rechtsstrukturen der Bundesrepublik einzugliedern. Hier gab es vielfältige Diskussionen. Sollte wirklich einfach alles aus dem Westen übernommen werden? War im Osten wirklich alles schlecht? Konnte nicht auch Neues entstehen?

Die Verhandlungen waren umstritten und von der DDR-Bevölkerung selbst wenig geachtet. Bei vielen galten sie als Zeitverschwendung und Verzögerung der Einheit. Gleichzeitig waren sie von der manchmal gnadenlosen Dominanz des Westens geprägt. Das Ergebnis dieser Verhandlungen und der Entscheidungen der am 18. März gewählten Volkskammer war die deutsche Einheit am 3. Oktober 1990.

Was auch immer sonst gesagt werden kann, der Weg in die Einheit war der aufrechte Gang der DDR-Bürger in diese von ihnen gewünschte Einheit. Auch wenn nicht alle Träume wahr wurden, ist es doch die Glücksstunde der Deutschen im 20. Jahrhundert zu nennen: wir Deutschen in Freiheit und Demokratie vereint, mit der Zustimmung unserer Nachbarn, und das 45 Jahre nachdem wir so viel Schrecken über ganz Europa gebracht hatten! Welch ein Grund zur Dankbarkeit!

 

 

Dem am 6. Februar 2020 von Günter Wallraf initiierten Appell, den mehr als 130 Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Medien unterschrieben haben, schließe ich mich voll an und habe ihn ebenfalls unterschrieben.

Bitte überlegen Sie, ob Sie sich dem nicht auch anschließen wollen! Hier ist das möglich: www.assange-helfen.de

Hier finden Sie den vollen Wortlaut des Appells: Assange-Anzeige-FAZ-END51

Am 27. Januar 2020 hielt Markus Meckel die Festrede zum Gedenken an die Gründung des SPD-Landesverbandes Thüringen im geschichtsträchtigen Tivoli in Gotha. Dort hatten sich 1863 die sozialdemokratischen Strömungen von August Bebel, Wilhelm Liebknecht und Ferdinand Lassalle zur SPD vereinigt. 1990 erstand hier nach der Zwangsvereinigung 1946 die wiedergegründete SPD auf Landesebene. Willy Brandt nahm damals an dieser Gründungsveranstaltung teil.

Einladung: 2020-1-27 einl-dl-30jahre_spd

Text der Rede: 2020-1-27 Rede 30 Jahre SPD Landesverband Thüringen Tivoli Gotha

Presseerklärung Führungswechsel bei der dbg Januar 2020

Der frühere Außenminister und Bundestagsabgeordnete Markus Meckel wurde auf der Mitgliederversammlung der deutsch-belarussischen gesellschaft zum neuen Vorsitzenden gewählt. Prof. Dr. Rainer Lindner, der die Gesellschaft fast zwanzig Jahre leitete, sowie die langjährige Vorständin Dr. Astrid Sahm hatten nicht noch einmal für den Vorsitz kandidiert. Beiden dankt die dgb für ihre engagierte und so erfolgreiche Arbeit. Sie wechseln in den Beirat, dem in Zukunft auch der Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft der Bundesregierung, Dirk Wiese, MdB, angehören wird.

Mit Markus Meckel gewinnt die Gesellschaft eine herausragende Persönlichkeit für den Vorsitz, die sich seit vielen Jahren für die Beziehungen mit den Ländern Ostmitteleuropas und Osteuropas, darunter auch Belarus einsetzt. Die weiteren fünf Vorstandsmitglieder – Alesia Belanovich-Petz, Ricardo Bergmann, Sabrina Bobowski, Olga Dryndova und Dr. Kristiane Janeke – stammen aus Deutschland und Belarus und bringen neben langjähriger Erfahrung in den bilateralen Beziehungen ein breites inhaltliches Spektrum in die zukünftige Arbeit der Gesellschaft ein.  


Meckel übernimmt ebenso den Vorsitz des renommierten Minsk Forums. “Das

1997 von Rainer Lindner gegründete und seither geleitete Minsk Forum hat sich zu der zentralen Plattform in den Beziehungen zwischen Deutschland, der EU und Belarus entwickelt”, sagt der neue Vorsitzende. “Das Minsk Forum sorgte seit Einführung der Kontaktsperre zwischen der EU und Belarus und darüber hinaus für Begegnungen zwischen Politiker*innen und Diplomat*innen beider Seiten, aber auch zwischen Regierung, Zivilgesellschaft und Opposition innerhalb von Belarus”, so Meckel.

Rainer Lindner war für seine Verdienste um die Beziehungen von Belarus mit Deutschland und der EU auf dem Minsk Forum XVII Anfang Dezember 2019 mit einer Ehrenurkunde des Außenministeriums der Republik Belarus geehrt worden.

Der frühere Außenminister und Bundestagsabgeordnete Markus Meckel wurde auf der Mitgliederversammlung der deutsch-belarussischen gesellschaft zum neuen Vorsitzenden gewählt. Prof. Dr. Rainer Lindner, der die Gesellschaft fast zwanzig Jahre leitete, sowie die langjährige Vorständin Dr. Astrid Sahm hatten nicht noch einmal für den Vorsitz kandidiert. Beiden dankt die dgb für ihre engagierte und so erfolgreiche Arbeit. Sie wechseln in den Beirat, dem in Zukunft auch der Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft der Bundesregierung, Dirk Wiese, MdB, angehören wird.

Mit Markus Meckel gewinnt die Gesellschaft eine herausragende Persönlichkeit für den Vorsitz, die sich seit vielen Jahren für die Beziehungen mit den Ländern Ostmitteleuropas und Osteuropas, darunter auch Belarus einsetzt. Die weiteren fünf Vorstandsmitglieder – Alesia Belanovich-Petz, Ricardo Bergmann, Sabrina Bobowski, Olga Dryndova und Dr. Kristiane Janeke – stammen aus Deutschland und Belarus und bringen neben langjähriger Erfahrung in den bilateralen Beziehungen ein breites inhaltliches Spektrum in die zukünftige Arbeit der Gesellschaft ein.  

Meckel übernimmt ebenso den Vorsitz des renommierten Minsk Forums. “Das 1997 von Rainer Lindner gegründete und seither geleitete Minsk Forum hat sich zu der zentralen Plattform in den Beziehungen zwischen Deutschland, der EU und Belarus entwickelt”, sagt der neue Vorsitzende. “Das Minsk Forum sorgte seit Einführung der Kontaktsperre zwischen der EU und Belarus und darüber hinaus für Begegnungen zwischen Politiker*innen und Diplomat*innen beider Seiten, aber auch zwischen Regierung, Zivilgesellschaft und Opposition innerhalb von Belarus”, so Meckel.

Rainer Lindner war für seine Verdienste um die Beziehungen von Belarus mit Deutschland und der EU auf dem Minsk Forum XVII Anfang Dezember 2019 mit einer Ehrenurkunde des Außenministeriums der Republik Belarus geehrt worden.

Mit Manfred Stolpe ist einer der wichtigsten und bekanntesten Politiker Ostdeutschands von uns gegangen. Wie kaum ein anderer wurde er nach 1990 zu dem Politiker, der den Ostdeutschen auf dem schwierigen Weg des Sich-Hineinfindens ins geeinte Deutschland Verständnis entgegenbrachte, ihre Probleme benannte und ihr Vertrauen hatte. So wurde er zum „Landesvater“ der Brandenburger .

 

Schon in der DDR war er als Mann der Kirche in wichtigen Funktionen eng mit der Politik verbunden. Er wusste, wie er die Herrschenden zu nehmen hatte und suchte mit dem ihm eigenen Pragmatismus, für die Kirche und für zahlreiche Hilfesuchende das Beste zu erwirken. So wuchs er in eine besondere, weit über seine formale Position hinausgehende Rolle hinein, als Gesprächspartner und Verhandler, für die Kirchenleitungen in der DDR wie für Politiker im Westen. Hier geschah vieles verdeckt, gerade in dieser Intransparenz jedoch bewegte er sich erfolgreich und konnte immer wieder viel erreichen. Dass auch die Staatssicherheit der DDR zu seinen Verhandlungspartnern gehörte, hat ihm nach 1990 dann manche Kritik eingebracht, auch meine eigene. Gleichzeitig war er dann jedoch auch vielfachen Verleumdungen und in meinen Augen ungerechtfertigten Verdächtigungen ausgesetzt.

 

Was 1989/1990 möglich wurde, ging weit hinaus über das, was er vorher für möglich gehalten hätte. Geprägt von den Enttäuschungen der niedergeschlagenen Aufstände seit 1953 war seine große Sorge im Herbst 1989 eine mögliche Eskalation, weshalb er den neuen demokratischen Initiativen und Bewegungen anfangs kritisch gegenüber stand.

Doch er stellte sich schnell auf die neue Situation ein und 1990 sich selbst zur Verfügung. Das Land Brandenburg hat er in den folgenden Jahren als Ministerpräsident in einmaliger Weise nachhaltig geprägt.

 

Wir kannten uns seit 1974, damals suchte ich als Student seinen Rat, als ich in einem schweren Konflikt an der kirchlichen Hochschule einen Streikaufruf erwog. Auch wenn wir später nicht selten unterschiedliche Einschätzungen hatten, prägten Achtung und grundsätzliches Vertrauen unser Verhältnis.

Meine Kritik war nach 1990, dass er mehr als „Landesvater“ agierte, zum großen Kümmerer wurde, der dafür geliebt wurde, aber in meinen Augen zu wenig den nötigen Streit auf Bundesebene suchte bzw. organisierte, um den ostdeutschen Interessen Geltung zu verschaffen.

Dazu kam, dass die in meinen Augen nötige kritische Aufarbeitung der kommunistischen DDR nicht gerade sein Thema war, mit langfristigen Auswirkungen in Brandenburg und aufseiten der SPD.

 

Ein großes gemeinsames Anliegen war uns die Versöhnung mit den östlichen Nachbarn. Polen war hier über viele Jahre ein gemeinsames Thema. Gerade dem Verhältnis zu Russland hat er sich bis zuletzt mit großem Engagement gewidmet.

 

Als engagierter Christ war er nach eigenem Bekenntnis immer von einem großen Gottesvertrauen geprägt. Dies trug ihn auch in den letzten Jahren der Krankheit, in denen er gemeinsam mit seiner Frau durch seinen offenen Umgang mit der Krebserkrankung für viele zu einem großen Tröster und Ermutiger wurde.

 

Mit Manfred Stolpe ist ein wirklich begnadeter und verdienstvoller Politiker

von uns gegangen, der viele und vieles bewegt hat.

 

Ankündigung Erinnerungen

Hier finden Sie die Ankündigung. Die Präsentation wird am 13. März 2020 um 19.oo Uhr während der Leipziger Buchmesse im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig stattfinden.

Eine weitere Buchvorstellung findet am 27. April 2020 um 18.00 Uhr in Berlin in der Bundesstiftung Aufarbeitung, Kronenstrasse 5, statt.

Ankündigung Erinnerungen MM - Verlag

Viele wissen, dass ich in den vergangenen zwei Jahren an meinen Erinnerungen geschrieben habe. Dies ist nun geschafft: Sie erscheinen unter dem Titel "Zu wandeln die Zeiten. Erinnerungen" bei der Evangelischen  Verlagsanstalt und werden bei der Leipziger Buchmesse am 13. März 2020 vorgestellt. Doch sind diese Erinnerungen auf die Zeit bis zur deutschen Vereinigung 1990 beschränkt.

Nun habe ich seitdem auch noch gelebt - ja, die Zeit danach ist mein eigentliches Leben als Politiker. So bin ich Katharina Abels dafür dankbar, dass sie Texte der letzten Jahre zusammengestellt hat, die mein politisches Wirken bis in die Gegenwart dokumentieren.

Hier geht es vielfach um ganz aktuelle Fragen - die Erinnerung an Friedliche Revolution und deutsche Einheit, um Freiheit und Demokratie, um Europa, um unser Nachbarland Polen und zentrale Fragen der nationalen und europäischen Erinnerungskultur des 20. Jahrhunderts. 

Das Inhaltsverzeichnis finden Sie hier     Markus Meckel, Zeitansagen, hg. Katharina Abels Inhaltsverzeichnis

Einladung zur Buchvorstellung



Am 16. Oktober 2019 veranstaltete der Landtag in Waren/Müritz ein Fest zum 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution. Die Festrede von Markus Meckel finden Sie hier:

2019-10-16 Rede MM Waren Gedenkveranst 30 Jahre Friedliche Revolution




In diesem Buch ist auch ein Artikel von mir, eingebettet in ganz andere Perspektiven auf das Ende des Kalten Krieges. Spannend!

Link zum Buch

Eigentlich sollte die Partei in einer Kneipe gegründet werden. Aber weil sich kein Wirt fand, der mitmachte, wurde es dann doch ein Pfarrhaus in Schwante bei Berlin. Am 40. Jahrestag der DDR, dem 7. Oktober 1989, wagten junge Menschen das, was eigentlich undenkbar war: Sie gründeten eine Partei. Und zwar die SDP - die Sozialdemokratische Partei der DDR. Jana Münkel hat zwei Gründer der ersten Stunde getroffen.

Radiobeitrag für Deutschlandfunk Kultur, Studio 9

Link zum Beitrag 

„Nach diesem Tag war ich sicher: Wir schaffen das mit der Demokratie!"

Link zum Interview

Gründung der SDP vor 30 Jahren: die radikalste Infragestellung der SED

Link zum Text


„Zeitansagen“ hat Markus Meckel im Laufe seines Wirkens unzählige gemacht.

Er war Pfarrerssohn, unbequemer Schüler und Wehrdienstverweigerer in der

DDR, Pfarrer, Gründer der oppositionellen sozialdemokratischen Partei in der

DDR, Außenminister der ersten frei gewählten DDR-Regierung, langjähriger

Bundestagsabgeordneter und Außenpolitiker im vereinten Deutschland sowie

schließlich Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgr.berfürsorge e.V.

Sehr offen spricht Markus Meckel in seinen Texten und Reden aus zwei Jahrzehnten

über seinen ungewöhnlichen Lebensweg in der DDR und über die Zeit

von Friedlicher Revolution und Deutscher Einheit. Er stellt unbequeme Fragen

an unseren Umgang mit der wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts und

plädiert mit Leidenschaft für eine durch und durch europäische Sichtweise auf

Geschichte und Außenpolitik.

Download Flyer

Der unten angezeigte Dokumentarfilm ist nun auch ONLINE zu sehen. Vorschau: Am 14. Juni 2019 wird in Spiegel – TV der Dokumentarfilm von Anne Morgan aus dem Jahr 2017 wiederholt:

Markus Meckel und die DDR 14.06.2019, 06:55 – 07:40 Uhr Gesellschaftlich war er meist Außenseiter: Abiturverbot durch den Staat, dann unangepasster Pfarrer und jahrelang im Visier der Stasi. Trotzdem wollte Markus Meckel seine ostdeutsche Heimat niemals verlassen. Stattdessen trat er an, das System von innen zu reformieren: als Vordenker der Opposition und später als Gründervater der sozialdemokratischen Partei der DDR. Ein Porträt des ersten und letzten frei gewählten Außenministers der DDR.

Gotha: Am Freitag, dem 24. Mai 2019 wird zum zwölften Mal in Gotha der „Wilhelm-Bock-Preis“ für soziales und demokratisches Handeln in Ost-, Süd- und Mitteleuropa verliehen. Preisträger 2019 sind die Gründungsmitglieder der Sozialdemokratischen Partei der DDR (SDP) Markus Meckel, Martin Gutzeit und Arndt Noack.

Einladung Wihelm Bock Preis 2019 - PDF


Die drei Herren haben vor dreißig Jahren den Mut besessen und haben Grenzen überwunden, Schranken aufgebrochen und sind einen neuen Weg gegangen. Sätze wie, „ So kann es nicht weitergehen…“ oder „Wir wollen uns in die längste demokratische Tradition Deutschlands stellen“ stehen für diesen mutigen Schritt.

Die Preisträger Markus Meckel, Martin Gutzeit und Arndt Noack werden am 24. Mai 2019 nach Gotha kommen. Dort erwarten ihn um 19.00 Uhr Oberbürgermeister Knut Kreuch gemeinsam mit dem Thüringer Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft  Wolfgang Tiefensee, dem Thüringer Landtagsabgeordneten Matthias Hey, dem Vorsitzenden des SPD-Kreisverbandes Gotha und der SPD-Stadtratsfraktion Gotha, Peter Leisner sowie Beigeordneten der Stadt Gotha und Vorsitzenden des Fördervereins Gothaer Tivoli, Marlies Mikolajczak.

Laudator wird der Thüringer Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft sowie der Landesvorsitzende der SPD Thüringen Wolfgang Tiefensee sein.

Der „Wilhelm Bock Preis“, dessen Namensgeber der große Gothaer Sozialdemokrat und Alterspräsident des Deutschen Reichstages Wilhelm Bock (1846-1931) ist, wurde 2008 erstmals durch den Oberbürgermeister der Stadt Gotha, Knut Kreuch, gestiftet und ausgestattet vom Tivoli Förderverein. Preisträger waren bisher der Ministerpräsident a. D. und Vorsitzende der Tschechischen Sozialdemokratischen Partei Jiří Paroubek (2008), der estländische Ministerpräsident a. D. und Europapolitiker Andres Tarand (2009), der „Vater der deutschen Ostpolitik“ Prof. Egon Bahr (2010), die bulgarische Vizepremierministerin Dr. Meglena Plugtschieva (2011), der Präsident der Republik Serbien a. D. und Vorsitzende der Demokratischen Partei Boris Tadic (2012), der slowakische Ministerpräsident Robert Fico (2013), die Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Ungarns a. D. und Mitglied des Europäischen Parlaments Ildikó Lendvai in 2014, der tschechische Ministerpräsident a. D., langjährige EU-Kommissar, stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) sowie Leiter des Beraterstabs des damaligen tschechischen Premierministers, PhDr. Vladimír Špidla (2015), der Bundesminister a. D. sowie Präsident a. D. des Deutschen Evangelischen Kirchentages Erhard Eppler (2016), der Hohe Repräsentant der Vereinten Nationen in Bosnien & Herzegowina Dr. Valentin Inzko und im letzten Jahr der  Präsident a. D. der Republik Polen, Aleksander Kwaśniewski.

Nur einmal wurde ein Ehren-Bock-Preis bisher vergeben und zwar im Jahr 2014 an die deutsche Bundestags- und Europaabgeordnete a. D., Bundesministerin a. D. und Staatssekretärin a. D. Frau Katharina Focke, eine der ersten Sozialdemokratinnen im Kabinett der Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt.

Die Ehrung findet am 24. Mai 2019, um 19.00 Uhr in der Gedenkstätte des Gothaer Parteitages von 1875, jener europäischen Traditionsstätte der deutschen Arbeiterbewegung dem „TIVOLI“ zu Gotha statt. Herzliche Einladung an alle Vertreter der Presse und der Medien.

Informationen zu den Preisträgern:  Preisträger Wilhelm Bock Preis 2019:

Wer war Wilhelm Bock? Wilhelm Bock - Vita

Am 6. April ist Herlind Kasner im Alter von 90 Jahren gestorben. Ich sehe sie noch vor mir sitzen, als ich sie Ende Dezember am Sonntagnachmittag besuchte. Nicht mehr ganz so beweglich wie früher, aber sehr wach. Trotzdem standen Kaffee und Kuchen auf dem Tisch. Und ihr Erzählen sprudelte. Wir hatten uns längere Zeit nicht gesehen. Sie hatte mich eingeladen, als wir uns letzten Sommer beim Benefizkonzert im Joachimsthalschen Gymnasium trafen. Dass dies wieder eine Zukunft haben sollte, lag ihr sehr am Herzen. Später kam ihr Sohn Marcus dazu, es waren zwei schöne Stunden angeregten Gesprächs.

Wir kannten uns seit Ende der 80er Jahre, als ich einen Englischkurs bei ihr besuchte. Damals baute ich in Niederndodelben bei Magdeburg ein Ökumenisches Begegnungs- und Bildungszentrum auf, das Mauritiushaus. Ich musste dringend mein Englisch verbessern, um mit internationalen Gästen sprechen zu können – und ahnte nicht, wie sehr ich das in Zukunft noch brauchen sollte.

Unser Haus war bleibend in ihrem Gedächtnis, da sie während eines solchen Kurses beim abendlichen Tanzen englischer Squaretänze gestürzt und sich eine Hand gebrochen hatte. Im Juni 1989 hatten wir wiederum einen Kurs auf dem Waldhof in Templin, während in Polen die ersten halbfreien Wahlen stattfanden – und zeitgleich beim Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens Tausende Studenten zu Tode kamen. Bei den Diskussionen darüber war sie lebhaft dabei. Später fragte sie mich, warum ich ihr nicht gesagt hätte, dass ich plante, eine Sozialdemokratische Partei zu gründen – und beantwortete die Frage gleich selbst. Sie trat dieser Partei dann bei und war schließlich nach den ersten freien Kommunalwahlen 1990 für die SPD Präsidentin des Templiner Kreistags. Damals wurde ihre Tochter, Angela Merkel, dann schon bald für die CDU Bundesministerin in Bonn. Das focht sie nicht an. Sie war ein sehr unabhängiger und selbständiger Geist!

In den zwei Jahrzehnten meiner Tätigkeit als Mitglied des Bundestages begegneten wir uns oft, denn Templin und die Uckermark waren mein Wahlkreis. Regelmäßig sahen wir uns in dem wunderschönen Kirchlein in Alt-Placht, eine kleine Fachwerkkirche, die durch die Initiative ihres Mannes, Horst Kasner, vor dem Verfall gerettet wurde. Bis heute ist diese Kirche ein Kleinod und Zentrum kulturellen Lebens. Und dann waren die Kasners regelmäßige Teilnehmer bei den „Kröchlendorffer Gesprächen“ auf Schloss Kröchlendorff, zu dem ich mit einem kleinen Initiatorenkreis viele Jahre lang einlud mit einem breiten Spektrum an Themen. Immer erlebte ich sie als zugewandt, geistreich und offen, manchmal auch spitz, wobei sie dann gleichzeitig ein hintergründiges Lächeln zeigte.

Dankbar und gern erinnere ich mich an diese wunderbare Frau, die Gott nun zu sich genommen hat, und bin mit den Gedanken bei ihrer Familie, die um sie trauert.

EUROPAS MITVERANTWORTUNG FÜR DIE ZUKUNFT DER UKRAINE wird von Richard Herzinger in der WELT vom 13. April 2019 in sehr überzeugender Weise dargestellt - verbunden mit einer Analyse der Situation vor der Stichwahl für das Amt des Präsidenten. 

Hier sein Artikel:

https://www.welt.de/debatte/kommentare/article191781567/Praesidentschaftswahl-Ukraine-2019-Wofuer-steht-Wolodomir-Selenski.html?wtrid=onsite.onsitesearch&fbclid=IwAR274i2esIrVbO5IpvKu0g7R8-mVZ43lSdZ2Wl6hIcT34oqx4MZIN8UpfBM

 

Seit längerem gibt es eine Diskussion darüber, wie wir in Deutschland der Opfer des Vernichtungskrieges im Opfer gedenken sollen. Ein Denkmal für die polnischen Opfer ist im Gespräch, auch eines für alle Opfer im Osten gemeinsam. Ich selbst hatte ein Museum vorgeschlagen. Der Bundestag hat am 31. Januar 2019 darüber diskutiert. 

Nun haben Peter Jahn, Martin Aust und ich uns zusammengesetzt und unsere früheren Positionen überdacht. Wir schlagen nun gemeinsam folgende Eckpunktevor:  

 

 

Eckpunkte für die Erinnerung an die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs  

1939 – 1945 

Information – Dialog – Gedenken 

Berlin, den 2. April 2019

Von Markus Meckel, Peter Jahn und Martin Aust

Für seine selbstkritische Aufarbeitung der NS-Verbrechen als Teil der eigenen Geschichte hat Deutschland international großen Respekt erhalten. Im Zentrum stand hier der Völkermord an den europäischen Juden. Millionen von Opfern der nationalsozialistischen Mordpolitik in Osteuropa sind dagegen bis heute in unserer deutschen Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus kaum im Blick – weitgehend vergessen sind die als „slawische Untermenschen“ stigmatisierten Einwohner Polens, der Sowjetunion und der baltischen Staaten.

 

Der aktuelle Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD bekennt sich – achtzig Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs - dazu, das Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs im Dialog mit Partnern im östlichen Europa zu stärken. Verschiedene Projekte konkurrieren um die Realisierung dieses Vorhabens: das Projekt eines Gedenkortes der Opfer deutscher Lebensraumpolitik in Polen und der Sowjetunion und die Initiative für ein Denkmal der ermordeten Polen. Der Deutsche Bundestag hat in seiner Plenardebatte vom 31. Januar 2019 weitere Überlegungen in dieser Frage an den Ausschuss für Kultur und Medien verwiesen.

 

Wir drei Unterzeichneten haben mit verschiedenen Positionen zu der öffentlichen Debatte beigetragen. Peter Jahn hat 2013 die Initiative Gedenkort für die Opfer deutscher Lebensraumpolitik gegründet. Martin Aust hat 2017 den Aufruf für ein Polendenkmal unterschrieben und in einem Beitrag in der FAZ (27. August 2018) jedoch auch dafür plädiert, über dem Gedenken an die polnischen Toten die Opfer des Vernichtungskriegs in der Sowjetunion nicht zu vergessen. Markus Meckel hat 2019 bei verschiedenen Gelegenheiten öffentlich dazu aufgerufen, anstatt eines Denkmals für die Opfer einer Nation ein Museum mit Gedenkort zu errichten, das den gesamten Vernichtungskrieg in den Blick rückt.

 

In Gesprächen haben wir Unterzeichneten unsere Positionen diskutiert und daraus Schlüsse für das künftige Gedenken gezogen.

 

Wir erkennen an, dass ein Gedenkort allein für alle Opfer des Vernichtungskriegs jenseits der deutschen Öffentlichkeit ein Kollektiv benennt, in dem sich unterschiedliche Nachfahren der Opfer nicht angesprochen fühlen. Wir sind zu dem Schluss gelangt, dass ein Denkmal die Öffentlichkeit nicht hinreichend über die Geschichte informiert. Uns leuchtet ein, dass der Begriff Museum Vorstellungen einer Sammlung und Ausstellung weckt, der fragliche Ort jedoch schlicht informieren und dokumentieren soll.

 

 

Folgende Eckpunkte schlagen wir für ein künftiges Gedenken vor:

 

Ein Ort der Information, des Dialoges und des Gedenkens

Ein angemessenes Wissen über den deutschen Vernichtungskrieg und seine Opfer im östlichen Europa wird in der deutschen Gesellschaft vor allem durch faktenbetonte Information erreicht. Die Planungen und Handlungen der deutschen Täter und das Leid der Opfer des deutschen Vernichtungskrieges zunächst gegen Polen und dann gegen die Sowjetunion müssen zusammenhängend und ausführlich dokumentiert werden. Dabei müssen sowohl individuelle und gruppenspezifische Erfahrungen von Gewalt und Vernichtung in Polen und der Sowjetunion als auch übergreifende Zusammenhänge deutscher Vernichtungspolitik deutlich werden. Dazu bedarf es eines Ortes der Information. Dieser Ort soll zugleich für den Dialog mit Historikerinnen und Historikern sowie zivilgesellschaftlichen Erinnerungsinitiativen aus Polen, der Ukraine, Belarus, Russland, Estland, Lettland und Litauen offen sein. In einem internationalen, wissenschaftlichen Beirat des Ortes erfährt dieser Dialog eine Institutionalisierung. Auch der Austausch mit lokalen Erinnerungsinitiativen sowie Schulklassen aus Deutschland findet hier Platz. Nicht zuletzt soll der Ort auch Räume für gruppenspezifisches Gedenken umfassen. Das Ensemble von Information, Dialog und Gedenken fördert Empathie mit den Opfern.

 

Deutsche Erinnerungsverantwortung für den Vernichtungskrieg

Mit der Einrichtung eines solchen Ortes kommt Deutschland seiner Erinnerungsverantwortung für die Vernichtungspraktiken deutscher Täter im Zweiten Weltkrieg nach. Wir können nur aus der Geschichte lernen, wenn wir uns den rassistischen Handlungsrahmen bewusst machen, in dem dieser Krieg geführt wurde. Er begann mit dem Hitler-Stalin-Pakt und dem deutschen Überfall auf Polen, in Kooperation mit der Sowjetunion. Dieser Krieg zielte auf die Vernichtung der polnischen Eliten. Mit dem deutschen Überfall im Juni 1941 radikalisierte sich der Krieg zum umfassenden Vernichtungskrieg gegen Juden, kommunistische Eliten und große Teile der Bevölkerung, vor allem in den Städten und Kriegsgefangenenlagern. Die Überlebenden hatten millionenfach Zwangsarbeit zu leisten. Die Dokumentation muss die ganze Breite der Entscheidungsabläufe und Vernichtungspraktiken des deutschen Krieges aufzeigen: vom „Kommissarbefehl“ und „Generalplan Ost“ zur Ausmordung ganzer Regionen. Zu dokumentieren sind Deportationen und millionenfacher Tod durch Hunger: der Einwohner Leningrads in der Blockade und der drei Millionen Rotarmisten in deutscher Kriegsgefangenschaft, ferner deutsche Massaker an der Zivilbevölkerung wie im Warschauer Aufstand 1944 und die Massenerschießung von Juden hinter der Front.

Am 30. April 1989 übergab die "Ökumenische Versammlung" 12 von ihr in 15 monatelanger Arbeit erstellte Texte zu den globalen Herausforderungen dieser Zeit. Ein Veranstaltung in der Katholischen Akademie erinnerte an diese Versammlung und ihre Ergebnisse, die zum einen in das Vorfeld der Friedlichen Revolution in der DDR gehört, zum anderen jedoch in der Beschreibung der Herausforderungen für die Kirchen und diese Welt nach wie vor hoch aktuell ist - auch wenn manche Aussagen aktualisiert werden müssen.

Flyer 30 Jahre ÖV_final_webversion

Ein Mitschnitt der Veranstaltung ist jetzt online unter den folgenden Link nachhörbar:

www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/veranstaltungsnachlese-2019-7049.html?id=3424

s. auch bei domradio.de:  Erinnerung an Christen-Versammlung in der DDR vor 30 Jahren 

s. auch Stephen Brown:

https://www.oikoumene.org/en/press-centre/news/gathering-recalls-ecumenical-assembly-that-mobilised-dissent-in-east-germany

Auch erschienen in:

https://www.sightmagazine.com.au/news/11840-berlin-conference-recalls-role-of-christian-ecumenical-assembly-in-mobilising-dissent-ahead-of-the-fall-of-berlin-wall

Zum Nachlesen:

Vortrag Berlin Kunter Ökumenische Versammlung 2 April 2019 Textversion 

Einführung Markus Meckel 27.3.2019

Fotos und Näheres zu dieser Tagung finden Sie hier:

https://www.oerbb.de/aktuelles/tagung-30-jahre-oekumenische-versammlung-der-ddr-27032019

Dr. habil. Katharina KunterBernd StreichMarkus MeckelDr. habil. Katharina Kunter

Prof. Dr. Richard Schröder, Annemarie Müller, Hans-Jürgen Röder, Alexander Reichert, Prof. Dr. Konrad RaiserAlexander Reichert, Prof. Dr. Konrad RaiserBischof Dr. Gerhard Feige, Bischof Dr. Markus DrögeBischof Dr. Gerhard Feige, Bischof Dr. Markus DrögeRüdiger Noll, Matthias Belafi, Antje Heider-Rottwilm, Schulamit Kriener, Bischof Dr. Gerhard Feige, Dr. Ellen UeberschärSchulamit Kriener, Bischof Dr. Gerhard Feige, Dr. Ellen Ueberschär

 

 

30 Jahre Deutsche Einheit

2020 

DAS GRUNDGESETZ ZUR DEUTSCHEN VERFASSUNG MACHEN

In welcher Verfassung wollen wir leben? 

18. März 2019

 

 

2019 wird unser Grundgesetz 70 Jahre und 2020 die Deutsche Einheit 30 Jahre alt.

Nach der Friedlichen Revolution in der DDR 1989 und im folgenden Prozess bis zum 3. Oktober 1990 wurde viel darüber diskutiert, ob sich die Deutschen aus Ost und West auf der Grundlage des Grundgesetzes eine gemeinsame Verfassung geben sollten - als ein besonders identitätsstiftendes Moment für das wieder vereinigte Deutschland.

Dazu ist es nicht gekommen.

Eine Verfassungskommission aus Bundestag und Bundesrat widmete den Artikel 23 um zum Europaartikel. Einen weiterführenden öffentlichen Diskurs darüber, mit welcher Verfassung wir leben wollen, gab es nicht. Der Artikel 146 besteht fort: „Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“

Warum diese Vorläufigkeit?
Lasst uns miteinander reden. Lasst uns der Werte und Grundlagen unseres Gemeinwesens bewusst werden. Das Grundgesetz hat sich bewährt und erfreut sich breiter Anerkennung. 

Lasst uns seine Vorläufigkeit aufheben und Artikel 146 streichen.

 

30 Jahre nach der Deutschen Einheit stehen die liberalen Werte, welche die Basis unseres Grundgesetzes und des Lissaboner Vertrages der EU bilden, in vielen Ländern des Kontinents unter Druck. Umso dringender ist die öffentliche Selbstvergewisserung darüber, in welcher Verfassung wir Deutschen leben wollen. 

Ein solcher Dialog gibt den Ostdeutschen die Chance, ihre Erfahrungen aus drei Jahrzehnten deutscher Einheit einzubringen und allen Deutschen gemeinsam die Gelegenheit, neue Herausforderungen daraufhin zu überprüfen, ob neue Kriterien und Grundlagen definiert werden sollten, um konstruktiv und zukunftsorientiert die Grundlagen unserer Demokratie zu bereichern und zu stärken.

Beispielhaft seien zwei Themen genannt, über die nachzudenken wäre:

  1. Brauchen wir angesichts der schnellen Entwicklungen dieser globalen Welt, etwa im Zusammenhang der Digitalisierungvieler Lebensbereiche, Orientierungen und Kriterien, die wir für uns gemeinsam festlegen wollen?
  2. Drei Jahrzehnte nach dem Kalten Krieg hat Europasein Gesicht grundlegend verändert: Die Hoffnungen auf eine Friedensdividende, die 1990 in der KSZE-Charta von Paris ihren Ausdruck fanden, haben sich so nicht erfüllt. Unsere Sicherheit ist wieder zu einem Thema geworden. Die Europäische Union hat sich um viele neue Demokratien erweitert, ihre Integration vertieft und ist zu einem zentralen Anker von Demokratie und Stabilität, von Wohlstand und Sicherheit geworden. Gleichwohl muss sie sich Krisen erwehren und ihre Handlungsfähigkeit verteidigen und weiter entwickeln. So stellt sich die Frage: Sind die Verankerung und Verantwortung Deutschlands in der Europäischen Union im Grundgesetz klar genug ausgedrückt?

IN WELCHER VERFASSUNG WOLLEN WIR IN DEUTSCHLAND UND EUROPA LEBEN?

LASSEN SIE UNS DARÜBER STREITEN UND EINIG WERDEN.

LASS SIE UNS DAS ERGEBNIS INS GRUNDGESETZ SCHREIBEN – VERBINDLICH STATT VORLÄUFIG – UND DAS ERGEBNIS ALS NEUE UND DAUERHAFTE VERFASSUNG DEUTSCHLANDS BESCHLIESSEN!

 

Markus Meckel - kontakt@markusmeckel.euwww.markusmeckel.eu– 030-47004549

Hier noch ein Interview zum Them in der Märkischen Oderzeitung

Spiegelgespräch Meckel - Schäuble 1990: SPIEGEL_1990_12_13507138 - Verfassung

 

Vom 22.-24. Februar 2019 fand in Magdeburg eine Tagungstatt, zu der eine Reihe von ehemaligen Vertragsarbeitern aus Mosambik eingeladen waren. Hier wurde die Problematik intensiv erörtert. Es wurde deutlich, dass es auch heute noch Handlungsbedarf gibt. Dies wurde in einem Memorandumzusammengefasst.

Magdeburger Memorandum-Portugisisch

Markus Meckel hat die beigefügte Erklärung"Gedenkort für die Opfer des deutschen Kolonialismus im Humboldt Forum" unterschrieben. Darin wird gefordert, dass im Humboldt Forum zur Erinnerung an die koloniale Geschichte ein Gedenkort eingerichtet wird. Unterzeichnerliste

Diese hat eine beachtliche Resonanz und viel Zustimmung gefunden. Die Hauptstadt Berlin braucht ein Gesamtkonzept zur Erinnerungskultur für die deutschen Kolonialverbrechen. Dazu zählen Gedenkorte mit nationaler und internationaler Ausstrahlung - wie von uns vorgeschlagen im Humboldt Forum, aber auch die von Initiativen geforderte Gedenkstätte zur Erinnerung an die afrikanischen Opfer von Versklavung, Kolonialismus und rassistischer Gewalt. Nicht zu vergessen die zahlreichen dezentralen Orte zur (selbst-reflexiven) Aufarbeitung des kolonialen Unrechts und dessen Folgen bis in die Gegenwart. Und selbstverständlich müssen Betroffene und Vertreter/innen aus den kolonisierten Ländern an Konzeption und Umsetzung mitwirken.

Am 26.1. hat die Deutsche Welle einen informativen Beitrag zur kontroversen Debatte über den Gedenkort im Humboldt Forum veröffentlicht: Link

Der Focus hatte den Text der Deutschen Welle bereits am Vortag
wiedergegeben:

Eine hervorragende Darstellung der komplexen Thematik finden Sie im Neuen Deutschland vom 19.01.2019, u.a. mit einem Text von uns (Melber, Ridderbeekx, Fues), aber auch kritischen Stimmen: Link

 

Sie können ihn am 18.02.2019 um 00:15 auf Spiegel Geschichte TV sehen.

Programmvorschau

Am 30. Januar 2019 hielt Markus Meckel beim Forum Erinnerungskultur Lübeck die angefügte Rede,

in welcher er die verschiedenen Erinnerungsfelder des 20. Jahrhunderts ins Gespräch miteinander

bringt und eine verstärkte Integration ihrer Themen einfordert.

Vortrag MM Erinnerungskultur Lübeck 30.1.2019

Markus Meckel hat diesenTextmit erarbeitet. 

Es gibt dafür eine eigene Website. Dort ist das Dokument mit den Unterschriften jeweils aktualisiert zu finden:


„Einigkeit und Recht und Freiheit – QUO VADIS?“

Rede an die Deutsche Nation

 Markus Meckel 

3. Oktober 2018, Paulskirche in Frankfurt/Main

Anrede

In der DDR geboren und aufgewachsen konnte ich 1986 das erste Mal den Westen meines Vaterlandes besuchen, meine Tante feierte ihren 60. Geburtstag. Nach langer Zugfahrt kam ich in der Nacht aus der grauen DDR auf dem von Reklame leuchtenden und bunten Bahnhof in Essen an – in einer mir fremd anmutenden Welt. Plötzlich rief jemand laut einen anderen an – und sprach deutsch, meine Sprache. Ich war fast zu Tränen, tief berührt.

Ähnliches hatte ich schon einmal erlebt: 1971, als ich das erste Mal in Kronstadt in Rumänien Siebenbürger Sachsen traf. In der Fremde die eigene Sprache als Muttersprache zu hören – das ist etwas Besonderes und schafft unmittelbare Verbundenheit, Vertrautheit im Fremden. Inzwischen leben nicht nur die meisten Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben aus Rumänien in Deutschland, wir Deutschen aus Ost und West leben seit fast drei Jahrzehnten im nun vereinten Deutschland – und Rumänien gehört zur Europäischen Union. Wir singen unsere Nationalhymne und dürfen beglückt als eigene Erfahrung preisen, was deren Dichter Hoffmann von Fallersleben noch als Erwartung und Hoffnung besang: Einigkeit und Recht und Freiheit. 

Wenn wir uns jedoch umsehen, müssen wir feststellen: Wir sind heute nicht wirklich beglückt. Unser Gemeinwesen ist von Unsicherheit und Orientierungslosigkeit umgetrieben und von mancherlei Spaltung zerrissen. Wohin steuern wir? Kann uns ein solcher Gedenktag wie der heutige Orientierung geben?  

Es ist kein Zufall, dass die Nationalversammlung von 1848/49, die hier in dieser Kirche vor nunmehr 170 Jahren tagte, sich nach der vielfach siegreichen Revolution auf den Barrikaden hier in besonderer Weise der Erarbeitung einer Verfassung widmete, die eine Grundlage schaffen sollte für „Einigkeit und Recht und Freiheit“ der Deutschen. Sie wollte einen auf Wahlen beruhenden parlamentarischen Verfassungsstaat, der die Bürger- und

Menschenrechte garantierte, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit sicherte und Raum gab für politische Mitwirkung sowie Presse-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit gewährleistete. Auch die in Deutschland lebenden Minderheiten sollten mit klaren Rechten ausgestattet sein. Ja, sogar ein allgemeines „Recht auf Bildung“ wurde hier schon kodifiziert. 

Diese Nationalverfassung wurde dann sogar beschlossen und rechtskräftig. 28 der 36 deutschen Regierungen anerkannten sie, doch scheiterte ihre Umsetzung. Der preußische König schlug die ihm von der Nationalversammlung angebotene „Kaiserkrone der Deutschen“ aus und hielt an seinem „Gottesgnadentum“ fest. Friedrich Wilhelm IV. war weder bereit, ein über ihm stehendes Recht noch eine auf freien Wahlen gegründete Volksherrschaft anzuerkennen. 

Damit war vorerst das andere Ziel der 48´er Revolution auch dahin: die Einheit der

Deutschen, die Schaffung eines deutschen Nationalstaates. Diesen schuf Bismarck dann 23 Jahre später, nach drei Kriegen, aber eben ohne jene Freiheiten, für die die Nationalversammlung stand. 

Erst die Katastrophe des Ersten Weltkrieges fegte die Monarchien in Europa hinweg, die (anders als in anderen Ländern) zur Demokratie nicht bereit waren. Sie machte den Weg frei zur Verwirklichung dieses Anspruchs von 1848: Freiheit und Recht und Einigkeit – ein demokratisches Deutschland, dessen Grundlage die Weimarer Verfassung wurde. Diese wiederum nahm vieles auf, was vorher hier in der Paulskirche diskutiert und beschlossen wurde. Bei den Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag der Nationalversammlung 1923, hier in der Paulskirche, wurde diese Traditionslinie von Reichspräsident Friedrich Ebert und Reichstagspräsident Paul Löbe ausdrücklich hervorgehoben – Namen, die sie wiederum auch im heutigen Regierungsviertel in Berlin antreffen, ein Zeichen dafür, dass sich auch das vereinte Deutschland dieser Rechtstradition verpflichtet weiß.  

In diesen Wochen blicken wir zurück auf das 100jährige Ende des Ersten Weltkrieges und zugleich auf den Anfang der ersten deutschen Demokratie. In einer Situation, in der

Deutschland am Boden lag, übernahmen Demokraten das erste Mal

Regierungsverantwortung, um Deutschland in die Zukunft zu führen. Gewiss wurden damals auch Fehler gemacht, aber wenn man über diese Zeit nachliest, kann man nur voller Bewunderung sein, wie Einzelne den Mut hatten, in schwer umkämpften Situationen mit klarer Orientierung an Demokratie und Rechtstaatlichkeit ihre Entscheidungen zu treffen, gegen revanchistische Versuchungen und bolschewistische Versprechen. 

Der Erste Weltkrieg und seine Folgen haben das vergangene Jahrhundert in einer Weise geprägt, wie es uns oft nicht mehr bewusst ist. Mit dem im Größenwahn von Deutschland selbst provozierten Kriegseintritt der USA 1917 war seine Niederlage besiegelt. Im Juli 1917 hatten die Parteien, die dann die Weimarer Republik tragen sollten, im Deutschen Reichstag eine Friedensresolution beschlossen,  doch wurde sie von Hindenburg und Ludendorff beiseite gewischt – das Parlament hatte eben noch keine wirkliche Macht. Die Amerikaner unter Präsident Wilson jedoch sahen sich im Auftrag, die Einführung von Demokratien in Europa zu unterstützen. Die nach dem Zerfall der monarchischen Reiche neu entstehenden

Staaten wurden schließlich auch als parlamentarische Demokratien gegründet. Das FrauenWahlrecht, um das lange gekämpft worden war, nahm seinen Siegeszug durch Europa. Nach der Katastrophe des Weltkrieges wurde versucht, eine internationale Rechtsordnung zu schaffen, der Völkerbund wurde gegründet. Dieser stand ein für die Lösung internationaler Konflikte und sah sich u.a. auch in der Verantwortung, sich um die Flüchtlinge zu kümmern, die damals in großer Zahl vor dem Bürgerkrieg und den Bolschewiki aus Russland in den Westen kamen - alleine 600.000 Menschen retteten sich bis 1923 nach Deutschland. 

Mit der Gründung neuer Nationalstaaten, deren Bevölkerung aber durchaus ethnisch gemischt war, entstand nach 1918 das Problem der Rechte von Minderheiten. Manche dachten damals – wie übrigens heute wieder, Demokratie sei das Recht der Mehrheit, so dass dann eine gewählte Regierung machen könne, was sie wolle. Demgegenüber wurde schon vor 100 Jahren deutlich gemacht, dass Demokratie auf Werten und Rechten gründet, die jedem Menschen und auch Minderheiten zustehen, die von Mehrheiten nicht einfach hinweggewischt werden dürfen. Ein Thema, das gerade heute wieder hoch aktuell ist. 

Beide großen Errungenschaften am Ende des Ersten Weltkrieges – der Siegeszug der parlamentarischen Demokratie und der Völkerbund, der internationales Recht stärken und umsetzen sollte – waren nicht von langer Dauer. Nicht nur in Deutschland, auch in den anderen neugegründeten Staaten (außer der Tschechoslowakei!) versagte die Demokratie – nach 15 Jahren war sie durch autoritäre oder diktatorische Regime abgelöst. Es gab nicht genügend Demokraten, die für sie einstanden und sie verteidigten.  

Die Amerikaner wurden schließlich nicht einmal in dem von ihnen initiierten Völkerbund

Mitglied und er scheiterte schließlich. Der Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Gründung der Vereinten Nationen 1945 und ihrer Menschenrechtserklärung von 1948 bleibt bis heute eine internationale Herausforderung für die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen und die Friedenssicherung. Dabei bleiben die UN angewiesen auf den Willen der Staaten, sie zu stützen und stark zu machen. Gerade heute aber – nach der Annexion der Krim ganz offensichtlich - steht diese internationale Rechtsordnung wieder unter einem Druck, wie wir es uns in den letzten Jahrzehnten nicht mehr vorstellen konnten.

Am Ende des Ersten Weltkrieges entstand das, was wir über Jahrzehnte hin in positiver Weise „den Westen“ genannt haben: eine transatlantische Staatengemeinschaft, die sich gemeinsamen Werten verpflichtet fühlt. Zwar verharrten die USA zunächst wieder in ihrer Isolation und zogen sich aus Europa zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch geschah das nicht wieder. Die USA wurden zum Garanten der Demokratie im westlichen Nachkriegseuropa, sie unterstützten die Bildung der Europäischen Gemeinschaften, die Integration der (zunächst west-) europäischen Staaten, unsere heutige Europäische Union. Diese wurde nach dem Sieg von Freiheit und Demokratie 1989/90 zu einem Anker der neuen postkommunistischen Demokratien. Die transatlantischen Beziehungen sind somit seit dem Ende des Ersten Weltkrieges ein Jahrhundertthema. Im Kalten Krieg wurden sie zur existentiellen Basis. Der Westen war für viele im Osten Ziel ihrer Sehnsüchte, das Symbol für Freiheit. Heute müssen wir mit Erschrecken feststellen, dass diese Grundlage, die angesichts der Globalisierung nicht weniger wichtig wäre als im Kalten Krieg, zutiefst gefährdet ist. Dies bedeutet eine immense Herausforderung! 

Die Präsidentschaft Donald Trumps führt uns vor Augen, was eigentlich schon lange ansteht, die Emanzipation der Europäer, der Europäischen Union im transatlantischen Verhältnis und in der internationalen Politik. Das heißt, wir Europäer müssen es lernen, den Amerikanern auf Augenhöhe zu begegnen und mehr Verantwortung zu übernehmen. Wir müssen partnerschaftsfähig werden und in diese Partnerschaft das entsprechende Gewicht einbringen. Davon aber sind wir weit entfernt, sowohl was die Ressourcen angeht, wie auch, wenn es um die dafür erforderliche Einigkeit unter den Europäern geht. Dabei gilt: für die Gestaltung der Globalisierung durch ein regelbasiertes Miteinander und die dieses unterstützenden Institutionen ist ein gemeinsam handlungsfähiger „Westen“ von zentraler Bedeutung. Nur gemeinsam wird es gelingen, unseren Werten, dem internationalen Recht und der Würde des Menschen, weltweit mehr Geltung zu verschaffen. Voraussetzung dafür bleibt natürlich, dass wir uns im eigenen Handeln auch selbst von diesen Werten leiten lassen und sie nicht nur im Munde führen! 

Meine Damen und Herren, Sie sehen, welche aktuellen Fragen zum Thema werden, wenn man am heutigen 3. Oktober aus gutem Grund auch diesen 100. Jahrestag des Endes des

Ersten Weltkrieges genauer bedenkt. Ich möchte hier nun noch an zwei weitere runde Jahrestage erinnern, die in diesem Jahr und in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind: an das Jahr 1938 und an 1968 in seiner doppelten Bedeutung. 

1938 – die Pogrome an der jüdischen Bevölkerung in Deutschland. Hier wurden einer Bevölkerungsgruppe alle Rechte entzogen, sie wurden dem Terror und dem Mob ausgeliefert. Und die große Mehrheit der Deutschen sah tatenlos zu. Es gab keinen Aufschrei der Aufrechten. War es Übereinstimmung, Gleichgültigkeit, Angst? Ich stelle einmal die spekulative Frage: Was wäre geschehen, wenn es diesen Aufschrei gegeben hätte, laut und vernehmlich, durch alle Bevölkerungsgruppen? Wäre auch dann alles so weiter geschehen, wie es geschah – mit 6 Millionen ermordeten europäischen Juden am Ende des Krieges?  

1968 – erlauben Sie mir als Ostdeutschem, hier zuerst an den Versuch in der

Tschechoslowakei zu erinnern, einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu errichten. Das hat uns damals so viel Hoffnung gegeben! Und dann denken wir natürlich daran, wie dieser Traum durch sowjetische Panzer zunichte gemacht wurde. Für mich als 16-Jährigem war das damals der Beginn meines politischen Engagements. 

Sie hier in Frankfurt denken zum Jahr 1968 natürlich zuerst an die turbulenten Erfahrungen mit der Studentenrevolte, war hier doch eines ihrer Zentren. Bei allen Fragen an die neomarxistische Attitüde, die viele Akteure damals an den Tag legten, bleiben m.E. jedoch zwei Anstöße dieser Zeit von zentraler Bedeutung: Die 68´er machten zum einen deutlich, dass Autorität und Tradition kritisch zu hinterfragen sind und jeweils neu begründet werden müssen. Sie schnitten manchen alten Zopf einfach ab. Und sie waren zum anderen nicht bereit, die Schuld der Vergangenheit weiter zu beschweigen und fragten nach der Verantwortung. Sie setzten einen Prozess der Auseinandersetzung mit den Verbrechen der NS-Zeit in Gang, der bis heute für uns von zentraler Bedeutung ist. Diese zwar durchaus immer strittige, aber dann doch einen breiten Konsens findende Aufarbeitung des Nationalsozialismus hat zu einer weltweiten Anerkennung der Bundesrepublik geführt. Der kniende Kanzler Willy Brandt vor dem Ghettodenkmal in Warschau ist zu einem Gen deutscher Identität geworden. Ich bin überzeugt davon, dass die internationale Anerkennung für die Übernahme der Verantwortung für unsere schwer belastete Geschichte eine zentrale

Voraussetzung dafür war, dass die Alliierten und Nachbarn 1990 die Vereinigung

Deutschlands akzeptierten. Obwohl die 68´er 1990 selbst nicht unbedingt zu den Unterstützern der deutschen Einheit gehörten, hatten sie so gesehen auch ein Verdienst, diese Einheit möglich gemacht zu haben. Meine Damen und Herren, wir begehen heute den Tag der Deutschen Einheit vor 29 Jahren. Gerade wenn wir auf das ganze Jahrhundert zurückblicken, müssen wir doch sagen: Welch´ ein Glück war das für uns Deutsche, dies erleben zu dürfen - 4 ½ Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, in welchem wir so viel Mord und Terror über ganz Europa gebracht haben! Dass dies gelungen ist, kann ich auch heute nur als ein ganz großes Geschenk ansehen. Natürlich erwächst uns daraus auch eine Verantwortung, doch darauf möchte ich später zurückkommen.

Zunächst gilt es festzustellen, dass auf diese Einheit niemand wirklich vorbereitet war.

Jedenfalls war von einer solchen Vorbereitung bei niemandem der Akteure etwas zu spüren. Wir Deutschen haben bis heute für dieses für unsere Geschichte so wichtige Ereignis noch längst nicht eine gemeinsame Erzählung gefunden. Dabei ist das für unser Selbstverständnis und Agieren in der Zukunft durchaus wichtig. Die Voraussetzung dafür aber ist, dass wir beginnen, uns gegenseitig zuzuhören. Dass wir uns unsere jeweiligen Erfahrungen erzählen, und dazu gehören auch die derer, die in den letzten Wochen in Dresden und Chemnitz auf der Straße waren.

Als ich in den 1990er Jahren in Süddeutschland einen Vortrag hielt, formulierte ein Student – den Einigungsprozess beschreibend: „als die DDR zu Deutschland kam“. Dies ist gewiss eine ungewöhnliche Formulierung, doch gibt sie m.E. ziemlich präzise das unmittelbare Gefühl vieler Westdeutscher wieder. Die Ostdeutschen sind nach diesem Verständnis die Hinzugekommenen, für die man durchaus auch bereit war, einiges zu tun. Doch gilt dann auch: „Alles hat seine Grenzen. Irgendwann – nach 30 Jahren – muss aber Schluss sein!“ So kann man es heute in Gesprächen immer wieder hören. 

Die Geschichte der Bundesrepublik ist nach diesem Verständnis die deutsche Geschichte der Nachkriegszeit – die DDR-Geschichte dagegen wird zur Regionalgeschichte, eine Sache für Spezialisten, die in den Anhang gehört bzw. als Exkurs oder Sonderkapitel abgehandelt wird. Dabei wäre es ja wohl richtiger und angemessener, die deutsche Geschichte der Nachkriegszeit als geteilte Geschichte zu beschreiben, bei der beide deutsche Staaten nicht nur von der jeweiligen Vormacht und dem jeweiligen Bündnis geprägt, sondern immer auch stark aufeinander bezogen waren. Dies geschieht bis heute jedoch ganz selten. Da Geschichtserzählung aber etwas mit Identitätsbestimmung zu tun hat – glauben Sie nicht, dass es Auswirkungen hat, wenn 30 Jahre nach der deutschen Einheit die Geschichte der einen Deutschen als die eigentliche deutsche Geschichte betrachtet wird und die der anderen als ein Anhang, Exkurs oder eine Sondergeschichte? 

International wird Deutschland trotz aller Turbulenzen der Gegenwart mit Recht als eine gefestigte Demokratie angesehen. Ein wichtiger Anker dafür ist die - natürlich auch immer hart umkämpfte - demokratische Entwicklung der Bundesrepublik bis 1990. Doch haben wir Ostdeutschen in diese Geschichte und Tradition einzubringen, dass hier erstmalig in der deutschen Geschichte Freiheit und Demokratie selbst erkämpft wurden, und dies ohne ein Blutbad. Erst diese siegreiche Freiheitsrevolution eröffnete das Tor zur deutschen Einheit. Es wäre spannend, die Aufbrüche zur Freiheit und ihre Debatten hier in der Paulskirche 1848/49 mit denen am Runden Tisch und in der frei gewählten Volkskammer zu vergleichen. Da waren jeweils Menschen aktiv, die nicht als Politiker geboren waren, sondern ganz unmittelbar ihre Bürgerrechte in Anspruch nahmen und endlich selbst ihre Zukunft in die Hand nehmen wollten. Ein Unterschied aber ist manifest: Die Nationalversammlung schuf in langen Diskussionen ihre Verfassung. Die Ostdeutschen aber haben zwar Freiheit und Demokratie selbst erkämpft – das Recht aber wurde durch den Beitritt übernommen und nicht mehr selbst gestaltet. Das war damals der einfachste verfassungsrechtliche Weg und von der großen Mehrheit in Ost und West gewollt. Es bestand damals aber von westlicher Seite nicht einmal die Bereitschaft, sich auf der Grundlage des Grundgesetzes gemeinsam eine neue Verfassung zu geben und sie abstimmen zu lassen. Ist neben anderem vielleicht auch dies ein Grund dafür, dass das Grundvertrauen in das Recht im Osten nur so mangelhaft entwickelt ist?

In den 1990er Jahren erklärte ein bekannter deutscher Politiker im Bundestag, dass er sich freue, dass die Ostdeutschen durch die Einheit die Freiheit erhalten hätten. Ich schaute mich damals empört im Plenum um – aber niemandem schien das aufgefallen zu sein. War das doch eine Verdrehung der Tatsachen! Wir im Osten hatten die Freiheit selbst erkämpft und dadurch war die Einheit möglich geworden. Die große Mehrheit der Ostdeutschen wollte die Einheit und machte dann auch ständig Druck. Sie kennen den Slogan: „Wenn die DM nicht kommt zu mir, geh´n wir zu ihr!“ Durch die errungene Freiheit wurde die Einheit möglich. Deshalb ist es auch wichtig, dass das Denkmal, das jetzt in Berlin entstehen soll, Freiheits- und Einheitsdenkmal heißen wird, und nicht „“Einheits- und Freiheitsdenkmal“, wie die Initiatoren es ursprünglich nannten. Überhaupt ist es schon verwunderlich, dass wir Deutschen uns so schwer tun, diesem zentralen Ereignis unserer Geschichte ein Denkmal zu bauen. Wenn ich die vielen Bismarckdenkmäler ansehe, die an die Einheit „mit Blut und Eisen“ von 1871 erinnern, dann ist das schon erstaunlich. Wir Deutschen haben wohl irgendwie Schwierigkeiten, uns auch einmal wirklich zu freuen und dieser Freude Gestalt und Ausdruck zu geben. Natürlich kann man über jede Formgebung diskutieren. Das war auch beim Holocaustdenkmal so. Doch bin ich überzeugt, wie letzteres von den Menschen angenommen wurde, so wird es auch mit dem Freiheits- und Einheitsdenkmal vor dem Berliner Schloss sein! Wichtig wird sein, es wie beim Holocaustdenkmal um eine erklärende Ausstellung zu ergänzen. 

Auch wenn mit der Vereinigung Deutschland wieder ein Nationalstaat wurde, handelte es sich 1989/90 nicht nur um ein nationales Ereignis und kann angemessen nicht nur national erinnert werden. Schon die Friedliche Revolution in der DDR gehört in den Kontext dessen, was vorher in Polen und Ungarn und später auch in der Tschechoslowakei geschah. Sie war Teil einer mitteleuropäischen Revolution, eines Systemwechsels, der den Kommunismus in Osteuropa zum Einsturz brachte und den Kalten Krieg beendete. Der Fall der Mauer am 9.

November 1989 wurde weltweit zum Symbol dafür. Deshalb müssten Polen, Ungarn, Tschechen und Slowaken gewissermaßen als geborene Gäste zu jeder Feier des Mauerfalls gehören. So kam es m.E. fast einer Geschichtsfälschung gleich, als man 2009 in Berlin zum 9. November eine Veranstaltung mit Helmut Kohl, Georg Bush sen. und Michail Gorbatschow machte – waren doch alle drei von den Revolutionen im Herbst 1989 und vom Mauerfall überrascht worden. Tadeusz Mazowiecki aber, Symbolfigur und zentraler Akteur dieses mitteleuropäischen Aufbruchs, war zwar an diesem Tag im letzten Augenblick doch noch eingeladen worden, durfte aber nur schweigend in der ersten Reihe sitzen. Natürlich spielten die genannten Politiker für die deutsche Einheit eine zentrale Rolle – aber eben für die deutsche Einheit, also als die Tür dazu aufgestoßen war. Deshalb gehören die Alliierten und Polen auch zu jeder Feier der deutschen Einheit am 3. Oktober. Solche differenzierten Zusammenhänge auch in unseren Gedenkfeiern stärker zu beachten, scheint mir für Europa zunehmend wichtig. Denn die meisten nationalen Gedenkfeiern europäischer Länder beziehen sich auf Ereignisse, die eben nicht nur nationale waren. Denken Sie nur an die französische Revolution oder eben den 11. November als Tag des Endes des Ersten Weltkrieges, von dem schon die Rede war.

Liest man verschiedene Reden zur deutschen Einheit der letzten drei Jahrzehnte nach, so wird dort sehr häufig an die Hunderttausende auf den Straßen der DDR erinnert, dann kam der Fall der Mauer, den manche auch noch Öffnung nennen, als hätte die SED die Mauer geöffnet. Und schließlich kamen dann die richtigen Politiker aus dem Westen, die mit Gorbatschow die Einheit gemacht haben. Das damit vermittelte Bild kann ich jedoch nicht teilen. Wie erklärt man sich so den Runden Tisch und die freien Wahlen in der DDR – beides geschah erst nach dem Mauerfall? Man bekommt doch bei einer solchen Darstellung den Eindruck, dass wir im Osten auch noch einmal eine Weile für uns allein ein paar demokratische Übungen oder Spiele machen wollten. Manche haben uns das ja auch nachgesagt.

Das übliche Bild von der deutschen Vereinigung vernachlässigt, dass es eine verhandelte Einheit war, und eben nicht nur international in den 2+4-Verhandlungen. Wer aber hätte denn für die DDR verhandeln sollen? Etwa die SED? So blieb für uns auch nach dem Mauerfall Priorität, was es auch schon vorher war: die Errichtung einer parlamentarischen Demokratie, die Schaffung von demokratischen Institutionen – zum Beispiel auch die Errichtung der

Länder! Erst die freien Wahlen im März 1990 schufen die Voraussetzungen für

Verhandlungen mit einem demokratischen Mandat. Erst so war die DDR verhandlungs- und damit vereinigungsfähig. Das aber konnte nicht von außen geschehen. Das war unsere ureigene Aufgabe. 

So ereignete sich – von den institutionellen Abläufen her gesehen – der Prozess der deutschen Einheit, wie er kaum besser hätte sein können. Erst wurde in einer gewaltfreien Revolution im Zusammenspiel von neuen demokratischen Vereinigungen und den Massen auf den Straßen die Diktatur gestürzt. In einem friedlichen Verhandlungsprozess am Runden Tisch wurde der Unterdrückungsapparat des kommunistischen Systems, die Stasi, ausgeschaltet. Hier wurden die Bedingungen der freien Wahl ausgehandelt und diese schuf das frei gewählte Parlament, die Volkskammer, und die Regierungskoalition, welche das Mandat für Vereinigungsverhandlungen hatte. Beide deutschen Regierungen verhandelten die nötigen Verträge miteinander und mit den ehemaligen Alliierten. Auf dieser Grundlage beschloss die frei gewählte Volkskammer der DDR den Beitritt, der zum 3. Oktober 1990 rechtskräftig wurde. Wenn man diese Geschichte so beschreibt, kann man behaupten – und das ist meine Überzeugung, dass die Ereignisse dieser Monate in besonderer Weise der aufrechte und selbstbewusste Gang der Ostdeutschen in die deutsche Einheit waren. 

Natürlich ist von dem institutionellen Ablauf der Verhandlungen die Bewertung der konkreten inhaltlichen Ergebnisse zu unterscheiden. Hier kam dann die Überlegenheit der westlichen Verhandlungsführer als erfahrene Politiker ins Spiel, unterstützt von einer ausgezeichneten Bürokratie, und eine Politik, die ihre eigenen Interessen nie aus dem Blick verlor. Es darf auch nicht vergessen werden, dass 1990 die Bundestagswahl bevorstand, was m. E. den Vereinigungsprozess in hohem Maße beeinflusste. Gleichzeitig muss hier gesagt werden, dass eine hohe Zahl der DDR-Bürger diese Verhandlungen, die ja von ihrer eigenen Regierung in ihrem Interesse geführt wurden, selbst nicht schätzten und unterstützten. Sie sahen die Verhandlungen nur als Verzögerung der Einheit, die sie lieber heute als morgen wollten, versprachen sie sich doch davon nicht zuletzt auch schnellen Wohlstand. Solche falschen Hoffnungen wurden dann im politischen Prozess auch noch zusätzlich genährt. Dies stärkte nicht gerade die Verhandlungskraft der DDR-Regierung, die ohnehin genug

Schwierigkeiten hatte, ihre Positionen zu bestimmen. Die Gemengelage in dieser großen Koalition war hoch kompliziert, der Anteil der alten Blockparteien, die bis wenige Wochen vorher noch integraler Teil des kommunistischen Systems gewesen waren, war erheblich. Abstimmungsprozesse waren nicht eingeübt – Koalitionsregierungen hatte es in der DDR noch nicht gegeben. 

Es ist leider bezeichnend, dass es für diese Dimensionen der deutschen Einheit weder in Öffentlichkeit noch Forschung ein wirkliches Interesse gibt. Gewiss waren die beiden innerdeutschen Einigungsverträge eine Meisterleistung der deutschen Bürokratie, um eine so völlig anders strukturierte Gesellschaft wie die DDR in die Strukturen der Bundesrepublik zu integrieren und anzuschließen. Ob und wieweit es auch eine politische Meisterleistung war, sei dahingestellt. Empathie, Reformbereitschaft und die Bereitschaft zu Neuem waren jedenfalls keine Orientierungen, die sich in den Verträgen wirklich niedergeschlagen haben. Es wäre zu wünschen, dass zum 30. Jahrestag der deutschen Einheit zu diesen Fragen und der darauf folgenden Transformation ein offener Diskurs entstünde, der von Sachlichkeit und Differenzierung getragen ist. Ich bin sicher, dass sich dann auch zu manchen gegenwärtigen Entwicklungen neue Erkenntnisse gewinnen lassen.  Meine Damen und Herren, 

nach der freien Wahl in der DDR schrieben wir, die regierungsbildenden Parteien, im April 1990 in den Koalitionsvertrag, dass auch unsere Nachbarn, die mit uns Freiheit und

Demokratie erkämpft hatten, ebenfalls die Chance haben sollten, den transatlantischen Strukturen beizutreten. Wir als Ostdeutsche wurden ja mit der Vereinigung automatisch

Mitglied. Das hat dann lange gedauert, ist aber Realität geworden. Viele der neuen Demokratien sind nunmehr Teil der Europäischen Union und der Nato. Heute stehen wir vor der Herausforderung, die Grundlage unserer Rechtsordnung nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa – nämlich die demokratischen Werte neu zu verteidigen. Dies aber muss auf doppelte Weise geschehen, zum einen durch die notwendigen Rechtsmittel, zum anderen aber durch die lebendige Überzeugungskraft gelebter demokratischer Kultur und einer Politik, die sich öffentlich und differenziert erklärt. Politik aber darf man nicht allein den Politikern überlassen. Sie ist Sache jedes einzelnen Bürgers. Die Revolution 1848/49 war mit einem ungeheuren Aufschwung an bürgerschaftlichem Engagement in Vereinen und Assoziationen verbunden sowie mit einem lebendigen Diskurs in Presse und Öffentlichkeit. Davon lebt der demokratische Prozess, damals wie heute. 

Dazu kommt ein letztes, das ich noch einmal betonen möchte: das ist die Bedeutung des Rechts in dieser Trias, Einigkeit und Recht und Freiheit. Oft fällt es nämlich unter den Tisch, dabei ist es zentral, und zwar in seiner doppelten Dimension, (1) als Grundrecht, das jedem Menschen in seiner Würde gilt, wie (2) als Gemeinschaftsrecht, das unser Zusammenleben regelt. Vielleicht müssen wir in Deutschland, aber mehr noch in Europa über diese

Dimension der Demokratie noch viel mehr reden. Nicht nur im Blick auf manche Nachbarn ist festzuhalten: Demokratie ist nicht allein der Wille der Mehrheit zur unbegrenzten Machtdurchsetzung, sie lebt von der Anerkennung des staatliche Gewalt einschränkenden

Rechts, von einer politischen Kultur, in welcher der andere und Andersdenkende, der

Schwache, der Fremde und die Minderheit in ihrer Würde geachtet werden. Diese mit Rechten ausgestattete Würde zu achten und zu schützen, ist gerade die vornehme Aufgabe eines jeden Staates. 

Meine Damen und Herren,

Als die Paulskirche nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg 1947 wieder aufgebaut wurde, sagte der hessische Ministerpräsident Christian Stock zur Grundsteinlegung: „Die Paulskirche ist das Haus der deutschen Demokratie“. Dass dies Wirklichkeit wurde, bezeugt jede Nachricht aus diesen Mauern. Doch er fügte hinzu: „Und unser aller Schwur soll heute lauten, das heilige Gut der demokratischen Freiheit mit allen Kräften zu verteidigen und es nie wieder herzugeben.“ 

Schließen wir uns diesem Schwur an, doch gilt er nun nicht nur für Deutschland, sondern für Europa, das unsere Zukunft ist.

Ich danke Ihnen.